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BERLIN/ Staatsoper: LA FANCIULLA DEL WEST

20.06.2021 | Oper international

marcelo Álvarez und anja kampe, foto martin sigmund
Marcelo Alvarez, Anja Kampe.Foto: Martin Sigmund

Berlin, Staatsoper: „LA FANCIULLA DEL WEST“ von Giacomo Puccini, am 19.06.2021

Die Corona-Lockdowns scheinen fast allenthalben bei der Rollen-Besetzung einen Qualitätsschub ausgelöst zu haben. Gut und sehr gut gesungen und gespielt wurde in der Musik-Metropole Berlin fast ständig, doch jetzt wird beispielsweise bei der Staatsoper Unter den Linden der Neustart mit international renommierten Stars angereichert. Insgesamt geben die Häuser der Pandemie Contra und locken die ausgehungerten Kulturfans – trotz Temperaturen über 30 Grad Celsius – in die Theater und Musiktempel. Und die kommen gerne.

Die Staatsoper unter den Linden präsentiert mit Giacomo PuccinisLa Fanciulla del West“ sogar ein bisher noch nie in diesem Haus gespieltes Stück, hat die drei Hauptrollen entsprechend luxuriös besetzt, die Premiere dem Pultstar Antonio Pappano und der Staatskapelle Berlin anvertraut und die Inszenierung der jungen US-Amerikanerin Lydia Steier. Obwohl sie seit 2002 in Berlin lebt, hatten die Berliner Häuser – abgesehen von der Komischen Oper – diese Regisseurin noch nicht so recht auf dem Schirm.

Jetzt aber hat Matthias Schulz, Intendant der Staatsoper,  zugegriffen in der richtigen Vermutung, dass diese Frau den Wilden Westen und Kaliforniens Goldrausch von 1849/50 in ihrer DNA trägt. Tatsächlich scheut sie sich nicht, die dortigen rauen Sitten auch durch Hinzufügung von fünf Stunts Geübten drastisch zu inszenieren.

Männer beim Prügeln, Zocken, Rauchen und Whiskysaufen. Gleich zu Beginn baumelt ein vom Sheriff Jack Rance Abgeurteilter am Galgen, während über dem kleinen POLKA-Saloon die übergroße Leuchtreklame einer Nackttänzerin eine besondere Befriedigung verspricht. (Bühnenbild und Kostüme  David Zinn).

Dass Puccini diesen Stoff wählte, war wohl einer Einladung der Met im Jahr 2004 zu verdanken. Der weltberühmte Komponist sollte die Regie von zwei seiner Opern überprüfen und bei den Premieren anwesend sein. Per Schiff reisten Puccini und seine Frau nach New York, und diese Metropole mit ihrem Tempo faszinierte ihn sofort.

Nach dem Libretto von Guelfo Civinini und Carlo Zangarini, basierend auf David Belascos Stück „The Girl of the Golden West“, komponierte Puccini die Oper „La Fanciulla del West“. Das US-Tempo nahm er in seine Partitur auf und verzichtete – bis auf eine – auf zeitraubende Arien, die ihn und seine Opern „La bohème (1896), Tosca (1900) und Madame Butterfly (1904) berühmt gemacht hatten.

Allerdings geriet dadurch „La Fanciulla des West“, uraufgeführt an der Met im Dezember 2010, dirigiert von Arturo Toscanini und mit Enrico Caruso in der männlichen Hauptrolle, in Europa ins Abseits. Puccini meinte jedoch, damit die beste seiner Opern komponiert zu haben.

Unüberhörbar ist aber Puccinis Bezug auf seine vorherigen Erfolgswerke schon bei der Namenswahl. Aus der Mimi in „La Bohème“ wird die Minnie in „Fanciulla del West“. Ganz ähnlich wie die bezeichnet sie sich gegenüber dem ersten Mann, der ihr Herz gewinnt, bescheiden als einfaches Mädchen ohne richtige Schulbildung. Musikalisch fällt diese Ähnlichkeit ebenfalls auf.

Doch anders als Mimi bestickt diese US-Minnie keine Kissen. Die ist eine Powerfrau, die die Männer im Goldgräberlager im Griff hat, ihnen aus der Bibel vorliest, auf deren Gold – untergebracht in einem riesigen Büffel – aufpasst und schließlich wie eine Löwin erfolgreich um das Leben ihres geliebten Dick Johnson kämpft. Seinen Rivalen, den Sheriff Jack Rance, besiegt sie mit einem Pokertrick.  Dramatisch hat Puccini diese Szenen komponiert. 

