Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

BERLIN/ Staatsoper: LA TRAVIATA – Marina Rebeka als grandiose, unübertreffliche Violetta!

15.10.2025 | Oper international

BERLIN / Staatsoper LA TRAVIATA; 14.10.2025

MARINA REBEKA als grandiose, unübertreffliche Violetta!

vio1
Marina Rebeka. Foto: Dr. Ingobert Waltenberger

Der Staatsoper Unter den Linden ist ein Coup geglückt. Sie konnte die lettische Primadonna Marina Rebeka, die die Rolle der Violetta Valéry fast schon ad acta gelegt hat, davon überzeugen, in einer Serie von „La Traviata“ Repertoireaufführungen aufzutreten. In einem Merker-Interview mit Peter Dussek vom 28.11.2016 hat Rebeka „La Traviata“ als ihre „Schicksals-Oper“ bezeichnet und erzählt, dass sie mit dieser Verdi-Partie in Erfurt ihr Bühnendebüt gegeben hatte. Alleine bis 2016 hatte sie die Violetta in 14 Produktionen verkörpert, darunter an der MET, Covent Garden, in München, Zürich und in Wien – 2007 sogar an der Volksoper.

Nun ist Rebeka in Berlin mit dieser Oper zurück und sie ist besser denn je. Wie ihre berühmen Rollen-Vorgängerinnen Maria Callas, Leyla Gencer, Renata Scotto oder Virginia Zeani ist Rebeka eine Belcanto-geeichte, koloraturgewandte dramatische Sopranistin mit ausgesuchten Spinto-Qualitäten. Mir persönlich sind die dramatischeren Rollenvertreterinnen mit top Höhe, üppiger Mittellage, satter Tiefe und einer Farbpalette á la Rembrandt lieber als die rein lyrischen Sängerinnen in dieser vielfältigen Ausdruck abverlangenden Partie.

Als gestern Marina Rebeka mit jeder Faser an stimmlich seelischem Wetterleuchten und packender Bühnenpräsenz Violetta Valéry war, machte auf einmal auch die düstere, in Zeitsprüngen zurück und vor gedachte, den Tod fokussierende Regie von Dieter Dorn und der ursprüngliche, von der Zensur abgelehnte Titel der Oper „Amore er Morte“ Sinn.

Diese Violetta weiß vom ersten Moment an, worauf sie sich beim verwöhnten, sprunghaften Alfredo einlässt und wie die ungleiche Liaison enden wird. Wenn sie im ersten Akt singt ‚La vita e nel tripudio‘ (=‚Das Leben liegt nur im Vergnügen‘), so ist das nichts als reine Selbstbetäubung. Aus der Gratwanderung von ersehntem Wunsch und erkannter Wirklichkeit bezieht die Oper ihre dekadent-fragile Schönheit in ihrer schier unerträglichen Brutalität im gesellschaftlich so verlogen-scheinangepassten Verhalten der beiden männlichen Protagonisten. Ekstase und Krankheit, käufliche Liebe, Lust und Tod. So gerät „La Traviata“ zur darwinistischen Spielanordnung, gnadenlos in den Egoismen und gläsern klar darin, wer die Folgen in letzter Konsequenz zu tragen hat.

Stimmlich legte Marina Rebeka an dem Abend eine stupende Leistung hin. Gestochen sitzende Koloraturen, ein wunderbares Legato und eine dynamische Bandbreite von irrlichternden Pianissimi bis zur hochdramatischen Attacke (z.B. „Ah no! Giammai!“ in der Auseinandersetzung mit Germont im 2. Akt), wie sie nur einer begnadeten Spintostimme zu Gebote steht. Dazu kam die vollkommene Durchdringung und Intensität von Gesang und Darstellung, die dieses Porträt in der heutigen, gerade in diesem Fach so oft leichtgewichtigen Opernlandschaft so einzigartig macht.

Rebeka ist als Violetta zur großen Tragödin gereift. Die Ausweglosigkeit des Schicksals der Kurtisane mit dem großen Herz ist vom ersten Moment an zu spüren und geht bis zur großen Sterbeszene im vierten Akt direkt unter die Haut. Eine große Leistung, der das erstaunliche junge Publikum mit lautstarken Ovationen wie bei einem Popkonzert dankte.

Überhaupt war es ein Abend der großen und sehr großen Stimmen. Der rumänische Tenor Stefan Pop, der die Partie des Alfredo seit 2009 im Repertoire hat, brauchte etwas, um in Sachen Geschmeidigkeit der Phrasierung in die Gänge zu kommen. Darstellerisch ist er dem jungen Liebhaber wohl entwachsen, gab aber mit seinen unerschöpflichen Reserven und dem dunkelbronzenen Timbre stimmlich ab dem Finale II alles. Alexey Markov mimte mit heldischer Attitüde (im Februar 2016 wird er an der Staatsoper Unter den Linden in „Tosca“ als Baron Scarpia zu hören sein) einen gar düsteren Giorgio Germont. Die beeindruckende Fülle seines stählern grundierten Baritons ringt der Figur härtere Facetten als das väterlich Schützenwollende ab.  

Karel Mark Chichon dirigierte die Staatskapelle Berlin und den Staatsopernchor mit Umsicht und präziser Zeichengebung. Die Konzentration und die instrumentale Spannkraft des Orchesters ließen anfangs zu wünschen übrig, konnten sich aber im Laufe des Abends merklich steigern.

vio2
Schlussapplaus. Foto: Dr. Ingobert Waltenberger

Fazit: Es war die Sternstunde der Marina Rebeka als Violetta. Lang ist es her, dass ich mit Josef Hussek am Wiener Stehplatz eine Vorstellung von Puccinis „Manon Lescaut“ mit Mirella Freni in der Titelpartie besucht habe. Sein Wunsch an dem Abend war, dass das Publikum hoffentlich zu schätzen wisse, welch einzigartige Gesangskunst es gerade erlebt. Gestern hatte ich den überzeugten Eindruck, dass sich alle Anwesenden des vokal so Kostbaren des Abends bewusst waren.

Tipp: Auf einem NDR-Videomitschnitt (Naxos) aus dem Jahr 2017 von einem Open Air im Marschpark Hannover ist Marina Rebeka als Violetta mit Francesco Demuro als Alfredo und Thomas Hampson als Germont zu erleben. Keri-Lynn Wilson dirigiert das NDR-Radio Philharmonic.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

Diese Seite drucken