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BERLIN/ Staatsoper: IL GIUSTINO von Antonio Vivaldi

23.11.2022 | Oper international

Berlin/ Staatsoper: „IL GIUSTINO“ von Antonio Vivaldi, 22.11.2022

helena rasker (andronico, r), robin johannsen (leocasta,l), foto matthias baus
Helena Rasker (Andronico), Robin Johannsen (Leocasta). Foto: Matthias Baus

Wenn René Jacobs nach Berlin kommt, wird das immer ein Erlebnis. Das ist auch diesmal der Fall, bringt er doch im 30. Jahr seiner Zusammenarbeit mit der Staatsoper auch für die ein Geschenk mit: eine Barockoper von Antonio Vivaldi.

Die ist ebenso eine Premiere fürs Haus wie für das erwartungsfrohe Publikum, das sicherlich Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ kennt, aber vermutlich noch nie eine seiner 49 erhaltenen Opern gehört und gesehen hat. Auch in dieser zweiten Vorstellung ist die Lindenoper voll besetzt.

Sicherlich wird niemand enttäuscht, bietet das Werk doch alles, was die meisten erfolgreichen Opern kennzeichnet: Herz und Schmerz, Liebe und Leid, Krieg, Eifersucht, Intrigen, Irrtümer und schließlich ein Happy End.

Nach der Uraufführung 1724 in Rom wurde der ursprüngliche Fünfakter in Venedig ein Renner. Aber als Bühnenspektakel, also mit szenischen Drum und Dran, wie es damals dort üblich war. Das Publikum wollte nicht nur brav dasitzen und sich allein der Musik widmen. Es wollte während der Vorstellung auch anderweitig unterhalten werden.

Ähnlich machen es jetzt die Regisseurin Barbora Horáková, der Bühnenbildner Thilo Ullrich und die Kostüme-Designerin Eva-Maria Van Acker. Die setzen auf bunte Farben, fauchende Ungeheuer und bieten ein zumeist quirliges Geschehen, passend zu der oft höchst unwahrscheinlichen, von alten Sagen inspirierten Story. Ein Deus ex machina wird letztlich auch hörbar, um das Durcheinander zu entwirren und alles in friedliche Bahnen zu lenken.

Nur der Einsatz von Kindern macht mich immer etwas skeptisch. Das wirkt oft so, als wolle sich das jeweilige Regieteam damit beim Publikum anbiedern. Im Programmbuch werden die Kinder als Doubles der Sängerinnen und Sänger bezeichnet, doch das ist kaum zu erkennen. Immerhin sind sie mit Eifer bei der Sache, und der starke Schlussbeifall sei ihnen gerne gegönnt.

Vivaldis spielt in Konstantinopel um 500, und den Titelhelden, den byzantinischen Kaiser Anastasios I, der von 491-518 regierte, hat es ebenso gegeben wie den aus bäuerlichen Verhältnissen stammenden Giustino, der es bis zum General brachte und im Jahr 518 als Justin I Anastasios Nachfolger wurde. Ob er vorher schon sein Mitregent wurde, wie es in dieser Oper behauptet wird, konnte ich nicht herausfinden. Unüblich war das damals aber nicht.

Auch der aufrührerische Vitaliano ist nicht nur der Fantasie der Texter (Antonio Maria Lucchini nach Nicolò Beregan und Pietro Pariati) entsprungen. Insgesamt ist das Stück Vivaldi und seinem Team so überzeugend gelungen, dass Händel und weitere Komponisten das Werk später ebenfalls vertont haben.

In Berlin bekommt es nun eine andere Richtung und wird noch mehr ins Lustige gewendet. Es wird auch getanzt und geturnt. Die Sängerinnen und Sänger, vom Kenner René Jacobs bestens ausgewählt, machen dabei gerne mit. Sie alle bieten nicht nur perfekt perlende Koloraturen, sie sind auch wendige, gut trainierte Schauspieler/innen.

Jacobs selbst hat diese Oper deutlich auf rund 3 ½ Stunden gekürzt, auch bei den Arien, und einiges aus Vivaldis Vier Jahreszeiten kenntnisreich eingefügt. Doch alles wirkt, gekonnt dargeboten von der Akademie für Alte Musik Berlin, nach wie vor wie aus einem Guss. Mit den vom Regieteam ersonnenen Späßen ist er offensichtlich einverstanden.

Eigentlich soll Anastasios I ein zupackender Herrscher gewesen sein. Doch der Countertenor Raffaele Pe , ein internationaler Star, zeigt sich – mit viel Humor auch mal sportlich herumhüpfend – zunächst kaum als Kaiser, sondern als netter Softi, der eigentlich nur seine geliebte Arianna im Sinn hat.

