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BERLIN/ Staatsoper: FIDELIO rund um die Beethoven-Büste

15.10.2016 | Oper

Berlin/ Staatsoper:FIDELIO” rund um die Beethoven-Büste, 14.10.2016

Fidelio,Matti Salminen (Rocco), Evelin Novak (Marzelline), Foto Bernd Uhlig
Matti Salminen (Rocco), Evelin Novak (Marzelline), Foto Bernd Uhlig

Ludwig van Beethoven, das ist der Titan, dessen Musik nicht nur in Deutschland zu hehren Anlässen erklingt, speziell seine 9. Symphonie. Oder seine Oper „Fidelio“, wie jetzt bei der Premiere in der Staatsoper im Schillertheater am 3. Oktober zum „Tag der Deutschen Einheit“.

Vernünftigerweise hat man die meist gespielte, gestraffte 3. Fassung von 1814 gewählt, um die sich Beethoven insgesamt 9 Jahre mühte. Dass es seine einzige Oper blieb, ist so gesehen verständlich, zumal er nach einer Fülle von Trios, Quartetten und Sonaten seit dem Jahr 1800 Sinfonien komponierte. Seine Nr. 3, die Eroica, war 1804 fertig geworden, die erste Fidelio-Fassung wurde im November 1805 im Theater an der Wien uraufgeführt. Die 2. Version 1806 ebenfalls dort.

Aufgegeben hat Beethoven diese Freiheitsoper mit einer tapferen Frau als Hauptperson nicht und hat sich weitere 8 Jahre mit der Umgestaltung des schließlich „Fidelio“ genannten Werkes geplagt, das dann doch noch ein Erfolg wurde.

Zuvor, im Jahr 1812, hatte er die Sinfonien 7 und 8 beendet. Und so klingt die immer noch relativ lange – im Vergleich zu den drei zuvor komponierten Leonore-Ouvertüren jedoch kürzere Neufassung – wie eine kleine Sinfonie. Daniel Barenboim und die Staatskapelle Berlin musizieren sie allerdings zunächst etwas uninspiriert.

Gespielt wird diese Einleitung ohne die weithin üblich gewordene Bebilderung, nur einmal schimmert kurz ein beleuchteter Flügel mit einer weißen Beethoven-Büste obendrauf durch den ansonsten geschlossenen Vorhang. Dieses reichlich kitschige Accessoire des Bühnenbildners Hans Schavernoch bleibt uns in der wenig einfallsreichen Inszenierung des inzwischen 81jährigen Harry Kupfer erhalten, steht mal mittig und wird auch mal in den Hintergrund geschoben.

Als sich der Vorhang hebt, soll offenbar der üppige frühere Festsaal vom Theater an der Wien in Erinnerung gerufen werden. Dann fällt – ratsch – die goldgrundige Dekoration runter und gibt eine graue Hinterwand preis, eine Kerkermauer mit der Aufschrift Freiheit, was natürlich gut zum 3. Oktober, der freiheitlichen Wiedervereinigung Deutschlands, passt.

Im Vordergrund dann, sich links am Flügel festhaltend, Matti Salminen als Kerkermeister Rocco und seine Tochter Marzelline, gesungen von Evelin Novak, an der rechten Seite. Salminen (71) besitzt noch immer eine starke Bühnenpräsenz und eine gute Technik, doch nur gelegentlich schimmert die frühere klangschöne Power seines Basses auf.

Immerhin ist er der einzige, der textmäßig zu verstehen ist. In der Pause höre ich einen jungen (!) Mann sagen: „Ich habe überhaupt nicht verstanden, was die alle gesungen haben.“ Selbst die (leicht gekürzten) Singspiel-Sprechtexte, die Kupfer meinte einfügen zu müssen, geben nicht viel Auskunft. Kupfer meint zwar: „Nur auf diese Weise ist es möglich, das Stück zu verstehen, nur dadurch werden die Figuren richtig charakterisiert,“ so in einem im Programmheft abgedruckten Interview zu lesen. Schön wär’s. Die an anderen Häusern übliche und notwendige Übertitelung selbst von auf Deutsch gesungenen Libretti hat sich die Staatsoper diesmal leider gespart.

Die junge Evelin Novak kann mit einem kräftigen, zumeist glitzernden, manchmal etwas schrillen Sopran punkten und zeichnet darstellerisch glaubhaft das junge, im Gefängnisumfeld aufgewachsene Mädchen, das sich sofort in den angeblichen Fidelio verliebt und vom Pförtner Jaquino (gut Florian Hoffmann!) nun nichts mehr wissen will. Die Stimmstärke der jungen Kroatin übertrifft deutlich die zartere von Camilla Nylund, in der Rolle der Leonore = Fidelio. Doch Frau Nylund im dunklen Trenchcoat (Kostüme: Yan Tax) teilt sich ihre Partie clever ein und erhält schon im 6. Auftritt des 1. Aktes für ihre schön, empfindsam und schließlich mit Effet gesungene Arie „Komm, Hoffnung, lass den Stern  der Müden ….“ den ersten Zwischenbefall.

