BERLIN / Staatsoper: LA TRAVIATA – mit JEANINE DE BIQUE, BOGDAN VOLKOV und GEORGE PETEAN; 4.7.2025
Schlusapplaus. Foto: Dr. Ingobert Waltenberger
Vor 10 Jahren feierte die Produktion des damals 80-jährigen Dieter Dorn (Regie), Joanna Piestrzynksa (Bühnenbild) und Moidele Bickel (Kostüme) im schwarzen Einheitsbühnenraum nach einem Stilleben des 17. Jahrhunderts Premiere. Aus einem riesigen Jutesack rinnt unaufhörlich der Sand. Hinter einem Spiegel ist ein stilisiert von ganzkörperweiß trikotierten Tänzern gebildeter Totenschädel zu sehen, der sich in Bewegung auflösen und das potentielle Opfer umgarnen kann.
Alles dreht sich und ist in dieser Produktion auf Violetta, ihren Lebenshunger und ihr Verlöschen konzentriert. Jeanine De Bique, Opernkennern vor allem als hervorragende Interpretin von Barockmusik bekannt – besonders die Arien Händels erleben dank ihrer Ausdruckskunst angründige Tiefen – schlüpfte nun in die Rolle der in der Rückschau ihren Glanz und ihr Sterben Revue passieren lassenden, zur liebenden sich selbst aufopfernden Frau gereiften Partymaus.
De Bique wusste aus der kammertheatralischen Versuchsanordnung heraus der Violetta eine von silbern glänzend bis mattdunkel leuchtende Aura zu verleihen. Ihr lyrischer, in den Verzierungen höchst agiler Sopran kam am besten in den langen, im Piano und Pianissimo gedrechselten Legatobögen im zweiten und vierten Bild zur Geltung. Da schien ihr bernsteinfarbener Sopran in traumverlorener Schwebe zwischen Hier und Dort in engelhafter Reinheit vom Licht der einzigen menschlichen Seele des ganzen Stücks zu künden. Im Forte (etwa mit dem Chor im ersten Akt) klang De Biques nicht sonderlich groß kalibrierter Sopran ab und an spitz. Den Spitzenton am Ende der großen Szene „È strano! È strano! … Ah, fors’è lui … Follie! Delirio vano è questo! … Sempre libera degg’io“ sparte sie sich zwar, aber dafür ließ De Bique alle widerstreitenden Seelenregungen mit feinst ziselierten Pinselstrich Gestalt gewinnen. Jeanine De Bique ist mit dieser Violetta insgesamt eine bedeutende Leistung an profilierter Gestaltung und berührendem Gesang zu attestieren.
Die Männer, von der Regie als Randfiguren und Stichwortgeber des Schicksals der alsbald von tödlicher Krankheit gezeichneten ehemaligen Lebedame gesehen, blieben in dieser Logik auch an diesem Abend blass. Der aufstrebende russische Tenor Bogdan Volkov gestaltete Alfredo als schüchtern-schwärmerischen Tunichtgut, seine sogenannte Liebe war keinen Heller wert. Er sang die Partie ordentlich, vermochte die emotionale Berg- und Talfahrt der Figur mit durchdacht ausgeloteten Abschattierungen, crescendi und decrescendi glaubhaft zu verinnerlichen. In der großen Arie und Cabaletta ‚Dei miei bollenti spiriti … O mio rimorso‘ kam das Schluss C allerdings nur zaghaft markiert. George Petean, die derzeit wohltönendste Verdi-Baritonstimme am Opernhimmel, sang seine zwei Arien mit balsamischem Wohllaut. In der Auseinandersetzung mit Violetta und Alfredo blieb Petean an diesem Abend hingegen allzu routiniert. Da wollte der Funke nicht recht überspringen.
Der französische Dirigent Jéremie Rhorer holte impressionistisches Pastell aus der Partitur. Er interessierte sich primär für die leisen und ganz leisen Farbabmischungen. So formten sich Streicher und das fabelhafte Holz der Staatskapelle Berlin zu betörenden, sorgfältig kolorierten Klangwirkungen abseits jeglicher „Umtata“-Klischees. Die Tempi nahm Rhorer überwiegend breit, manchmal schien die Zeit beinahe stillzustehen. Mit einem Orchester wie der in Top-Form aufspielenden Staatskapelle ging dieses wenig italienische Interpretations-Experiment aber durchaus auf.
Der Chor der Staatsoper Berlin drängte und zwängte sich in dem engen schwarzen Halbrund der Bühne. Er entledigte sich seiner kleinen, aber wirkungsvollen Aufgaben mit Bravour. Da die Bühne wie ein Schalltrichter wirkt, stimmte die dynamische Balance zwischen Chor und Solisten nicht. Weniger Dezibel des Chors würde da helfen.
Die Oper endete damit, dass Violetta frei nach Jean Cocteaus Film „Orphee“ durch den Spiegel verschwand und das zwischendurch unruhige Publikum mit viel Zuwendung den Ausführenden auf Bühne und im Graben mit Ovationen dankte.
Weitere Vorstellungen am 10., 12., 16., 20. und 23. Juli!
Fotos Schlussapplaus: Ingo Waltenberger
Dr. Ingobert Waltenberger