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BERLIN/ Staatsoper: „HIPPOLYTE et ARICIE“ von Jean-Philippe Rameau

05.12.2018 | Oper

 


Hippolyte, Gyula Orendt, Thésée, und Tänzerinnen und Tänzer: Foto: Karl und Monika Forster.

Berlin / Staatsoper: „HIPPOLYTE et ARICIE“ von Jean-Philippe Rameau, 04.12.2018

Gelobt seien die neuen Barocktage, diesmal vom 23. November bis zum 02. Dezember, die der neue Intendant Matthias Schulz als hochwillkommene Ergänzung in den Spielplan integriert hat. Ein voller Erfolg sind sie geworden und zeigen, wie hoch die Zahl der Liebhaber Alter Musik ist und dass sie solche Chancen mit Freude wahrnehmen.

Mehr als 15.000 Besucherinnen und Besucher aus 46 verschiedenen Ländern sind in die Staatsoper Unter den Linden – gekommen, in den Großer Saal, den Apollosaal und den Alten Orchesterprobensaal. Auch die Konzerte im Pierre Boulez Saal mit seiner fabelhaften Akustik waren immens gefragt.

Neben Europa kamen die Besucherinnen und Besucher u. a. aus Australien, Brasilien, China, Hong Kong, Japan, Kanada, Korea, Neuseeland, Panama, Singapur, den USA und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Wer von ihnen nicht in Berlin wohnt, musste also anreisen. Insgesamt betrug die Auslastung 91 Prozent. Die drei Opernvorstellungen – „HIPPOLYTE ET ARICIE“, „L’ORFEO“ und „DIE KRÖNUNG DER POPPEA“ wurden gestürmt und waren restlos ausverkauft. Die nächste Staffel läuft vom 1.-10. November 2019.

Ganz neu von den drei Opern war und ist „HIPPOLYTE ET ARICIE“. Bis zum 8. Dezember laufen die Vorstellungen und sind fast ausgebucht. Eine Tragédie lyrique in fünf Akten hat Jean-Philippe Rameau (1683-1764) geschaffen, einst ein hochberühmter und sehr fleißiger Komponist, der aber später 140 Jahre lang in Vergessenheit geriet.

Schon seit einiger Zeit werden seine Werke wiederentdeckt, nun auch an der Staatsoper Berlin. Es ist sogar der erste Rameau überhaupt, den das Haus auf die Bühne bringt, und das wird aufgrund seiner äußerst klangreichen Musik auch höchste Zeit. Zu erleben ist eine Mischung aus 3 Fassungen, aus der ersten von 1733, der dritten von 1757 sowie der postumen von 1767.  Der Text stammt von Simon-Joseph Pellegrin nach der Tragödie „Phèdre“ von Jean Racine. Gesungen wird auf Französisch mit deutschen und englischen Übertiteln.  

Offenbar war die Staatsoper Berlin bestrebt, nun sogleich ein Hochglanzprojekt zu bieten und hat keine Kosten und Mühen gescheut, um das neue „Barock-Baby“ zu präsentieren. Dafür sorgt vor allem Simon Rattle, der das renommierte Freiburger Barockorchester umsichtig und schwungvoll dirigiert. Auch unterstützt er einfühlsam die großartigen Sängerinnen und Sänger. Die zahlreichen Chorpassagen, eine Spezialität von Rameau, sind beim Staatsopernchor, einstudiert von Martin Wright, in gut geölten Kehlen. Auch als Darsteller sind die darin geübten Choristen mit von der Partie bzw. Barock-Party.  

Die Aufgabe, den Staatsopernerstling mit Glanz zu überschütten, hat man dem weltberühmten Lichtkünstler Ólafur Elíasson übertragen. Für Bühnenbild, Lichtgestaltung und Kostüme ist er verantwortlich, hat sich dazu vieles einfallen lassen, mitunter auch zu vieles. Zuckendes Lichtgitterwerk, störende Lichtblitze bis ins Publikum, Nebelschwaden, minutenlang rollende Wogen auf einer Leinwand und zuletzt die volle Buntheit.

Die Damen hüllt er zumeist in Glitzergewänder mit vermutlichem Blendeffekt. Vielleicht halten deshalb die so Ausstaffierten gerne Abstand voneinander. Die Herren sind eher schlicht gekleidet, besonders der Namensgeber, Prinz Hippolyte, was dann doch etwas verwundert.

Eine Spiegelwand im Bühnenhintergrund verdoppelt noch alles. Auf diese Weise sehen wir Simon Rattle und das Orchester auch von vorne, die Singenden zusätzlich von hinten. Das könnte sehr ablenken. Doch alle Sängerinnen und Sänger – fast eine Luxusbesetzung –  haben ihre Rollen in dieser (von mir absichtlich gewählten) 4. Vorstellung verinnerlicht und lassen das Publikum stimmschön und oft ausdrucksstark teilnehmen an Liebe und Leid, Begehren und Enttäuschung, Trauer und Wut.  

Einfach ist das nicht. Manchmal müssen die Damen und Herren im Halbdunkel agieren oder aus verschattetem Hintergrund in den Lichter- und Blitzwirrwarr treten. Bei Pluto in der gar nicht so düsteren Unterwelt tragen die drei Kontrahenten sonderbare Leuchtkäfige um die Köpfe, die sie beim Singen nach hinten klappen können. Ganz zuletzt wippen die Choristen mit Spiegelhüten, die beim Kopfnicken ins Publikum gleißen.

