BERLIN/ Staatsoper: LE NOZZE DI FIGARO vom 27.01.2025
Den Flimm aus der Mottenkiste geholt
Man kann der amtierenden Intendantin Elisabeth Sobotka nicht genug danken, dass sie noch in ihrer ersten Spielzeit den missglückten „Figaro“ von Vincent Huguet nach nur kurzer Laufzeit wieder entsorgt und ihn durch die Vorgängerinszenierung von Jürgen Flimm ersetzt. Die Inszenierung des inzwischen verstorbenen ehemaligen Intendanten der Berliner Staatsoper, die noch in der Interimsspielstätte des Schillertheaters 2015 ihre Premiere feierte, beweist nurmehr eines: dass Flimm zurecht als ein großer Theatermann gilt und die Entscheidung Sobotkas mehr als plausibel ist. Flimm zeigt den Zuschauern einen wahrhaft „tollen Tag“, wie es bereits der Untertitel des Mozartschen Stückes, der turbulenter nicht sein kann, bereits verlauten lässt. Er nimmt die Personen und die Dramaturgie des Stückes ernst und versieht sie hier und da dennoch mit entsprechender Komik, im Falle des Grafen etwas zu sehr sogar. Aus der Sommerfrische an der See, in welcher sich die Protagonisten begeben, wird rasch ein menschliches Drama. Doch am Ende werden die Koffer wieder gepackt und die Sorgen und Probleme nicht wieder mit in den Alltag genommen, frei nach dem Las-Vegas-Motto: what happens here, stay here! Im 4. Akt kann man die Seeluft förmlich riechen, wenn das Versteckspiel in den Dünen seinen verheerenden Lauf nimmt. Seinerzeit versammelte Flimm mit Ildebrando D’Arcangelo, Anna Prohaska und Dorothea Röschmann eine illustre Besetzung großer Sängerdarsteller um sich. Große Namen sucht man in der aktuellen, vor allem aus Ensemblemitgliedern bestehenden Besetzung zwar vergebens, jedoch mindert dieser Umstand nicht die Freude an dem Abend.
Etwas blass gerät jedoch leider der Sänger der Titelpartie, der italienische Bass Riccardo Fassi. Gesanglich entledigt er sich seiner Sache zwar routiniert, kann aber der Figur nur wenig Facetten abgewinnen und verliert somit schnell an Darstellungskraft. Ihm zur Seite ist Maria Kokareva aus dem hauseigenen Opernstudio als Susanna. Ihr hübsch klingender Sopran eignet sich hervorragend für das Zofenfach und wo es ihr (noch) an Persönlichkeit fehlt, macht sie es mit quicklebendigem Spiel wieder wett. Ihren Gatten-in-spe spielt sie jedenfalls ordentlich an die Wand. Mithalten kann da nur Gyula Orendt als Graf, der sich fügsam dem von Flimm gewollten Slapstick hingibt und für herzliche Lacher im Publikum sorgt, wenn er wie auf Safari durch das Kabinett der Gräfin poltert und dabei oft über seine eigenen Beine stolpert. Sein adretter Bariton klingt brav, wenig bedrohlich, manchmal etwas mulmig. Evelin Novak ist ihm eine kompetente Gräfin mit betörend schöner Stimme. Ihre große Arie im 3. Akt gerät zum Höhepunkt des Abends. Die neue Mezzo-Hoffnung im Haus Unter den Linden heißt Rebecka Wallroth, wie Kokareva Mitglied des Opernstudios, die mit ihrem dunkel-timbrierten Cherubino aufhorchen lässt. Mit selbiger Rolle debütierte die junge Schwedin bereits erfolgreich beim Verbier Festival im letzten Sommer. Die Marcellina von Natalia Skrycka ließ leider, insbesondere in ihrer fakultativen Arie des 4. Aktes, Überforderung und Intonationstrübungen hören. Eher unterfordert hingegen scheint Patrick Zielke als Bartolo zu sein, der zwar gesanglich zu gefallen wusste, ansonsten jedoch eher routiniert und wenig engagiert wirkt. Olaf Bär als Antonio kann seine Partie nurmehr sprechen denn singen und auch der Tenor von Florian Hoffmann lässt wenig aufhorchen. Marcel Beekman als Don Curzio und Regina Koncz als Barbarina erfüllen ihre Rollen in adäquater Weise.
Nicht wirklich gelungen ist das Dirigat von Finnegan Downie Dear, der nur allzu beliebig die Tempi ohne erkennbaren Grund wählt. Dabei riskiert er mitunter bei Sängern zu viel und treibt sie auf die Kante des Stuhls, wenn er beispielsweise durch Arien hetzt als wenn es einen Wettbewerb zu gewinnen gäbe. Anderes hingegen wirkt zäh und behäbig.
Der Abend ist und bleibt eine „gemischte Tüte“, doch lohnt schon allein wegen dem Star des Abends: die Inszenierung.
Karsten Meyer/ Potsdam