Dagegen enttäuscht zuvor (im 4. Auftritt) das ziemlich berühmte Quartett von Rocco, Marzelline, Fidelio und Jaquino. Die Stimmen sind zu unterschiedlich, als das sich hier ein angeblich „erfüllter Augenblick“ (Programmheft) einstellen könnte. Auch bei Salminens „Goldarie“ bleiben Wünsche offen. Mit Frau Nylund alleine blüht jedoch seine Stimme auf.

 Als weiteres Urgestein hat man Falk Struckmann, KS der Wiener Staatsoper, als Pizarro engagiert. Ihm steht diese Rolle, er zeigt Kraft in den Forte-Passagen, aber nicht mehr viel stimmliche Wendigkeit. Absoluter Pluspunkt ist jedoch der Gefangenenchor. Martin Wright als Chorleiter und seine Mannen – darunter  als Solisten Jin Hak Mok und Bernd Grabowski – machen einen beeindruckenden Job.

Fidelio, Camilla Nylund (Leonore), Andreas Schager (Florestan), Foto Bernd Uhlig
Camilla Nylund (Leonore), Andreas Schager (Florestan), Foto Bernd Uhlig

Im zweiten, auch musikalisch dramatischeren Akt kommt deutlich mehr Schwung und Farbigkeit ins Geschen. Barenboim und die Seinen musizieren nun lebendig und facettenreich. Und alle warten nun auf Andreas Schager als Florestan (der mich 2015 als „Backpacker-Parsifal“ am gleichen Haus stimmlich und schauspielerisch sehr überzeugt hat). Er setzt das „Gott! Welch Dunkel hier! O grauenvolle Stille!“ zurückhaltend an, prunkt auch nicht (wie Jonas Kaufmann in Salzburg) mit einem ellenlang ausgehaltenen „O“.

Zunächst singt er frei im Raum stehend und legt sich dann sonderbarerweise selbst eine Handfessel an.

Bei der Grabgrabung muss Salminen in ein Loch hinabsteigen, Leonore steht draußen daneben, arbeitet kaum mit. Dass sie dann aber den eigenen, wenn auch durch die zweijährige Kerkerhaft lädierten Gatten in dieser Inszenierung angeblich nicht an der Stimme erkennt, wirkt schon wegen der von Kupfer verwendeten Texte reichlich unglaubwürdig. In meinem alten Reklam-Heft steht „Gott! Er ist’s!“

Hier aber sagt/singt sie: „Wer du auch seist, ich will dich retten…“ und zückt die Pistole gegen Pizarro, der ihn geschwind vor dem Erscheinen des Ministers Don Fernando (Roman Trekel) vernichten will.

Schager legt nun, seine Frau erkennend, deutlich zu. Der Bauernbursche aus Gölsen in Niederösterreich, der nach seinen Auftritten in Baden-Baden und Bayreuth eine steile Karriere hinlegt, singt die Partie des fast Verhungerten so kraftvoll und „pumperlgsund“, dass frau sich die Ohren reibt. Klar, das wird allgemein so erwartet, ist vielleicht plötzliche Kraft durch Ekstase. Auch Camilla Nylund entwickelt jetzt ungeahnte Kräfte und lässt ihren Sopran jubeln. Große Emotionen, nun wieder rund um den Flügel mit der Beethoven-Büste.

Doch wird es musikalisch ein hundertprozentiges Event? Nicht ohne Grund wird der triumphale Schluss dieser Oper mit Beethovens Neunter verglichen, die er von 1822-24, seit vielen Jahren völlig taub, komponierte. Fidelio hat also die Bahn gewiesen. Aus Florestans „Wer ein solches Weib errungen..“ (der Chor singt vom holden Weib) – wird dann Schillers „Freude, schöner Götterfunken.“, dargeboten  mit den Stimmen der Solisten und dem stets auftrumpfenden Chor.

Aber genau wie in diesem, durch deutliche Altersunterschiede geprägten Berliner „Fidelio“ funktioniert das selbst bei exzellenten Sängerinnen und Sängern eigentlich nie. Was Beethoven ihnen zumutet, bleibt unerfüllbar. Wie sagte der kluge Nikolaus Harnoncourt nach seinem letzten Auftritt am 11.11.2014 im Konzerthaus Berlin: „Beethoven hat das Scheitern mit hineinkomponiert!“

Dennoch tosender Beifall des glücklichen Staatsopernpublikums für alle Beteiligten, zumal für den großartigen Chor und das wieder vereinte Ehepaar.    

Ursula Wiegand

Weitere Termine am 16., 25. und letztmalig am 28. Oktober

 

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