BERLIN / Staatsoper: DIE WALKÜRE mit Volle, Kampe, Miknevičiūtė und Cutler 28.9.2025
Christian Thielemann und die Staatskapelle Berlin: Ein Ereignis
Foto: Monika Rittershaus
Normalerweise werden Vorstellungen, die weit über den Durchschnitt hinausragen und aus einer besonderen Konstellation heraus einzigartig sind, als Sternstunden bezeichnet. Bei der ersten Vorstellung von Die Walküre als Teil von zwei kompletten Ring-Zyklen an der Staatsoper Unter den Linden diesen Herbst wäre das natürlich im Sinne des Erfinders, aber vielleicht zu einfach gegriffen.
Denn nach hörbar intensiven Proben konnte Christian Thielemann die Klangwunder der Partitur sorgsam gestalten als auch spontan dem eigenen Instinkt folgen. Mit der ihm eigenen Variabilität in der Exzellenz seiner Wagner-Interpretationen war gestern wirklich ein musikalisch erstklassiger und von der Spannung her extrem mitreißender Abend zu erleben. Bis ins kleinste Detail durchhörbar, gerieten sowohl das entlang der Sprache entwickelte Parlando als auch die großen romantischen Orchesterpassagen exemplarisch.
Premiere dieser Walküre in der intellektuell-pseudopsychologisch unterkühlten Regie, den steril abstrakte Forschungssituationen (an Menschen? an Tieren?) simulierenden Bühnenbildern von Dmitri T Tcherniakov und den uninteressanten Alltagskostümen von Elena Zaytseva war am 3. Oktober 2022. In der nunmehr siebten Vorstellung nach der Premiere ist die Besetzung bis auf den Siegmund (damals Robert Watson, jetzt der durchschlagskräftigere Eric Cutler) gleich geblieben. Für Interessierte: Von der ersten Serie des gesamten Rings hat Unitel 2024 einen Videomitschnitt (DVD, Blu-ray) veröffentlicht. Diejenigen, die Näheres über die naturwissenschaftlichen Versuchsanordnungen, die diesem Ring zugrunde liegen, wissen möchten, seien auf entsprechende Beschreibungen in Internet verwiesen. Der Rezensent einer Repertoireaufführung ist der Pflicht der Wertung einer szenisch technokratischen, kaltneonbeleuchteten Werkeinrichtung, der jegliche Stringenz, jeglicher Naturverweis, jeglicher Zauber und natürlich auch Farbe abgehen, Gott sei Dank enthoben.
Musikalisch kam man hingegen aus dem Staunen nicht heraus. Was Christian Thielemann mit der bestens disponierten, großartigen Staatskapelle Berlin aus der so oft studierten und realisierten Partitur an klanglichen Nuancen, an Spontanität und kammermusikalisch empfundener Klarheit zu Gehör brachte, war außergewöhnlich im höchsten Maße. Thielemann ist dann am faszinierendsten, wenn er durch eine erste Riege an Singdarstellern inspiriert, Orchester und Stimmen zu einem klanglichen Gesamtkunstwerk schmieden kann. Da scheinen Cello, Klarinette oder Hörner mit den Seelendispositionen der Figuren, ausgedrückt in der Emotion der Sängerinnen und Sänger, mit einem jeweils passenden Tonfall zu korrespondieren.
Thielemann lässt sich in seinem Tun in keine Schublade stecken. Seine Art, Wagner zu musizieren, als rein romantisch zu beschreiben wäre ebenso daneben, wie ihn als überwiegend sachlich kühl einzustufen. Dabei lässt sich Thielemann klanganalytisch mit großer Selbstverständlichkeit und Eigenwilligkeit auf beides ein. Was die Tempi anlangt, so bevorzugt Thielemann einen flüssigen Stil, kann aber auch die Zeit wie in der berühmten Stelle aus dem Rosenkavalier völlig stillstehen lassen. Kammermusikalische Differenzierung und ein am komplexen Motivengefüge orientierter, ziselierter, stets sinnlicher Klang sind ihm ebenso wichtig, wie das Atmen und das Einswerden mit dem Bühnenpersonal.