Mit unermüdlich strahlendem Sopran füllt Kateryna Kasper diese Rolle aus. Auch sie liebt ihn sehr, ist aber weitaus energischer als er. Sie ist diejenige, deren Augen, so heißt es, alle Feinde besiegen, und sie zieht mit ihm in den Krieg gegen den Aufrührer Vitaliano, der angeblich nur das Ziel hat, sie für sich zu gewinnen.

Giustino, ein Bauer, schläft derweil müde von der Feldarbeit auf der Erde, doch die Göttin Fortuna (Olivia Vermeulen mit schönem Mezzo und später auch als ehrgeiziger General Amanzio im Einsatz) weckt ihn auf und fragt nach seinen Wünschen. Eine militärische Karriere will Giustino einschlagen und Macht gewinnen.

il giustino mit raffaele pe (anastasio), kateryna kasper (arianna), komparserie. foto matthias baus
Raffaele Pe (Anastasio),  Kateryna Kasper (Arianna): Komparserie. Foto: Matthias Baus

Das wird ihm gewährt, und seine Tapferkeit kann er auch gleich beweisen, als er Leocasta, die zierliche Schwester des Kaisers, aus den Tatzen eines schrecklich grunzenden Bären befreit. Und sie, die Sopranistin Robin Johannsen, verliebt sich sofort in ihren Retter, den Countertenor Christophe Dumaux, der ebenfalls weltweit tätig ist. Seine Stimme ist etwas dunkler als die von Raffaele Pe und lässt sich gut unterscheiden.

Während aber Giustino für Leocasta zunächst kein weiteres Interesse zeigt, ist das bei Andronico ganz anders. Der hat sich als Frau verkleidet, nennt sich, um ihr nahe zu sein, Flavia und muss stets seine weiße Perücke festhalten. Diese Partie singt gekonnt die Altistin Helena Rasker und spielt sie so übertrieben, dass das Publikum öfter lachen muss.

Solch absichtliche Übertreibungen gehören ebenfalls zu dieser Aufführung. Nur Giustino bleibt sich als nun zielstrebiger Soldat immer treu. Bald rettet er auch Arianna, die Polidarte (Magnus Dietrich, Tenor) im Auftrag von Vitaliano an einen Felsen gekettet hatte. Arianna hatte ihn, der um ihre Liebe flehte, nicht erhört.

Zur Strafe soll sie nun von einem Seeungeheuer verschlungen werden. Dem Südafrikaner Siyabonga Maqungo mit seinem klangreichen, Bariton grundierten Tenor mag man/frau solch eine Grausamkeit gar nicht zutrauen. Seit 2020/21 gehört der Vielseitige zum Ensemble der Staatsoper. – Ariannas Befreier Giustino verhindert das Vorhaben sowieso.

Dass dieser Tapfere damit ihre Sympathie oder etwas mehr gewinnt, ist selbstverständlich. Doch ein teures Schmuckstück, das sie ihm überreicht, lehnt er ab. Amanzio, der das beobachtet hat, erweckt jedoch des Kaisers Eifersucht. Währenddessen wird Giustino zum zweiten Mal der Retter von Leocasta, diesmal vor Andronico, der sie nun, sichtbar als Mann, vergewaltigen wollte. Jetzt wird auch der bisher recht sture Soldat zum Liebenden und erkennt, dass die Liebe wichtiger ist als die Macht.

Nun aber ballt sich alles zusammen, und die Spannung im Publikum steigt ebenfalls. Es folgen die Verbannung von Arianna durch ihren kaiserlichen Gatten und seine Verurteilung Giustinos zum Tode. Der aber kann mit Leocastas Hilfe fliehen, verirrt sich jedoch im Wald und schläft erschöpft ein.

Die Brüder Vitaliano und Andronico, die ebenfalls ihrem Gefängnis entronnen sind, wollen ihn töten, doch die Stimme des Vaters ertönt – huh – aus seinem von einem Blitzschlag geöffneten Grab: „Giustino ist euer Bruder“, ruft der Verstorbene.

Zu dritt eilen sie nun zurück, um Anastasio zu helfen, der von Amanzio entthront und von ihm zusammen mit Arianna zum Tode verurteilt wurde. Giustino nimmt also Amanzio fest, und dankbar erklärt ihn Anastasio zum Mitregenten. Welch ein Plot!

Alle feiern nun Giustinos Krönung und seine Hochzeit mit Leocasta. Der Staatsopernchor, einstudiert von Gerhard Polifka, jubelt mit den beiden Glücklichen. Doch der Held, noch immer im braunen Bauernhemd, weiß zumindest in dieser herrlichen Vivaldi-Oper, dass Liebe wirklich wichtiger ist als Macht. Mit standing ovations werden alle Beteiligten begeistert gefeiert, und René Jacobs ganz besonders.   Ursula Wiegand

Weitere Termine: 25. und 27.11 sowie am 2. und 6.12 , jeweils um 19:00 Uhr.

 

 

 

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