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BERLIN/ Staatsoper: IL PRIMO OMICIDIO von Alessandro Scarlatti,

08.11.2019 | Oper


Birgitte Christensen (Eva), Kristina Hammarström (Kain) und Thomas Walker (Adam). Foto: Monika Rittershaus

Berlin / StaatsoperRené Jacobs beeindruckt mit „IL PRIMO OMICIDIO“ von Alessandro Scarlatti, 07.11.2019

René Jacobs, der renommierte Barockexperte und ständig auf der Suche nach vergessenen Werken, ist wieder fündig geworden. In der Bibliothek der Musikhochschule Basel hat er das Oratorium „IL PRIMO OMICIDIO“ von Alessandro Scarlatti aus dem Jahr 1707 entdeckt. (Anm.d. Red.: Dazu trifft folgende Richtigstellung ein:

Das ist nicht richtig: Das Werk wurde etwa im September 1992 in der Abbaye de Valloires in der Picardy mit dem Concerto Italiano/ Europa Galante unter der musikalischen Leitung von Fabio Biondi mit einer prominenten Solistenschar mit Gloria Banditelli an der Spitze aufgenommen. Die entsprechende CD des Labels OPUS111 steht in meinem Regal (Cover anbei). Ich habe auch die Tracks mit dem Texten der Rezitative und Arien von der Jacobs Aufnahme aus 2018 mit denjenigen der Aufnahme aus 1992 verglichen. Sie sind identisch.)

 

Nun, während der Barocktage der Staatsoper, können wir dieses so lange verschollene Werk kennen lernen – in Koproduktion mit Paris und Palermo. Für mich wird es in dieser 2. Vorstellung zu einem faszinierenden Erlebnis.

Gemeinsam mit dem für besondere Bilderwelten bekannten italienischen Regisseur Romeo Castellucci macht René Jacobs dieses Oratorium wieder lebendig. Beide gehen recht vorsichtig zu Werke und schaffen ein mystisches Umfeld rund um die biblische Schöpfungsgeschichte. „Der erste Mord“, lautet übersetzt der Titel. Jedenfalls war es der erste nach alttestamentalischer Zählweise: der Mord von Kain an seinem Bruder Abel.

Ursache für das plötzlich auftauchende Böse sind der Sündenfall von Adam und Eva und die darauf folgende Vertreibung aus dem Paradies. Eine überaus harte Strafe, nur weil Eva eine Apfel vom Baum der Erkenntnis gepflückt und Adam in seiner Verliebtheit – so singt er – hinein gebissen und sich über Gottes Verbot hinweg gesetzt hat.  

Nun stehen die beiden voller Reue auf der schummrigen Bühne, also auf der unwirtlichen Erde. Eine lichte Wand trennt sie vom bisherigen Paradies. Mit flammendem Schwert, das schemenhaft aufflackert, hat Gott sie hinausgeworfen.

Für das kurz ertönende Donnerblech und pfeifende Winde ist das bisher in Berlin eher unbekannte B’ROCK ORCHESTRA aus Gent verantwortlich. Auf Originalinstrumenten spielt es anschließend klangreich und sanft mitreißend. Nie wird es aufdringlich, nie klingt es altbacken und ist auch wegen der schön musizierten Soli rundherum zu loben.   

Denn diese Aufführung verträgt keinen Lärm und nichts Ausschweifendes. Die wird zu einem eher stillen magischen Ereignis, das sensible Gemüter schnell in seinen Bann zieht. Die Realität und ein kleiner Spott gehen auch nicht verloren. Eva hat sich nicht mit einem Apfel begnügt, einige weitere Äpfel rollen aus ihrer Kleidung nun auf den Boden.

Einsichtig sind sie beide, bereuen ihr Vergehen, machen einander keine Vorwürfe und sorgen sich nur um die „geliebten Söhne“. Doch ihre dieses Verhalten ist dem erzürnten Gott nicht genug. Ein Altarbild schwebt kopfüber von der Bühnendecke herab als sei es ein Damoklesschwert.

Der angenehm dunkel unterlegte Tenor des Iren Thomas Walker in der Rolle des Adam macht zweierlei deutlich: die unveränderte Anerkennung Gottes und die Sorge um die beiden Knaben. Genau so sieht es Eva, die noch herzlicher die Liebe zu ihrem Mann und den Kindern ausdrückt.

Diese anspruchsvolle Partie singt die Norwegerin Birgitte Christensen. Ihr Sopran klingt anfangs in den hohen Lagen etwas herb, rundet sich aber bald in sehr erfreulicher Weise. Ihre Reue und die Sorge um die Söhne sind nachfühlbar und berührend. 

Viel an Bewegung hat der Regisseur Adam und Eva jedoch nicht zugedacht. Gelegentlich schreiten sie, verharren dann aber mit einigen abgezirkelten Gesten. Die Arien singen die beiden (und nicht nur sie) zumeist Da capo und jedes Mal etwas anders, so als sollte sich alles den Zuhörenden genau einprägen. Der offenbar von Scarlatti gewollte, absichtlich schlichte und meditative Charakter seines Oratoriums wird in dieser Aufführung weitgehend bewahrt, ehe es vorsichtig in eine Oper verwandelt wird.


