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BERLIN/ Staatsoper: LA BOHÈME kann so großartig zu Tränen rühren

19.01.2016 | Oper

 

Berlin/ Staatsoper: „LA BOHÈME”  kann so großartig zu Tränen rühren, 19.01.2016

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Sonya Yoncheva (c) Gregor Hohenberg Sony Classical.

„In der Oper muss man heulen,“ hat Christoph Schlingensief  einmal gesagt, und in Puccinis „La Bohème“ haben sensible Opernfreunde Gelegenheit dazu. In der Staatsoper im Schiller Theater rinnen sogleich geschmolzene Schneeflocken wie schwere Tränen eine (vermeintliche) Scheibe hinunter.

Durch ein Loch ist ein alter Mann zu sehen, der in eine Glaskugel schaut. Vermutlich sieht der stille, unauffällige Begleiter des späteren Geschehens darin sein Leben und Mimi, seine große Liebe in jungen Jahren. Dies alles ist noch genau so wie 2012, als die 2001 geschaffene Inszenierung von Lindy Hume der kleineren Schillertheaterbühne angepasst wurde. Das gleiche gilt für Dan Potras Bühnenbild und die Kostüme von Carl Friedrich Oberle.

Anders ist diesmal jedoch die hochkarätige Besetzung des Liebespaares mit Sonya Yoncheva als Mimi und Joseph Calleja als Rodolfo. Calleja lässt sich vorsichtshalber ansagen, doch sein Tenor strömt von Anfang bis Ende warm und voller Schmelz, besitzt auch die nötige Power in den späteren Verzweifelungsszenen.
Bei seinem ersten Hit „Che gelida manina“ läuft es dem Publikum höchstens vor Wonne eiskalt über den Rücken. „Ja, das ist Belcanto,“ flüstert meine Begleiterin. Von einem ganz Großen habe ich das vor vielen Jahren gehört, es war eine unvergessliche Aufführung. Aber die Stimmen werde ich nicht vergleichen. Denn „jeder Vergleich hinkt“ und dient oft nur dazu, mit den eigenen Erfahrungen zu protzen.

Noch mehr Aufmerksamkeit wird neuerdings Sonya Yoncheva zuteil. Als „A last minute sensation“ bejubelte sie die New York Times nach ihrem plötzlichen Mimi-Debüt im November 2014 an der Met. Seitdem singt die junge Bulgarin die Rolle (und andere) weltweit, wird bereits als zweite ……gehandelt.

Zu Kopf ist ihr das offenbar nicht gestiegen. Wie viel Bescheidenheit und Zerbrechlichkeit legt sie in ihre Vorstellung als „Sì. Mi chiamano Mimì“. Und welche Strahlkraft besitzt ihr Sopran, wenn erforderlich, und wie viel Glück liegt in ihrer Stimme, als ihr Rodolfo auf dem Weihnachtsmarkt einen Haarreif (hier keine Haube) kauft.

Je dramatischer und trauriger, umso berührender gestalten diese beiden Ausnahmekünstler das Geschehen. Zwei, die sich unendlich lieben und gerade wegen dieser Liebe aneinander scheitern. Die todkranke Mimi, die sich Hilfe suchend an den Maler-Freund Marcello (Arttu Kataja) wendet, der seinerseits mit der in jeder Hinsicht schrillen Musetta (Anna Samuil) seine liebe Not hat.

Der aber andererseits Rodolfo durchschaut und ihm die verzweifelte Sorge um Mimi und seine anhaltend große Liebe entlockt. Sterben im warmen Sommer, nicht im eisigen Winter –als vorläufiges Überlebensmotto und den Haarreif als Abschiedsgabe („D’onde lieta uscì“). Nur in Ausnahmefällen wie an diesem Abend geht das dermaßen unter die Haut. Das unvermeidliche Ende vor Augen als die noch größere Tragik als das Sterben selbst.

Drum herum die Künstlerfreunde und Lebenskünstler unter Hartz-IV-Niveau. Darstellerisch überzeugen sie alle, insbesondere der kauzige Olaf Bär als alter Vermieter auf Abwegen und später als entnervter Staatsrat an Musettas Seite.
Da gibt es also keine „Abzüge bei der B-Note“ wie bei den Skispringern). Dass es bei der stimmlichen Weite im Vergleich zu Calleja nicht reicht, wundert nicht. Ein Opernhaus hat nicht lauter Stars in den eigenen Reihen, und der einzige, René Pape, steht bei dieser Bohème-Serie nicht auf der Bühne.

Doch die übrigen, noch nicht genannten, geben soweit wie möglich ihr Bestes: Gyula Orendt als Musiker Schaunard, Miloš Bulajić als Parpignol, und der Einspringer Tigran Martirossian als Philosoph Colline, dessen Mantelarie „Vecchia zimarra, senti“ allerdings etwas mehr Sentiment verdient hätte. Ausdrucksstark und ohne Fehl und Tadel die Chöre, einstudiert von Martin Wright, etwas unstet das Dirigat des jungen Venezolaners Domingo Hindoyan (Barenboims Assistent). Die Staatskapelle hat weitaus mehr an Differenzierungen in petto

Mit letztem Mimi-Charme singt nun Frau Yoncheva das „Sono andati? Fingevo di dormire“. Sie hat sich schlafend gestellt, nun ist sie mit Rodolfo allein. Dieses Schwanken zwischen Erschöpfung, beiderseits aufkeimender Hoffnung, innigen Liebesbekenntnissen, vergeblicher Lebenslust und schließlich Callejas Verzweiflungsschrei „Mimi, Mimi“ – das wird sicherlich allen in Erinnerung bleiben. Das war atemberaubend und erntet Ovationen.

Draußen könnten einige auch ein Muff zum Hände Erwärmen gebrauchen. 
Ursula Wiegand

 

 

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