Berlin: “MACBETH” – Schillertheater, (15. u.) 19. 2. 2015
NACH einer Inszenierung von Peter Mussbach (2000) wurde Macbeth im Einheitsbühnenbild von Erich Wonder, mit interessanter Lichtregie (Sven Hogrefe) und mit großteils sängerunfreundlichen Kostümen von Andrea Schmidt-Futterer am 7. Februar wieder aufgenommen. Wieso die Handlung offenbar ins Reich der Ameisen (Macbeth & Co) und Fliegen (Macduff, Malcolm, schottische Flüchtlinge) verlegt wurde, blieb mir verborgen. Die Bühne zierte ein riesiger Ameisenhügel, im Hintergrund eine Wand, die sich nach oben und unten öffnen konnte. In der vorderen Seite des Hügels befand sich ein “Gully”deckel, aus dem sich zu Beginn Banquo und Macbeth winden mussten!! Alles technisch relativ einfach, aber für die Sänger, allen voran Lady Macbeth und Macbeth, eine ununterbrochene Kletterpartie. Zudem wurde die Brüstung zum Orchestergraben auf etwa 60-70 cm verbreitert, wo Lady und König hin und her gehen mussten und zugleich singen “durften”. Nicht auszudenken, wenn einer über den langen Mantel stolpern sollte ….. Vielleicht ein toller Effekt fürs Publikum, wenn die Sänger direkt vor den Nasen der ersten Reihe vorbei gingen, aber eigentlich schon am Rande der Zumutbarkeit. Dass das Publikum im Parkett, vor allem auf den teuersten Plätzen, die Darsteller aufgrund des raumgreifenden Hügels teilweise erst ab der Brust sehen konnten, störte Regie und Bühnenbildner offenbar nicht!
Die Kostüme für die Hexen bzw. den gesamten Frauenchor sahen witzig aus: extrem schlanke Taille, breite Hüften und pludrige Hosen, sowie knöchelhohe Stiefeletten. Alles suggerierte die gegliederten Körper von Ameisen. Jedes Chormitglied hatte eine individuell gestaltete weiß-schwarze Gesichtsmaske (ab Nase und Augen) und struppige Kurzhaarperücke. Sah toll aus. Auch die Bewegungen waren schnell und eckig. Das waren die einzig wirklich gelungenen Kostüme. Die Protagonisten waren stark geschminkt, vor allem um die Augen. Die Lady trug einen weißen Hosenanzug, der an japanische Gewänder erinnerte, einen langen, schweren Mantel und eine kühne, weißgelbliche Kopfbedeckung (Hut? Haare?). Macbeth erschien in einem schwarzgrauen, dick gefütterten, abgesteppten Oberteil, mit gliederartigen Ärmeln (Ameise eben!) und einem langen, steif wirkenden Rock. Zeitweise auch noch mit bodenlangem, schwerem Mantel! Seine langen Haare waren hinten mit einem dünnen Zopf zusammengehalten. Zum Bankett (das szenisch nicht existierte!) trugen beide festliches Rot: schwere, zottelige Mäntel, roter Kopfschmuck für die Lady. Macbeth trug Krone! Macduff und Co. schienen – meinem biologischen Ratesinn nach – Fliegen zu sein. Der dazugehörige Chor trat mit gitterartigen Köpfen mit 2 riesigen Augen auf, das Gewand glatt, also nicht wie bei den Ameisen in “Ringe” gegliedert. Dass sie alle als Insekten nur 4 “Beine” hatten, ist offenbar künstlerische Freiheit.
Rolando Villazón stand wegen seiner Regiearbeit (La Rondine, ab 8. 3. 2015) an der Deutschen Oper Berlin am 19. 2. nicht mehr zur Verfügung. Da er am 15. schon stark indisponiert war, der erste Ton seiner große Arie zunächst überhaupt nicht anspringen wollte und der Rest nur mit viel Mühe und Schmerzen (auch beim Publikum, zumindest bei mir!) über die Rampe kam, war es sicher günstiger, dass nun Gaston Rivero die Partie des Macduff übernahm. Mit mäßig attraktivem Timbre, aber sicherer Höhe, bemühte er sich um seine große Arie, die er auch differenziert sang. Vor allem war es keine Zitterpartie! Dass er bei seinem Auftritt noch hektischer über die Bühne fetzte als Villazón, erstaunte mich, denn ich dachte, das wäre Villazóns unbändigem Temperament zuzuschreiben. Es war offenbar ein Regieeinfall. Grundsätzlich würde ich Villazón in gesundem Zustand sicher bevorzugen, er verstand es zu phrasieren und bot sehr schöne Piani auf. Doch die Arie ist leider dann doch ziemlich dramatisch und dafür scheint Villazóns Stimme nicht (mehr) geeignet zu sein. Hatte er den Macduff überhaupt nur nochmals akzeptiert, um mit Domingo auf einer Bühne zu stehen?
