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BERLIN/ Staatsoper: LE NOZZE DI FIGARO. Gestreamte Premiere. Fit und fast fröhlich in den Frühling

03.04.2021 | Oper international

gyula orendt (graf almaviva), nadine sierra (susanna) und emily d'angelo (cherubino), foto matthias baus
Gyula Orendt (Graf Almaviva), Nadine Sierra (Susanna) und Emily DAngelo (Cherubino). Foto: Matthias Baus

Berlin / Staatsoper: „LE NOZZE DI FIGARO“, gestreamte Premiere, 01.04.2021 – Fit und fast fröhlich in den Frühling

Nein, es war kein Aprilscherz, als wir am 01.04. erneut daheim saßen und eine Premiere, diesmal Mozarts „Le Nozze di Figaro“, als Stream erlebten, da das angekündigte Live-Erlebnis, genannt Pilotprojekt, Corona bedingt vertagt werden musste. Bis wann, wissen noch nicht einmal die Operngötter.

Doch jammern hilft gar nicht, machen wir uns lieber fit für den Frühling und weitere Herausforderungen. Daniel Barenboim dirigiert mit Schwung und Feingefühl nicht nur die Ouvertüre, und zwei junge Leute machen vor, wie das so funktioniert mit dem Fitness-Training daheim, dort allerdings in der schick-bunten Designerküche des gräflichen Haushalts (Bühnenbild: Aurélie Maestre).

Im großen Kühlschrank wartet schon Erfrischendes nach diesem Workout. Echt erfrischend geben sich auch diese beiden sportlichen jungen Leute. Was können sie besser, singen oder schauspielern? Die Antwort: Nadine Sierra als Susanna und Riccardo Fassi als Figaro machen beides überzeugend und mit Totaleinsatz. Offensichtlich haben sie großen Spaß daran, auf der Bühne der Berliner Staatsoper agieren zu können. Regisseur Vincent Huguet hält sie ohnehin fast ständig in Bewegung, setzt aber nicht auf billigen Klamauk.
Solche Lesart passt haargenau zu Mozarts Erfolgsoper mit all’ ihren aufgebauschten Irrungen und Wirrungen. Wolfgang Amadeus, selbst kein Kind von Traurigkeit, und sein Librettist da Ponte schauen dabei spöttisch und mit unterschwelliger Kritik auf die Usancen der Mächtigen und das Verlangen Untergebenen, ohne den Seelenschaden zu leugnen, der sicherlich durch das Hin und Her entsteht.

riccardo fassi (figaro) und nadine sierra (susanna), foto matthias baus
Riccardo Fassi (Figaro) und Nadine Sierra (Susanna). Foto: Matthias Baus

Huguet hat nach eigenen Äußerungen das Stück in die 1980’er Jahre versetzt. Die Möblierung des schicken Lofts u.a. mit Warhol-Porträts, spricht dafür, das Miteinander des Brautpaares nicht unbedingt. Sie sind junge Leute von heute und geben sich selbstbewusst und cool. Obwohl sie direkt vor der Hochzeit stehen, schmachten sie sich keineswegs an. Vermutlich kennen sie sich schon etwas länger und nicht nur auf der Gymnastik-Matte.

Riccardo Fassi als Figaro bringt dazu nicht nur einen kräftigen wohlklingenden Bass ins Spiel. Er überzeugt auch durch Schläue und Widerspruchsgeist. Das steht zwar schon so in da Pontes Text, doch hier wird es echt glaubhaft.

Eine kann tatsächlich alle um den Finger wickeln – die äußerst aparte Nadine Sierra. Wie ihre Augen blitzen, wie schalkhaft sie lächelt – das lässt sich immerhin auf dem Bildschirm genauer erkennen als im Opernhaus. Eine Drahtzieherin ist sie, die ihren Liebreiz voller Geschick und mit Lust an der Übertreibung ebenso gekonnt einsetzt wie ihren fabelhaften, frisch schillernden, aber auch dunkel angereicherten Sopran. Sie bietet eine Charme-Offensive der Sonderklasse mit allen Facetten. Insgesamt scheint die ganze Inszenierung in diese Richtung zu tendieren.
Darüber hinaus werden die Mozart-da Ponte-Verwicklungen diesmal besonders auf die Spitze getrieben, und alle auf der Bühne machen offensichtlich begeistert mit. Bei dieser temperamentvollen „Hochzeit des Figaro“ lassen sich die verschärften Restriktionen der dritten Corona-Welle für dreieinhalb Stunden einigermaßen vergessen. Gut gedacht, gut gemacht, selbst wenn alle Damen und Herren vom Chor (einstudiert von Martin Wright) mit Mund-Nasenschutz singen.

