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BERLIN/ Staatsoper: FALSTAFF von Giuseppe Verdi

02.04.2018 | Oper


Michael Volle (Falstaff), Alfredo Daza (Ford). Copyright: Matthias Baus

Berlin/ Staatsoper: „FALSTAFF“ von Giuseppe Verdi, 01.04.2018

Hätte nicht Giuseppe Verdi als letzte Oper den „FALSTAFF“ komponiert, müsste er es wohl posthum noch tun, nämlich für Michael Volle, der jetzt an der Staatsoper Unter den Linden sein Debüt in der Titelrolle feiert und damit sogleich Maßstäbe setzt. Für mich der beste Falstaff, den ich bisher erlebt habe.

Mit seinem volumigen Bariton füllt er diese Partie voll und mit allen Nuancen aus. Seine Stimme kann schmettern und schmeicheln, albern auftrumpfen und traurig greinen, und all das mit der dazugehörigen Mimik und Körpersprache. Auch William Shakespeare, an dessen Stück „Die lustigen Weiber von Windsor“ sich der Texter Arrigo Boito orientierte, würde wohl mit diesem Theatertier voll zufrieden sein.

Denn Michael Volle – sein meisterlicher Hans Sachs bleibt im Gedächtnis – ist als Schauspieler auch in dieser Partie genau so gut wie als Sänger. Er gibt nicht nur den altersgeilen, total lächerlichen Fettwanst. Einen „normalen“ Bauch hat er zwar, der durch besonders enge T-Shirts (Kostüme: Ursula Patzak) vermutlich absichtlich betont wird. Dennoch wirkt bei dem stattlichen 58Jährigen Falstaffs Prahlerei, er sei noch ein Mann voller Saft und Kraft, durchaus realistisch. Das ist ja zu hören und zu sehen.


Barbara Frittoli (Alice Ford), Michael Volle (Falstaff). Copyright: Matthias Baus

Regisseur Mario Martone macht aus diesem adeligen Vielfraß und Trunkenbold einen lebenslustigen 68iger, passend zum 50. Jubiläum dieser Studentenbewegung. Der Ort: ein maroder Hinterhof mit Grafitti übersäten Häuserwänden vielleicht in Berlin-Kreuzberg.
In Jeans, Lederjacke und Hut sitzt Falstaff anfangs am Schreibtisch und versucht, Ordnung in seine Finanzen zu bringen. Alles verprasst, alles versoffen mit Freunden und diversen Damen, die in jenen Zeiten der freien Liebe aus einer Tür quellen. Zwei Kumpane/Diener – Bardolfo und Pistola – wollen mehr Geld. Auch die, prima gesungen und gespielt von Stephan Rügamer und Jan Martiník, sind echt tolle Typen.
Die haben einen feinen Herrn namens Dr. Cajus (Jürgen Sacher) in der Kneipe bestohlen. Ganz gelassen und spöttisch singt und spielt Volle diese kleine Szene und meint nur, sie hätten professioneller klauen müssen. Und schreibt nun identische Liebesbriefe an zwei Damen, um die zu verführen und dann (wie ein Heiratsschwindler) zu erleichtern. Dass die beiden, Mrs. Alice Ford (Barbara Frittoli) und Mrs. Meg Page (Katharina Kammerloher), verheiratet sind, stört ihn in keinster Weise.

Doch diese Briefe zu überbringen, geht selbst Bardolfo und Pistola gegen die Ehre. Hörens- und sehenswert, wie der Volle-Falstaff diesen Ehrbegriff zerpflückt, die komische Vorstufe von Bertolt Brechts „erst kommt das Fressen, dann die Moral“. Als Briefträgerin agiert stattdessen mit klangreichen Mezzo Daniela Barcellona (Mrs. Quickly), die sich bei der Übergabe der Schreiben offenbar recht gerne von Falstaff begrabschen lässt.

Die arrivierten Damen, auf die es Falstaff eigentlich abgesehen hat, relaxen gerade in einer Saunalandschaft mit dazugehörigem Swimmingpool, in den die junge, bildhübsche Nannetta (Nadine Sierra) auch mal ihren heimlichen Lover Fenton (Francesco Demuro) übermütig hineinstößt. Von den Damen ist die Quirlige mit ihrem Glitzersopran die beste, und insgesamt überzeugen die Herren mehr als die Damen.

