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BERLIN/ Staatsoper: DER FLIEGENDE HOLLÄNDER. Verpatzte Wiederaufnahme

19.05.2023 | Oper international

BERLIN / Staatsoper Unter den Linden „DER FLIEGENDE HOLLÄNDER“; 18.5.2023

Verpatzte Wiederaufnahme

holl
Foto: Mathias Baus

Es hätte eine glanzvolle Wiederaufnahme der interessanten wie bildmächtigen Inszenierung von Philipp Stölzl aus dem Jahr 2013 werden sollen. Bis dahin war das Werk dieser aus Basel stammenden Produktion gerade einmal 16-mal Unter den Linden angesetzt gewesen. Die Erwartungen waren hoch, zumal Gerald Finley, einer der bedeutendsten und kultiviertesten Bassbaritonstimmen der Gegenwart, zum Debüt angetreten ist, und hochkarätige Gäste wie die höhensichere und durchschlagskräftige Vida Miknevičiūtė als Senta und der französische Tenor Stanislas de Barbeyrac auf einen Operngenuss der besonderen Art hoffen ließen.

Aber es kam anders. Matthias Pintscher, renommierter Komponist, der auch ein gutes interpretierendes Händchen für zeitgenössische Musik oft bewiesen hat, kann mit dieser Partitur nichts anfangen. Das sonst wohl beste Opernorchester der Stadt klang an diesem Abend in den wogenden Meeresfluten leider nur knallig laut und derb. Die Blechbläser hatten auch nicht gerade ihren besten Tag. So störten Ungenauigkeiten und kleine Kiekser schon ab der Ouvertüre. 

Was aber viel schwerer wog als ein lärmendes Orchester, war, dass Pintscher ganze Passagen im Holländer-Monolog, in der Ballade und im großen Duett Holländer-Senta bis zum Stillstand zerdehnte. So spannungsarm und belanglos habe ich diese an sich aufrüttelnde Musik noch nie erlebt. Die im Programmheft für ca. 2h15 anvisierte Spieldauer erstreckte sich dann auch schließlich auf 2h30.

Darunter litt in erster Linie die Senta der tapferen Vida Miknevičiūtė, die im finalen Ensemble mit Erik und dem Holländer Spitzentöne zurücknahm, abreißen ließ, oder nur noch mit äußerster Kraft stemmte und so einfach nur schrill klang. Aber auch zu Beginn der Ballade blieb sie mit einem kurzen Vibrato und flackernden Piani den Eindruck einer wie in einem Traum versunkenen, entrückten Person schuldig.

Stanislas de Barbeyrac, der sich eben noch mit einer mehr als gelungenen Schallplattenaufnahme von Spontinis „La Vestale“ als Feldherr Licinius in die Herzen so mancher Melomanen sang, sollte Erik Erik sein lassen. Sein dramatischer Tenor ermüdete im Laufe des Abends merklich, der Stimmsitz manch hoher Note war unstet, der Klang litt folglich unter einer stumpf kehligen Tonfärbung. Die zugegeben teuflisch schwere Passage „sag, war’s nicht die Versich’rung deiner Treu‘?“ führte ihn an absolute Grenzen. Ein Offenbarungseid.

Wären wir bei Gerald Finley, dem Falstaff der diesjährigen Salzburger Festspiele. Er bewältigte zwar noch die breitesten Tempi, sang auf Linie und mit einem beispielhaften Legato, wie sich das für einen Weltklassesänger seines Kalibers halt so gehört. Aber sein im Ansatz heldischer Bariton trägt (zumindest an diesem Abend) schlecht, ein laues Dauer-Mezzavoce vermittelte den Eindruck, dass er spart und seine Stimme kalkuliert einteilt. Ein solches stimmlich die Noten mit Anstand bewältigen, genügt für die Titelfigur des Fliegenden Holländer aber nicht. Hier muss sich die tödliche Dämonie – um das Publikum in den Bann zu ziehen – auch in einem beeindruckenden Stimmvolumen und metallischen Spitzentönen manifestieren. Für mich persönlich live unvergesslich als Holländer Theo Adam oder James Morris.

Vom Hausensemble ließ sich Jan Martiník als Daland als schwer indisponiert ansagen, ließ aber dennoch schöne Töne in der Mittellage vernehmen.

Marina Prudenskaya, eine der faszinierendsten Interpretinnen der Ortrud und Venus weltweit, ist auf dem Papier eine komplette Luxusbesetzung, allerdings liegt ihr die Mary zu tief. 

Bleibt Magnus Dietrich als großartiger Steuermann, der ohne Abstriche die erfreulichste und rollenadäquateste Leistung des Abends bot.

Der Staatsopernchor kassierte für seine undisziplinierte rhythmische Arbeit am Ende kräftige Buhs, auch der Dirigent musste sich dem lauthals geäußerten Missfallen des Publikums stellen.

Vier Termine der Fünfer-Serie stehen noch an. Nach oben besteht noch viel Luft für „Optimierungen.“

Dr. Ingobert Waltenberger

 

Foto: Matthias Baus

 

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