Ein ganz großes Lob gilt auch dem Herrscherpaar. Elsa Dreisig als die elegante Gräfin Almaviva singt ihre Rolle mit einem großartigen, etwas kühl timbrierten Sopran. Gyula Orendt mit seinem warmen, variantenreichen Bariton gibt überzeugend ihren Gatten.

nadine sierra (susanna), elsa dreisig (gräfin almaviva) und riccardo fassi (figaro), foto matthias baus
Nadine Sierra (Susanna), Elsa Dreisig (Gräfin), Riccardo Fassi (Figaro). Foto: Matthias Baus

Untreu sei er, andererseits aber eifersüchtig und dann voller Grobheit, beklagt sich die feine „Lady in red“ (Kostüme: Clémence Pernoud) bei ihrem Kammermädchen. Und wie nachfühlbar schmerzlich erinnert sie sich mit Dove sono i bei momentian an die schönen Momente mit ihrem Mann.

Doch brutales Verhalten möchte wohl niemand gerade diesem Grafen zutrauen. Orendt setzt bei seinen Avancen eher auf charmante Beharrlichkeit als auf Machtgehabe und verzichtet sogar auf das einst übliche Recht der ersten Nacht mit der Braut des Dieners, sprich Susanna.

Aber es waren halt nur Momente, und so schämt sich die Gräfin, dass sie ihre Zofe einsetzen muss, um mit einem Verkleidungstrick ihren Gatten des Ehebruchs zu überführen und ihn auf diese Weise als reuigen Sünder zurück zu gewinnen.

Zwischen den beiden Frauen herrscht aber ein Verhältnis auf Augenhöhe. Wie zwei Schwestern oder beste Freundinnen sitzen sie gemeinsam singend am Cembalo, besprechen den Plan, und Susanna notiert sich alles. Mozarts Susanna konnte vermutlich weder lesen noch schreiben.

Bis auf diese muntere Susanna, die natürlich auch mal an ihrem Figaro herzerweichend zweifelt, haben alle anderen mehr oder minder starke Liebes- und Sexprobleme. Auch Cherubino, noch fast in der Pubertät und immer als Kind bezeichnet, weiß gar nicht, wohin mit seinen kräftig aufkeimenden Gefühlen, die zunächst der Gräfin gelten.

Von Emily D’Angelo  wird das Non so più cosa son, cosa faccio hinreißend gesungen, so dass danach leiser Beifall zu hören ist, wahrscheinlich vom Cembalisten Lorenzo Di Toro, der in die Handlung eingebunden ist. Insgesamt erleben wir, wenn auch als Stream, ein frühlingshaft frisches und passend gecastetes Stimmenfest.

Was nun folgt, ist bekannt, und oft schlägt der angebliche Ulk Purzelbäume, insbesondere bei den Verkleidungsszenen. Dem nächsten Paar wäre ebenfalls die Sympathie des nicht anwesenden Publikums sicher. Gemeint sind die blond gelockte Katharina Kammerloher als Marcellina und Maurizio Muraro als Arzt und ihr langjähriger Lebenspartner.

Und siehe da: aus der Geldborgerin des Figaro, die den jungen Mann heiraten wollte, wird seine Mutter, und dem Figaro bleibt ein Ödipus-Schicksal erspart. Er braucht auch nicht den gemütlichen Doktor Bartolo zu töten, obwohl der sich als sein Vater zu erkennen gibt. Während selbst Susanna mit aufgerissenen Kulleraugen fast Schnappatmung kriegt, zieht Katharina Kammerloher diese Szene grandios durch. Haben sich da Ponte und Mozart vielleicht über das Schauerdrama von Sophokles lustig gemacht?

Beim nächtlichen Verwechslungsspiel der Partnerinnen erkennt Figaro seine verkleidete Susanna an der Stimme, während der Graf inniglich mit der unerkannten eigenen Frau schmust. Bald ist er der Blamierte, bittet sie öffentlich um Verzeihung, und sie tut es angeblich.

Trotz Lockdown kommt es nun zu einer Massenhochzeit, da endlich auch Marcellina und Bartolo sowie die beiden jungen Leute Barbarina (Liubov Medvedeva) und Cherubino getraut werden. Barbarina, bisher Gespielin des Grafen, wird Cherubino schon zeigen, wie das mit der Liebe geht. Auf Geheiß des Grafen feiert und tanzt nun eine große Gästeschar. Abstandhalten ist abgesagt, zumindest bei Wolfgang Amadeus.

Auch die noch nicht Erwähnten bieten überzeugende Leistungen. So Stephan Rügamer als Basilio, Siegfried Jerusalem als Don Curzio, David Oštrek als Antonio und die Staatskapelle Berlin sowieso.

Also Ende gut, alles gut? Nicht ganz. Denn eine, die Gräfin, hat genug von diesem betrügerischen Spiel, an dem sich rein gar nichts ändern wird. Sie geht auf Abstand und entfernt sich von ihrem Gatten. Vincent Huguet sagt mit diesem in die heutige Zeit passenden Schluss auch da Ponte und Mozart Adieu. Vielleicht würden beide diesem sich fröhlich gebenden Unsittengemälde heutzutage einen ähnlichen letzten Pinselstrich verpassen.

Ursula Wiegand

 

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