Vor allem dann, wenn ein so grandioser Interpret des Wotans zur Verfügung steht, wie Michael Volle einer ist. Volle ist ein klassischer Heldenbariton mit samtig-sonorer Tiefe, metallischen Höhen und einer Mittellage, in der das Ohr baden kann wie in einem wohltemperierten See. Darstellerische Intensität und eine detailfreudige Interpretation gehen bei diesem Künstler Hand in Hand. Den berühmt-berüchtigten Monolog in zweiten Akt legt Volle wie eine Schubert-Ballade an. Volle exzelliert in allen Abschattierungen von getragenen Piani, wunderbarer Diktion und einer Konzentration, dass der Hörer gebannt seiner Erzählung lauscht. Daneben stehen Volle aber auch rasende Zornestöne zur Verfügung. Das Stimmvolumen, mit dem er zu Beginn des dritten Aufzugs den Walküren und sodann Brünnhilde als doppelt „Gelackmeierter“ gegenübertritt, ist eindrücklich furchterregend. Ebenso überwältigend gestaltet Volle den Abschied von Brünnhilde „Leb‘ wohl, du kühnes herrliches Kind!“, wenn der Gott sich endlich erlaubt, über alle selbst geschaffenen Konvention und Rollenzuschreibungen hinweg aus sich herauszutreten und seinen Liebling Brünnhilde schützend in die Arme zu nehmen. Da bleibt kein Auge trocken, vor allem wenn es sich um eine Brünnhilde vom Kaliber einer Anja Kampe handelt.
Anja Kampe ist eine herausragende Brünnhilde und in dieser anspruchsvollen Rolle gut gereift. Mit einer hundertprozentigen Rollenidentifikation wirft sie sich ohne Rücksicht auf Verluste in die vokale und szenische Verkörperung dieser Kämpferin mit dem großen Herzen am richtigen Fleck. Mit Empathie und Charakterstärke verfolgt sie ihren in die Verbannung führenden Weg, der den unvermeidlichen „Verrat“ am eigenen Vater miteinschließt. Kampes goldene Tiefe und Mittellage, ihre hochdramatischen (die vokalen Grenzen nicht scheuenden) Extremhöhen, ihre Phrasierungskunst und – wie bei Volle – vollkommene Einheit von Darstellung und Gesang sind derart packend und berührend, wie ich das seit den besten Tagen einer Gwyneth Jones in dieser Rolle nicht mehr erlebt habe.
Als dritte im Bunde der herausragenden und derzeit weltweit wohl nicht zu toppenden Abendleistungen ist Vida Miknevičiūtė als Sieglinde zu nennen. Wir hören einen schlanken, jugendlich-dramatischen Sopran wie aus dem „Bilderbuch“. Im Piano verfügt Miknevičiūtė über einen irisierenden Seelenton. Für die leidenschaftlichen Ausbrüche am Ende des Liebesduetts im ersten Akt und erst recht in der kurzen, aber gefühlsheftigen Szene im zweiten Akt steht dieser grandiosen Artistin ein silbern gleißendes Forte mit top Höhe zur Verfügung. Das „O hehrstes Wunder“, als Sieglinde von Brünnhilde von ihrer Schwangerschaft erfährt, lässt Miknevičiūtė ohne jegliche vokalen Limits in unvorstellbarer Emphase glänzen.
Eric Cutler ist ihr ein heldisch gediegener, stimmsicherer, wenngleich herb timbrierter Siegmund. Mika Kares muss als Hunding einen dunklen Militaristen mimen, der tatortlike viel mit der Pistole fuchtelt und die meiste Zeit in der Unterwäsche im Bett liegt. Das auch dann noch, als die brave Claudia Mahnke als bürokratisch kühle Fricka füllerbewaffnet mit Wotan das Schicksal Siegmunds verhandelt.
Die Truppe der acht Walküren tritt zuerst am Ende des zweiten Akts als Hüterinnen der in Käfigen gefangenen Versuchs-Kleintiere auf, um dann im dritten Akt in einer Art Hörsaal ihr walkürenrittiges „Hojotoho“ eindringlich und gebührend grell zu schmettern.
Fazit: Eine zu Recht lautstark bejubelte Aufführung von „Die Walküre“ in einer stupenden musikalischen Qualität, von der man andernorts nur träumen kann. Vor allem Volle, Kampe und Miknevičiūte bieten gloriosen Wagnergesang voller dynamischer Nuancen, allesamt osmotisch am Text in vollkommenen Rollenidentifikationen. Ein Erlebnis!
Dr. Ingobert Waltenberger