Olivia Vermeulen (Abel), Kristina Hammarström (Kain) und Arttu Kataja (Stimme Luzifers). Foto: Monika Rittershaus

Anders als zumeist üblich, ist bekanntlich nicht Kain, der Erstgeborene, der Darling der Eltern, sondern der überaus freundliche Abel. Das lassen sie sich keinesfalls anmerken, doch dieser Eindruck drängt sich sogleich auf. Die Frauenstimmen, obwohl beide Mezzosoprane, passen sehr gut zu diesen unterschiedlichen Charakteren.

Kristina Hammarström als Kain bringt einen eher dunkel getönten Mezzo ins Spiel, Olivia Vermeulen als Abel überzeugt mit ihrer zarteren, etwas höher liegenden Stimme. Die Koloraturen der beiden werden zur wahren Wonne, je mehr das Geschehen sich zuspitzt.

Kain wird vom Bassbariton Arttu Kataja als Stimme des Luzifers letztendlich zum Brudermord angestachelt. Eifersüchtig war er schon vorher. Der hell timbrierte Countertenor von Benno Schachtner ist der Stimme Gottes vorbehalten. Er selbst läuft allerdings stets mit einer Plastiktüte fast wie ein Landstreicher herum.  

Die Eltern überlassen es den Söhnen, Gott ein Opfer darzubringen. Kain, der seinem wüsten Acker schwitzend die ersten Früchte abgerungen hat, bringt sie zum Altar. Abel hat das schönste Lamm seiner Herde getötet und will, selbst blutbesudelt, dieses (in Form eines roten glitschigen Tuches) Gott darbieten.

Dieser Gott schätzt offenbar – wie in vielen (früheren) Religionen – das Blutopfer mehr als Kains vegetarische Gaben, denn Abels Opferrauch steigt empor zum Himmel, der von Kain aber nicht. Das macht ihn zusätzlich wütend und ein leichtes Opfer für Luzifers Einflüsterungen.

Der kommt nun schon mit einem kleinen Double daher, und nach der Pause häufen sich die kindlichen Alteregos, die haargenau so gekleidet sind wie die eigentlichen Personen. Erben die Kinder alles von ihren Eltern, die guten und die weniger guten Anlagen? Diese Frage stellt sich bei diesem Anblick durchaus.  

Die Kleinen machen ihre Jobs ganz vorzüglich und scheinen auch die Gesangstexte auswendig zu kennen. Ihre Mundbewegungen stimmen mit denen der Großen beim Singen überein. Durch mein Fernglas (kein Opernglas) lässt sich das genau erkennen. Die eigentlichen Sängerinnen und Sänger stehen im Graben neben den Instrumentalisten/innen oder in den Prozeniumslogen.   

Dieser Kindereinsatz hat nichts Süßliches an sich, im Falle des kleinen Kain sogar etwas Schreckliches. Beim Gang über seine Felder ermordet er den beneideten, mit Schaf- und Rinderzucht reich gewordenen Bruder, der erschöpft eingeschlafen ist. Mit einem (angeblichen) Stein schlägt Kain immer wieder auf den jammernden, aber verdeckt am Boden liegenden Abel ein.

Das ist eine sehr fragwürdige Szene. Soll man ein Kind einen Mord spielen lassen? Castellucci, auch verantwortlich für Bühne und Kostüme, meint dazu, er inszeniere nur Denkmodelle. Überdies könnten Kinder ihre Taten gar nicht einschätzen, daher seien sie per se unschuldig.

Vor dem Gesetzt sicherlich, aber sind sie es wirklich? Schon in der Buddelkiste gibt es Angreifer und Angegriffene, und dass schon Kinder töten, erfahren wir in immer kürzeren Abständen aus den Medien. Castellucci äußert jedoch: „Kain sind wir.“

Jedenfalls hat dieser Junge, Ben Weinberger, seine Rolle als Kain-Double offensichtlich verinnerlicht. Während Kristina Hammerström seine Verzweiflung koloraturreich und dramatisch heraus singt – ein Höhepunkt dieser Aufführung – reißt er sich vor Reue sein Hemd vom Leib und scheint ebenso verzweifelt wie der echte Kain zu singen. Und Abel? Der bleibt weiterhin die unglaubliche, fast penetrante Güte in Person, der von Himmel her die Eltern tröstet und ihnen den künftigen Erlöser ankündigt.

Doch dieser Knabenmord bleibt mein einziger Einwand gegen die Inszenierung und den Einsatz der kleinen Doppelgänger/innen, die das mit echtem Eifer machen, die kleine Eva lieb neben der großen, der lütte Abel neben seinem Vater. Kleine Komparsen kommen umhertollend hinzu.

Letztendlich ist es sicherlich Scarlattis wunderbarer Musik, dem straffen und unsichtigen Dirigat von René Jacobs sowie den großartigen Gesangsleistungen aller Beteiligten zu verdanken, dass diese zweite Halbzeit nicht ins Kitschige abgleitet. Auch nicht, als die Stimme Gottes nun aus der Loge schallt, um den sündigen Menschen die Erlösung durch ihn selbst anzukündigen.

Viele Nachkommen werden und sollen Adam und Eva nun haben, verheißt der Gott, und dieser Auftrag stimmt sie richtig froh und sie haben diesen Auftrag befolgt. Sie, ihre Kinder und Kindeskinder haben die Weltbevölkerung auf  jetzt 7,7 Milliarden Menschen anwachsen lassen. War’s wirklich so gemeint? Ganz real sind jedoch die Jubelstürme des zu Recht begeisterten Publikums.  

Noch drei weitere Aufführungen am 09., 15. und 17. November.    

Ursula Wiegand

 

 

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