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BERLIN/ Staatsoper: FAUST von Charles Gounod, ein vorweihnachtliches Gesangsereignis

24.12.2015 | Oper

Berlin/ Staatsoper: „FAUST“ von Charles Gounod, ein vorweihnachtliches Gesangsereignis , 23.12. 2015

Es ist erst die 19. Aufführung nach der Staatsopernpremiere am 15. Februar 2009, und das nach einer Fünferserie im Dezember 2015. Warum wird die französische Faust-Variante, die so viel menschlich-realistischer daherkommt als das Großwerk von Geheimrat Goethe so selten gespielt?

Faust, Tatiana Lisnic als tote Maguerite vor den Osterfest Feiernden copyright Monika Rittershaus
Tatiana Lisnic als tote Maguerite vor den Osterfest Feiernden copyright Monika Rittershaus

An der mit Esprit und Melodienreichtum gesättigten Musik von Charles Gounod kann es nicht liegen, doch ein gewisses Fremdeln ist geblieben. Sonderbar, zumal Gounod den Sängerinnen und Sängern sowie den Chören eine Vielzahl von Entfaltungsmöglichkeiten bis zu wahren Hits bietet. An diesem großartigen Abend in der Staatsoper im Schillertheater werden die Möglichkeiten voll genutzt. Die Interpreten bescheren dem Publikum einen vorweihnachtlichen Hochgenuss.

René Pape, der auch international gefragte Bass-Star des Hauses, ist schon während der Ouvertüre auf der (von Bärbl Hohmann) dem Schillertheater angepassten und ansehnlicher gewordenen Bühne. Angetan mit weißem Glitzerjackett, schwarzer Hose, schwarzen Handschuhen und dunkler Brille (Kostüme: Ilse Welter), tänzelt er locker mit ironischem Lächeln hin und her. Festlich locker, kraftvoll und ohne Ermüdungserscheinungen strömt sein nobler Bass, bringt im Verlauf auch sarkastische Nuancen ins recht böse Spiel.

Stephan Rügamer als alter Faust ist mit kräftigem, dunkel eingefärbtem Tenor für Pape ein guter Partner. Der sinnt aber dank der Librettisten Jules Barbier und Michel Carré nicht in Goethe-Manier darüber nach „was die Welt im Innersten zusammenhält“. Der merkt, gebrechlich geworden, dass er bei seinen Forschungen über den Lebenssinn das eigene Leben versäumt hat. Als er zum Todestrunk greift, erscheint bekanntlich Faust.

Der hat ein besseres Elixier, und sogleich sehen und hören wir den angereisten Pavol Breslik als den verjüngten Faust. Der schlanke Star passt mit seinem Silber-Timbre fabelhaft in die Rolle des schwärmerisch Veranlagten. Ein Schüchterner, den das anfängliche Party-Gewusel nicht interessiert. (Die Choreographie mit puppenhaft zuckenden Leuten, ausgedacht von Otto Pichler, dürfte das Publikum ebenso wenig interessieren, wird aber von den Chören –  einstudiert von Martin Wright – mit saftigem Wohlklang dargebracht. Auch Kathlyn Pope lässt später den Soldatenchor wie traumatisiert zucken.)

Dass sich der in Liebesdingen total unerfahrene Faust in die sittsame Marguerite verliebt und sie keineswegs wie bei Herrn Goethe gleich forsch nach Hause begleitet, ist psychologisch richtig und wird von Breslik genau so gespielt. Im Liebestaumel dreht er dann deutlich auf. Noch deutlicher demonstriert er seine Klasse, als er nach geraumer Zeit die einst so Geliebte als verachtete Kindesmörderin wieder sieht. Die eigene Reue und seine verzweifelten Marguerite-Rufe gehen unter die Haut.

Mit der Einspringerin Tatiana Lisnic (der Frau von Joseph Calleja) hat er eine weltweit gefragte Sopranistin und begabte Darstellerin an seiner Seite. Den Lebensweg des Mädchens bringt sie mit Körpersprache und ihrer glockenreinen, modulationsfähigen Stimme berührend zum Ausdruck: Den Gefühlssturm der plötzlich Verliebten, ihr Leid als von allen Verstoßene und vom eigenen Bruder Verfluchte bis zur verzweifelten Kindesmörderin, die nicht mit Faust flieht, sondern sich Gott anvertraut und das Todesurteil akzeptiert. Gänsehautgefühl!

Zu den hochkarätigen Kräften gehört auch Alfredo Daza in der Rolle des Valentin. Einer, dem nur die Reinheit seiner Schwester am Herzen liegt, nicht ihr schlimmes Schicksal. Die Flüche dieses Baritons mit Bassqualitäten noch in seiner Todesstunde (nachdem ihn Faust mit Méphistophélès’ Hilfe erstochen hat), lassen erschaudern. – Positiv zu erwähnen sind darüber hinaus Marina Prudenskaya als der getreue Freund Siebel und Constance Heller als Marthe Schwerdtlein.

Die perfekte musikalische Grundlage liefert die Dirigentin Simone Young. Sie entlockt der Staatskapelle Berlin manch französisches Parfum und beim dramatischen Schluss mit Glockenklang und Choralgesang satte Notre-Dame-Effekte. Als Organist in Paris kannte sich Gounod damit aus. Und sicherlich auch mit den Klerikern (obwohl er selbst zunächst Priester werden wollte) sowie mit dem Gehabe der angeblich Gottgefälligen. Karsten Wiegand hat das aus Gounods Musik und dem Libretto richtig herausgelesen und in seiner Inszenierung kritisch beleuchtet. Der hochrangige Geistliche, der die verzweifelte Marguerite eiskalt zurückweist und ihr die Hölle voraussagt, ist Méphistophélès im Prälatengewand.

Als sie sich genau zum Osterfest vor der verschlossenen Domtür selbst richtet, feiern die „guten Christen“ Jesu Auferstehung mit sinnlosem Gelächter und Champagner, und der Satan gesellt sich zu ihnen. Die Buhs bei der Premiere von 2009 erscheinen im Rückblick unverständlich, denn inzwischen wissen wir mehr über die Tugend-Fordernden in allen Kreisen und ihrem oft ganz anders gearteten Privatleben. Immerhin hat jetzt ein Mutiger ein „Heiliges Jahr der Barmherzigkeit“ ausgerufen.

Zuletzt Beifallsstürme für alle, insbesondere auch für Simone Young.

Ursula Wiegand

 

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