DER FREISCHÜTZ – eine konzertante Aufführung der Berliner Staatsoper, 26.06.2021
Der bundesdeutschen Hauptstadt blieb es im Jubiläumsjahr vorbehalten, ausschließlich und gleich doppelt ihr Geburtstagskind zu zelebrieren, nämlich den 200. Jahrestag der Uraufführung von Carl Maria von Webers Märchenoper „Der Freischütz“, der wohl deutschesten aller deutschsprachigen Opern. Am 18. Juni, dem Geburtstag selbst, hatte das Konzerthaus als Uraufführungsbühne das Vorrecht, ihre Neudeutung des Stückes durch das Regieteam La Fura dels Baus zur Aufführung zu bringen, die ohne Livepublikum im Saal sowohl auf den Berliner Gendarmenmarkt als auch in die heimischen Wohnzimmer gestreamt wurde. Doch auch die nur wenige hundert Meter entfernte Staatsoper unter den Linden ließ es sich nicht nehmen, das Werk mit zwei kurzfristig angesetzten konzertanten Vorstellungen am 20. und 26. Juni zu würdigen, nachdem eine szenische Serie aufgrund der vormaligen Bestimmungen abgesagt wurde.
Man konnte mit fast kompletter Hausbesetzung auftrumpfen und auch der einzige Gastsänger des Abends, Christof Fischesser, ist als ehemaliges Ensemblemitglied der Lindenoper dem Haus nachhaltig verbunden.
Der Abend wurde ohne Pause gegeben und alle Dialoge, die nicht unmittelbar innerhalb musikalischer Szenen eingebunden sind, wurden gestrichen und durch Texte von Schauspieler Klaus Christian Schreiber vortragend ersetzt, der sowohl den Samiel gab und unterhaltsam zwischen den Nummern durch die Handlung führte.
Die Staatskapelle Berlin hatte mit Alexander Soddy einen kongenialen musikalischen Partner, der das Orchester zu Höchstleistungen animierte. Ebenso verstand er es, jeden Sänger feinfühlig zu unterstützen und der Partitur viele Akzente zu entlocken, die den Abend zu einem musikalischen Genuss werden ließen, wie man ihn an der Spree in den letzten Jahren nur selten zu hören bekam.
Die Riege der Sänger wurde von Evelin Novak angeführt, die neben einer strahlend schönen Erscheinung vor allem mit ihrem leuchtenden Sopran das Publikum begeistern konnte und eine Agathe präsentierte, wie man sie derzeit schöner wohl kaum zu hören bekommt. Ihre beiden Szenen wurden zu innigen Gebeten, die das Leid der Protagonistin nahbar machten und das Publikum bereits nach ihrer großen Arie zur Begeisterung hinriss. Im 2. Akt waren es abermals die himmlischen piani, die andächtig lauschend machten. Novak steht ein wunderbar lyrischer Sopran zur Verfügung, der in allen Lagen zu überzeugen weiß und durch seine ungetrübte Reinheit für die Frauengestalten der deutschen romantischen Oper prädestiniert ist. Ihr zur Seite erlebte man Stephan Rügamer als den unglücklichen Schützen, den man im Haus unter den Linden bisher vor allem in lyrischen Partien kennt und der mit dem Max erstmals bis an seine Fachgrenzen geht. Als erfahrener Interpret weiß er sich diese allerdings klug einzuteilen und präsentiert eine Palette an Farben, die ihre Wurzeln hörbar im Liedgesang haben und das Bild eines hin- und hergerissenen, von Selbstzweifeln geplagten Bräutigams zeichnen. Als gottverlassener Bösewicht Kaspar konnte kurzfristig Christof Fischesser gewonnen werden, der bereits im „Freischütz“ am Gendarmenmarkt zu erleben war. Er beeindruckte mit kernig-sonorem Bass und blitzscharfen Koloraturen, die er dem Publikum in seinem Trinklied und der anschließenden Arie entgegen schleuderte. Eine gewisse Steifheit im Ausdruck lässt sich nicht leugnen, tat dem gesanglichen Genuss allerdings kaum Abbruch. Als Agathes junge Verwandte Ännchen kam Victoria Randem aus dem hauseigenen Opernstudio zum Zug. War man anfangs noch von einer schön timbrierten, satten Stimme beeindruckt, überwogen allmählich doch die gesangstechnischen Mängel die Höhe betreffend. Auch überzog sie als Einzige der SängerInnen die Grenzen der szenischen Darstellung einer solchen konzertanten Darbietung, welche in diesem Rahmen etwas fehl platziert und aufgesetzt wirkte. Manchmal ist weniger eben doch mehr. Ebenfalls aus dem Opernstudio bekam der deutsche Bass Frederic Jost die Möglichkeit, sich in der kurzen, aber wichtigen Partie des altehrwürdigen Eremiten zu präsentieren. Jost ließ einen angenehmen Bass hören, der neugierig auf zukünftige Entwicklungen des jungen Sängers macht. Als Fürst Ottokar vermittelte Roman Trekel die von ihm gewohnte Autorität mit edlem Bariton und prägnanter Akzentuierung im Ausdruck. Das Ensemble vervollständigten Reinhard Hagen als unauffälliger, Ruhe ausstrahlender Kuno sowie Jaka Mihelac als Bauernbursche Kilian.
Der Staatsopernchor konnte als Ensemble überzeugen und präsentierte einen hervorragenden Jägerchor, wohingegen die ebenfalls aus dem Chor besetzten Brautjungfern den berühmten „Jungfernkranz“ zu einer wahren Ohrenpein geraten ließen. Nein, so möchte man dieses Kabinettstück wahrlich nicht hören, vor allem nicht an einem Haus dieses Formates.
Dennoch verließ die Staatsoper an diesem Abend mehr als glücklich und war dankbar für ein musikalisches Erlebnis dieser Art.
Sigrid E. Werner