Das gilt vor allem auch für Alfredo Daza als Mr. Ford, der – als Fontana verkleidet – Falstaff und ebenso seiner Gattin auf die Schliche kommen will und dafür viel Gold springen lässt. Eine Sonnenbrille genügt, um den eifersüchtigen Ford in einen angeblich erfolglosen Liebeshungrigen zu verwandeln. Falstaff solle Alice verführen, denn wer einmal sündigt, sündigt weiter, so Fords (Fontanas) Logik (und der alte Verdi als Menschenkenner). Alles das macht der Mexikaner mit seiner knackigen, wohl tönenden Stimme und Gestik. Zwei Baritone (er und Volle) in dieser Szene auf Augenhöhe, was sofort mit kräftigem Applaus bedacht wird.

Bei der Planung, wie sie Falstaff lächerlich machen können, geben sich die Damen munter, doch erst wenn er selbst auftritt, gewinnt die Komödie an Fahrt. Der reißt sich das Hemd auf, um Alice mit einem Blick auf sein auf die nackte Brust tätowiertes Wappen zu überzeugen – eine toller Gag, doch ohne die von Falstaff erhoffte Wirkung.

Als Ford mit Polizisten anrückt, verstecken ihn die Frauen zwischen Badetüchern und Bikinis (der Nadine Sierra bestens steht) im Wäschekorb. Ein Hoch auf die beiden Männer, die schließlich den sicherlich schweren Korb eine Treppe emporschleppen, um den Inhalt (mit Volle) zum Waschen in einen nicht sichtbaren Fluss zu kippen.

Falstaff kann sich durch seine Schwimmblase, den dicken Bauch, an Land retten. Wie sehr nun Volle mit dunkel fahler Stimme die Bosheit der Menschen beklagt, ist nachdenkenswert. Verdis letzte und einzig erfolgreiche Komische Oper steckt auch voller Melancholie und Bösartigkeit. Der Wein hilft dem Gescheiterten wieder auf die strammen Beine.

Doch der Kater lässt das Mausen nicht. Daher wagt sich Falstaff tapfer in den tiefen Wald zum mitternächtlichen Stelldichein an einem verwunschenen Baum, hier ein alter Turm. Während der Bühnenumbauten singt Fento (Francesco Demuro) mit schmelzendem Tenor ein inniges Liebesständchen, das mit sofortigem Beifall belohnt wird.

Gleich danach zelebrieren schwarz kostümierte Statistinnen und Statisten im Halbdunkel eine Sex-Orgie. Falstaff liegt aus Angst vor den todbringenden Blicken der Elfen mittenmang am Boden. Selbst in dieser Lage überstrahlt sein Bariton den nun voll einsetzenden Staatsopernchor, einstudiert von Martin Wright.

Und nun wird bekanntlich alles gut. Vater Ford segnet – eine kleine Intrige von Mutter Alice – das richtige Hochzeitspaar: die beiden Liebenden Nannette und Fenton. Dumm gelaufen für den ehrgeizigen Vater und den Langweiler Dr. Cajus. Doch Volle lässt den zum zweiten Mal düpierten Falstaff herzlich und lautstark lachen. Fast nach dem Motto „glücklich ist, wer vergisst, was nicht mehr zu ändern ist.“

Falstaff, der alte fette Rittersmann, scheint sich mit seinen Lebensumständen abgefunden zu haben. Und das alles wäre trotz seiner großartigen Gesangsleistung nur halb so schön, hätten nicht Daniel Barenboim und die Staatskapelle Berlin allen Witz und allen Schwung aus dieser Partitur herausgekitzelt. Barenboim erhält – nach dieser dritten Falstaff-Aufführung während der wiederum sehr erfolgreichen und zu 99 Prozent ausgebuchten Staatsopern Festtage 2018 – dafür zurecht genau so viel Beifall und „standing ovations“ wie Michael Volle und zudem lauter Küsschen von den Damen.

Ursula Wiegand

Weitere Falstaff-Termine: am 20., 23. und 25. Dezember sowie am 01. Jan. 2019

 

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