Die Vorstellung am 19. 2. empfand ich als noch intensiver als die Vorstellung davor. Die Lady schien mir noch mehr in ihren Mann hineinzukriechen, ihn noch mehr mit ihren Ideen zu umgarnen, andererseits ihn noch mehr zu verachten, als er Schwäche zeigte. Plácido Domingo war leider in beiden Vorstellungen das Opfer einer Indisposition, ließ sich aber nicht ansagen. Ein Konzert am 25. 2. in Dänemark sagte er jedoch ab, wahrscheinlich um die Macbeth-Serie nicht zu gefährden. Dass man als Zuhörer davon nicht viel bemerkte, ist seiner felsenfesten Technik, hohen Musikalität und klugen Einteilung seiner Kräfte zu verdanken. So konnte er mit höchster Intensität und bis auf ein paar Rauigkeiten in der Höhe bei Pietà, rispetto, amore überzeugen. Obwohl inzwischen wirklich in den Regionen des Baritons angekommen, verrät das Timbre noch immer die tenorale Vergangenheit, das sollte aber kein Fehler sein! Außergewöhnlich wieder seine Fähigkeit, in jedem Moment den Seelenzustand Macbeths in der Stimme widerzuspiegeln, schwankend zwischen Machtgelüsten und kraftvoller Entschlossenheit, dann wieder voll Angst, Schrecken und Verzweiflung. Von Verdi mit der attraktiveren Musik ausgestattet, wird Lady Macbeth oft automatisch zur wichtigsten Figur. Doch im Zusammenspiel mit Liudmyla Monastyrska herrschte Gleichgewicht, sie ergänzten einander perfekt. Natürlich ist die Lady die treibende Kraft, Macbeth in Domingos Interpretation oft nur mehr ein Häufchen Elend, am Boden kauernd, von Visionen und Angst gequält, von ihr gedemütigt, als Feigling beschimpft. Doch seiner Bühnenpräsenz tat das keinen Abbruch, das Porträt dieses getriebenen Mannes faszinierte. Domingo hatte sich auch entschlossen, nicht, wie in der Fassung von 1865, nach dem Kampf einfach zu verschwinden, sondern die selten gesungene “Todesarie” Mal per me che m’affidai zu singen. In der Fassung von 1847 steht sie ganz am Schluss, hier wurde sie allerdings an etwas früherer Stelle eingefügt, gleich nach der tödlichen Verwundung Macbeths im Kampf: Sterbend verflucht und verdammt er sein Streben nach der Krone. Eine zwar kurze, aber großartige Schlussszene, genau nach Domingos Geschmack. Noch einmal konnte er seine emotionsgeladene Stimme einsetzen und einen ausdrucksstarken und erschütternden Abgang gestalten.
Monastyrskas Lady war zweifellos eine liebende, noch mehr aber nach Macht strebende Frau, die ihren Mann gnadenlos antrieb. Als sie dem psychischen Druck schließlich nicht mehr standhielt und dem Wahnsinn verfiel, zeigte sie in einer stimmlich grandiosen Nachtwandlerszene ihre große sängerische Klasse. Darstellerisch wurde es ihr hier leider nicht vergönnt, besonders zu reüssieren, sie musste in dem Gullyloch steckend (im Nachthemd?) ihre Arie singen! Monastyrska zeichnete mit ihrem kraftvollen Sopran, der sich durch ein breites Spektrum an Klangfarben und dynamische Nuancen auszeichnet, ein spannendes Rollenporträt dieser machtbesessenen Frau.
Den glücklosen Banquo stellte René Pape dar, der mir diesmal eigenartig unbeteiligt schien. Er sang mit wunderbarem Bass, wovon er allerdings sang, wurde durch sein statisches Verhalten nicht deutlich. Er schritt mit langem, zotteligen Mantel über die Bühne, viel mehr war nicht vorhanden. Absolut lächerlich war die Szene, in der er ermordet werden sollte. Die Meucheltruppe erschien mit Zylinder (!?) und schwarzen, langen Mänteln, einer von ihnen stellte Banquo mit einer Riesenaxt nach, schlug dauernd irgendwo daneben und erst als Banquo in den Kulissen verschwand, erschlug er ihn. Ob Banquo dort extra stehen blieb, damit das gelang?