Fabelhaft singt und gestaltet Anja Kampe diese Rolle, macht stimmlich und darstellerisch aus der zunächst abweisenden und dann vorsichtig verliebten Minnie schließlich die um Glück und Leben kämpfende Frau zwischen zwei konkurrierenden Männern.

michael volle, marcelo Álvarez und andere, foto martin sigmund
Michael Volle, Marcelo Alvarez. Foto: Martin Sigmund

Vollends überzeugt auch Michael Volle als (an den Kettenraucher Puccini erinnernder) brutaler Sheriff, der Minnie sogar 1.000 Dollar für einen Kuss bietet, was sie aber stolz ablehnt. Doch ein jüngerer, gut gekleideter Besucher, der sich als Johnson aus Sacramento vorstellt und mit ihr vorsichtig auf dem Tisch tanzt, gewinnt schnell ihr Herz und nicht wegen seines feinen Anzugs. Ein Zufallstreffen hat schon vor Jahren stattgefunden, jetzt finden sie sich unerwartet wieder. Er willigt auch ein, sie auf ihrer Hütte in den Bergen zu besuchen. Für ihn macht sich die Bescheidene nun so schön wie möglich.

Was sie nicht weiß ist, dass der angeblich feine Herr der von den Goldgräbern intensiv gesuchte Bandit Ramerrez ist. Trotz des einsetzenden Schneetreibens will er fliehen, wird aber draußen angeschossen. Minnie rettet ihn ins Haus und schließlich, jedenfalls für 14 Tage, mit der schon erwähnten Pokerrunde.

Je dramatischer und gefährlicher sich das Geschehen entwickelt, umso mehr blüht der Tenor von Marcelo Álvarez auf und erreicht eine Qualität, die ihm so nicht alle Tage gelingt. Zum Höhepunkt der Oper wird so die einzige Arie, die er, schon die Schlinge des Galgens um den Hals, voller Schmelz und Leidenschaft singt. Der einzige Wunsch des Ex-Banditen, der durch Minnie ein anderer Mensch geworden ist, lautet: niemand soll Minnie sein schmachvolles Ende verraten. Auch Pavarotti hat später diese Arie gesungen. Hier der Text:

Ch’ella mi creda libero e lontano
sopra una nuova via di redenzione!…
Aspetterà ch’io torni…
E passeranno i giorni,
E passeranno i giorni,
ed io, ed io non tornerò…
ed io non tornerò…
Minnie, della mia vita mio solo fiore,
Minnie, che m’hai voluto tanto bene!…
Tanto bene!
Ah, ah! tu della mia vita mio solo fior!

In englischer Übersetzung heißt das:

Let her believe I’m free and far away
On a new path of redemption!…
She will wait for my return…
And the days will pass,
And the days will pass,
and I, and I will not return.
and I will not return.
Minnie, the only flower of my life,
Minnie, who loved me so much!…
So much!
Ah, Ah! you’re the only flower of my life!   

Doch wieder ist Minnie gerade noch rechtzeitig zur Stelle und appelliert an die wilde Männer-Meute – ihren Einsatz für sie während all’ der Jahre benennend – diesen Man ihr zu geben und ihn mit ihr fortgehen zu lassen.

Die ihr das nun mit Wehmut erlauben, sind ebenfalls Klasse:

Stephan Rügamer als Trans Nick,  Łukasz Goliński als Sonora, Jan Martiník als Aschby,  Grigory Shkarupa als Jake Wallace, Siyabonga Maqungo als Trin, Jaka Mihelač als Sid, Adam Kutny als Bello, Florian Hoffmann als Harry, Andrés Moreno García als Joe,  Viktor Rud als Happy, David Oštrek als Larkens, Žilvinas Miškinis als Billy Jackrabbit,  Natalia Skrycka als Wowkle, Frederic Jost als José Castro, Spencer Britten als Postillon, Mia Selka de Paiva als Kind sowie Herren des Staatsopernchors, einstudiert von Martin Wright. Das Video mit Sturm und Schneetreiben schuf Video  Momme Hinrichs.

Dieser Schluss ist herzerweichend und viel zu schön um wahr zu sein. Doch das ist halt eine echte Puccini-Oper, die genau so viel Einsatz und Wertschätzung verdient wie seine sattsam bekannten Dauerbrenner.  Hingehen!!    

Ursula Wiegand

 

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