Weniger an optischen Effekten wäre hier mehr gewesen, und wesentlich mehr wäre seitens der Regie vonnöten gewesen! Aletta Collins, verantwortlich für Inszenierung und Choreographie, die schon zahlreiche Opern bebildert hat, führt hier die Sängerinnen und Sänger keineswegs sachkundig durch das Lichter-Labyrinth. Sie lässt sie im Raum stehen und/oder an der Rampe singen. Von Personenregie keine Spur. Die, die selbst schauspielern können, verhelfen dieser Oper entscheidend zum schließlich bejubelten Erfolg. 

Stattdessen beschäftigt die Britin, früher selbst Tänzerin, fast ständig die Ballettgruppe. Doch in den 3 Stunden wiederholen sich die Gesten und Körperbiegungen, wirken auch oft störend. Echt peinlich ist die simple Bodengymnastik zum Gesang von König Thésée (Theseus), der außer sich ist vor Zorn und Enttäuschung über das angebliche Liebesverhältnis zwischen seiner 2. Frau und seinem Sohn.  

Gyula Orendt als Theseus lässt sich davon nicht ablenken. Mit seinem ausdrucksstarken Bariton singt er herzergreifend über das seltsame Tun am Bühnenrand hinweg. Er kann auch darstellerisch den menschlichen Abgrund begreiflich machen, in den er gestürzt ist.

Bei Pluto in der Hölle war ihm das schon vorausgesagt worden. Diesen Höllenherrscher gibt Peter Rose mit gewaltigem Bass und wahrer Körperpräsens. Als Furie Tisiphone beeindruckt auch Roman Trekel. Mit gut geführtem lyrischem Tenor punktet Reinoud Van Mechelen als Prinz Hippolyte, agiert jedoch sehr zurückhaltend. Seine große Liebe zu Aricie, einer Fremden aus dem Stamm der von König Theseus geschlagenen Pallantiden, kommt darstellerisch kaum zum Ausdruck.

Ganz anders Anna Prohaska als die vom ihm Angebetete, aber dem Dienst an der Göttin Diana Verpflichtete, der Hippolyte ebenfalls dient. Mit ihrem treffsicheren Sopran, zuletzt mit perlenden Koloraturen, überzeugt sie als durchaus raffinierte, aber sehnsüchtig Liebende ebenso wie als intensiv um Hippolyte Trauernde, der später von Meereswogen in die Tiefe gerissen wird.   

Dieses Beinahe-Schicksal verdankt er dem Gott Neptun, dem Vater des erzürnten Theseus, der ihn – wegen des vermeintlichen Liebesverhältnisses zu seiner 2. Frau, der Königen Phèdre (Phädra) – vernichten lassen will. In dieser Königin-Rolle glänzt nun weit mehr als ihr Glitzeroutfit Magdalena Kožená. 

Ihr glaubt man alles: das Verlangen nach ihrem Stiefsohn Hippolyte und die daraus resultierende Eifersucht auf ihre Rivalin Aricie. Und sie verliert alles Königliche, als sie Hippolyte, seinen Wunsch missdeutend, ihre bisher verheimlichte Neigung in einem Gefühlssturm sondergleichen offenbart. Fast bricht sie zusammen, als er entsetzt reagiert und seine anhaltende Liebe zu Aricie betont. Ihr kraftvoller Mezzo schildert packend das Auf und Ab der sie bestürmenden Gefühle, ihre Reue, ihre Scham und ihre Rachsucht. Eine Superleistung!

Doch Diana, die Göttin der Liebe und der Jagd, zu deren Diener die beiden Liebenden gehören, bringt inmitten von Waldesrauschen alles wieder in Ordnung. Selbstbewusst, dem jungen Paar Mut machend und mit intonationsreinem Sopran verkörpert Elsa Dreisig, Berlins neuer Darling, diese Partie.

In den übrigen Rollen in dieser personenreichen altgriechischen Sagenwelt – bei Rameau mit französischen Namen belegt – gefallen die Damen Adriane Queiroz als Œnone, Sarah Aristidou als La Grande Prêtresse de Diane, Une Matelote, Slávka Zámečníková als Une  Chasseresse, Serena Sáenz Molinero als Une Bergère und von den Herren Michael Smallwood als Mercure, sowie Linard Vrielink, Arttu Kataja und Jan Martiník (Tenor, Bariton und Bass) jeweils als Parque.

Als Tänzerinnen und Tänzer fungierten Bruna Diniz Afonso, Ema Jankovic, Patricia Langa, Sophia Preidel, Casia Vengoechea, Yuri Fortini, Daniel Hay-Gordon, Alessandro Marzotto Levy, Will Thompson, Po-Nien Wang und Victor Villarreal.  

Zuletzt heftiger und anhaltender Beifall des sichtlich beeindruckten Publikums, insbesondere und zu Recht für Magdalena Kožená, Gyula Orendt und Anna Prohaska sowie für Simon Rattle und das Freiburger Barockorchester.

 Ursula Wiegand

Letzte Termine am  6. und am 8. Dezember

 

 

 

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