Florian Hoffmann sang Malcolm mit kräftiger und heller, aber nicht gerade schöner Stimme. Weitere Nebenrollen waren passend mit Jan Martinik (Arzt, Mörder, Erscheinung), Evilin Novak (Kammerfrau) und Wolfgang Biebuyck (Diener) besetzt. Die Erscheinungen im 3. Akt wurden durch Knaben(stimmen) interpretiert, was unheimlicher wirkt, als wenn sie (wie an der Metropolitan Opera) von voll entwickelten Stimmen gesungen werden.
Die Regie hatte teilweise durchaus gute Ideen, Manches war aber ausgesprochen unsinnig. Was nun noch auf das Konto von Peter Mussbach ging oder vielleicht etwaigen Sparzwängen oder der Anpassung an die Sänger zum Opfer fiel, konnte ich natürlich nicht nachvollziehen. Auf der Plus-Seite stand etwa die Realisierung der Ballettmusik, die überhaupt nicht getanzt wurde, sondern vom Hexenchor, auf dem Boden sitzend, nur durch kleinste Bewegungen und Kommunikation untereinander – ein Kopfnicken, heimliches miteinander Reden etc. – dargestellt wurde. Absolut mit der Musik und trotz der Abwesenheit großer Bewegungen durchaus spannend. Gut gelöst war auch der sich bewegende Wald, nur leider schickte man Macbeth mit seinem Riesenschwert durch die Reihen der “Bäume”, wo er die Luft zerschlug! Auch das wirkte etwas komisch. Und plötzlich war er verwundet und man hatte eigentlich gar keinen richtigen Kampf gesehen. Unsinnig war die oben schon erwähnte Ermordung Banquos, nur noch übertroffen durch die Ankunft König Duncans beim “Schloss” (=Ameisenhügel) Macbeths. Kein Gefolge, kein Empfang, nichts. Zu dieser durchaus festlichen Musik schleppte sich ein uralter Mann mit Krone, den man nur von hinten sah, im Zottelmantel ganz allein über den Hügel. Hätte man ihn zwei Mal darüber gehen lassen, er wäre von selbst tot umgefallen! Dass es natürlich auch kein Bankett gab, sondern nur einen Aufmarsch der Gäste/Fliegen (?), die mit einem Schlag zu Boden klatschten, als Lady Macbeth ihr Brindisi anstimmte, war mehr als frustrierend. Die Geistererscheinungen schritten dann auch nur von vorne nach hinten quer über den Hügel, besonders schauerlich war das nicht.
Der Staatsopernchor (Martin Wright) bot gerade beim Frauenchor der Hexen eine beeindruckende Leistung. Die Damen sangen differenziert und exakt, leisteten auch eine Menge Bewegungsarbeit, die sie ausgezeichnet bewältigten. Großartig die Lösung, den Orchestergraben als Kessel bei der Bereitung ihres Gebräus zu umtanzen (auch auf der Brüstung vor der 1. Reihe) und darin zu “rühren”! Dampf/Rauch stieg aus dem Graben auf! Da war jede eine Solistin, da die Abstände zueinander groß waren und sie sicher wenig aufeinander hören konnten. Eine riskante und mutige Lösung. Kleine Wackelkontakte beim Auftritt des Chors der schottischen Flüchtlinge waren wohl eine Folge des großen Abstands zum Dirigenten.
Daniel Barenboim wählte mit seiner Staatskapelle Berlin teils ziemlich flotte, dann wieder extrem langsame Tempi, vor allem in den Arien der Lady. Den Sängern gegenüber zeigte er sich sehr aufmerksam und in der Lautstärke stets angepasst. Es gibt sicher knalligere Interpretationen, doch hielt er die Spannung bis zum Schluss. Applaus gestattete er kaum, was natürlich dem Werk zuträglicher ist als dauernde Unterbrechungen.
Insgesamt war es trotz der szenischen Ungereimtheiten und dem “Kostümfrust” ein durchaus aufregender Abend, der mit großem Applaus, Bravorufen und kleinen Blumenbuketts für die Sänger der Hauptpartien und den Maestro belohnt wurde.
Margit Rihl