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BERLIN/ Staatsoper: LE NOZZE DIE FIGARO – Online-Premiere

02.04.2021 | Oper international

Premiere „Le Nozze di Figaro“ von Wolfgang Amadeus Mozart am 1. 4. 2021 in der Staatsoper/BERLIN

Und der Leopard beobachtet alles

Die Inszenierung von Vincent Huguet ist abwechslungsreich und steigert sich im Laufe der vier Akte in bemerkenswerter Weise. Das Bühnenbild von Aurelie Maestre und die Kostüme von Clemence Pernoud zeigen das möblierte Zimmer des gräflichen Schlosses zunächst als veritables Fitness-Studio in modernem Outfit.

Hier erfährt Figaro von seiner Braut, warum man ihm dieses Zimmer als künftige Wohnung zugewiesen hat. Ein Klingelzeichen ruft das Kammermädchen ins Zimmer, aber Figaro ist entschlossen, die Pläne seine Gebieters zu durchkreuzen. Figaro hat von der Beschließerin Geld geborgt und versprochen, die Schuld entweder zurückzuzahlen oder Marcellina zu heiraten. Gleichzeitig klagt der Page Cherubino Susanna sein Leid, der vom Grafen bei Barbarina erwischt wurde. Almaviva verspricht unterdessen Susanna eine  reiche Mitgift, falls sie ihm ein Stelldichein im Park gewähre. Cherubino versteckt sich, wird aber vom Grafen entdeckt, der den Mitwisser seiner Affäre mit Susanna schonend behandeln muss. Hier besticht die Personenführung mit Fingerspitzengefühl.

Der zweite Akt überzeugt in der szenischen Gestaltung mehr, wobei die Gräfin hier dem Schmerz über die erkaltete Liebe ihres Gatten sogar vor dem Vorhang einen plastischen  Ausdruck verleiht. Das Gemach wirkt dabei irgendwie schemenhaft, aber die Personen gewinnen deutliche Kontur. Sogar ein Cembalo steht im Raum und belebt die kahlen, goldgetönten Wände. Die Gräfin muss dem Grafen schließlich doch Cherubinos Versteck gestehen, der wütend seinen Degen zieht. Gleichzeitig erscheint Susanna und der Graf bittet die Gräfin um Verzeihung.

Der Festsaal des dritten Aktes ist ebenfalls noch von einem modernen Outfit geprägt, wobei man einen ausgestopften Leoparden entdeckt, der mit Argusaugen alles zu beobachten scheint. Susanna verkündet dem Grafen ihre Bereitschaft zum nächtlichen Stelldichein. Es kommt zuletzt im exotischen Garten im vierten Akt zu einer allgemeinen Versöhnung der Neuvermählten und der Graf bittet seine Frau reumütig um Verzeihung. Diese Szene wirkt bei der Inszenierung am lebendigsten, die durchaus mit Abwechslungsreichtum besticht. Zwischen glitzernden Kugeln und der Hochzeitstorte wird das gesamte Ambiente in ein überaus flimmerndes Schlusslicht getaucht. Das ist ein guter Einfall der Regieführung, die allerdings nicht immer dieselbe Qualität besitzt. Dafür ist das musikalische Niveau dieser Aufführung hervorragend.

Unter der temperamentvollen Leitung von Daniel Barenboim musiziert das Orchester der Berliner Staatsoper sehr durchsichtig, feingliedrig und elektrisierend. Schon die atemlose Allegro-Rasanz der Ouvertüre vermag die Zuhörer zu fesseln. Im Unisono der Streicher meldet sich auch ein frech kicherndes Fagott. Die Bläserklänge kommen rasch hinzu und entfachen einen Fortissimo-Jubel im Orchester. Die durchkomponierten Gebilde der beiden großen Finale des zweiten und vierten Aktes erreichen eine erstaunliche Intensität. Das dramatische und seelische Geschehen auf der Bühne wird von den Sängerinnen und Sängern in ausgezeichneter Weise herausgearbeitet. Da zeigen nicht nur Gyula Orendt (Bariton) als famoser Graf Almaviva und Elsa Dreisig (Sopran) als Gräfin Almaviva köstliche Charakterstudien. Auch Nadine Sierra (Sopran) ist als Susanna mit leuchtkräftigen Kantilenen eine positive Überraschung, während der weich timbrierte Figaro von Riccardo Fassi (Bass) dazu einen reizvollen sonoren Kontrast bietet. Katharina Kammerloher (Mezzosopran) ist ferner eine exzellente Marcellina, die mit ihrer Gefühlsskala in höchst virtuoser Weise spielt. Emily D’Angelo (Sopran) gewinnt Cherubino ausdrucksstarke Facetten ab. Stephan Rügamer fesselt als durchtriebener Don Basilio, während Siegfried Jerusalem Don Curzio ein bemerkenswertes Fundament verleiht. Maurizio Muraro als Bartolo, David Ostrek als Antonio, Liubov Medvedeva als Barbarina, Olga Vilenskaia und Regina Köstler-Motz als Due Donne sowie Lorenzo Di Toro als versierter Cembalist ergänzen dieses Ensemble in fabelhafter Weise. Das ungehaltene Drängen des Grafen nach Versöhnung  verdeutlicht Daniel Barenboim mit dem Orchester der Berliner Staatsoper sehr nuanciert. Und der Wechsel der einzelnen Motive wirkt dabei ausgesprochen reizvoll. Eine wunderbar befreiende Beweglichkeit des Musizierens  macht sich hier breit, die der Veränderungsfähigkeit dieser Gesellschaft breiten Raum gibt. Das Allegro im Finale zeigt die anfängliche Unruhe der Gräfin und die Beschämung des Grafen in glänzend gezeichneten Aktionsmomenten. Ein pochender Grundrhythmus beweist dem Publikum die Atemlosigkeit und Heftigkeit des Geschehens. Oftmals lässt Barenboim das Orchester die Führung übernehmen, es schreibt den Sängern den Weg vor. Susannas Hervortreten besitzt deutlich den Rhythmus des Don Giovanni-Menuetts, Susanna verschafft sich mit den Sechzehnteltriolen ihre gesangliche Bewegungsfreiheit. Nadine Sierra überzeugt dabei mit erstaunlicher Präsenz. Und das Molto andante beim Hervortreten Susannas zeigt dabei musikalisch prägnant verkörperte Betroffenheit. Ein spielerisches Motiv von Unruhe und Hektik charakterisiert den aufgeregten Zustand der Gräfin, was Elsa Dreisig plastisch darstellt. Ihre Es-Dur-Cavatina im zweiten Akt zeigt außerdem großen Klangfarbenreichtum. C-Dur und Es-Dur sind in diesem Akt Fixpunkte, die Daniel Barenboim mit dem Orchester der Berliner Staatsoper markant akzentuiert.

Martin Wright hat den Chor der Berliner Staatsoper zudem opulent und sorgfältig einstudiert, was sich in den großen Ensembleszenen zeigt. Und die Choreographie von Thomas Wilhelm unterstreicht die tänzerischen Impulse. Immer neue Gestalten kommen hier klangfarbenreich ins Spiel, die motivisch-thematischen Gebilde jagen sich gegenseitig. Das ist ein besonderes Merkmal bei Mozarts „Figaro“ – und Barenboim zollt ihm Rechnung. Der planvolle Aufbau führt dabei zu einer überwältigenden Schluss-Steigerung.

Alexander Walther

 

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