Berlin / Staatsoper Barocktage: „THE TALLIS SCHOLARS“ im Pierre Boulez Saal mit „THE PATH TO PURCELL“ am 9.11.2019
Fünf Frauen und fünf Männer stehen auf einem kleinen Podium im Pierre Boulez Saal. Vor ihnen an einer Mini-Orgel Matthew Martin sowie der Dirigent Peter Phillips.
Der „widmet seine ganze Karriere der Erforschung und Aufführung polyphoner Werke der Renaissance“, ist im Programmheft zu lesen. Barock und Renaissance – das wird bei den Barocktagen der Staatsoper offenbar in einen Topf geworfen, und Überschneidungen gibt es durchaus.
Dass Peter Phillips ein profunder Kenner gemeinsam mit ausgesuchten Sängerinnen und Sängern am Werke ist, lässt sich sofort hören. Mit seiner Gesangsgruppe THE TALLIS SCHOLARS tourt er durch die Kontinente, um diesen weithin vergessenen oder ganz unbekannten Gesängen Aufmerksamkeit zu verschaffen. Selbst in China, Südkorea und Australien hat das Ensemble – jeweils in großen Sälen – diese alten kunstvollen Weisen gesungen. Schön, dass es nun in Berlin zu Gast war..
Die klaren, reinen Stimmen der Sopranistinnen Amy Haworth, Emily Atkinson, Charlotte Ashley und Ellie Sperling, verstärkt durch die Altistin Caroline Trevor und den Countertenor Alexander Chance, strömen mit den Tenören Steven Harrold und Simon Wall durch den Saal. Fürs Markante sorgen die beiden Bässe Tim Scott Whiteley und Simon Whiteley. Gemeinsam formen sie ein fein gegliedertes Klanggehäuse und schicken Sonnenstrahlen in diesen regnerischen Novembertag.
Sich nun glücklich zurücklehnen? Nicht nur, geht es doch um den Weg zu Henry Purcell, der nach seinem Tod als „Orpheus Britannicus“ verehrt wurde. Doch selbst ein Genie wie er kommt keineswegs aus dem Nichts. Auch Genies haben Vorbilder und stehen in der Musiktradition.
Um das kenntlich zu machen, beginnt das Konzert mit zwei Stücken von Orlando Gibbons, einem Vorgänger von Purcell als Organist an der Westminster Abbey. Zu hören sind sein kraftvoll-munteres „O CLAP YOUR HANDS“, gefolgt von dem sanfteren „SEE, SEE THE WORLD IS INCARNATE“. Soli und Chöre wechseln sich beim 2. Stück stärker ab und erzählen die gesamte Heilsgeschichte von Jesu Geburt bis zu seiner Himmelfahrt.
Doch Purcell hat Gibbons und andere schnell überstrahlt, wie sein „JEHOVA, QUAM MULTI“ beweist, das volles Vertrauen auf Gottes immerwährende Hilfe fantasiereich artikuliert. Nur acht Sängerinnen und Sänger gestalten dieses weitgehend ruhige, aber abwechslungsreiche und mit damals neuartigen Finessen angereicherte Wechselspiel zwischen Chor und Solisten.
Die Fortschritte der musikalischen Entwicklung lassen sich noch besser bei der Vertonung des gleichen Textes herausfinden. Wie vorher Thomas Tomkins widmet sich auch Purcell dem Buch Salomon. „MY BELOVED SPAKE“ heißt dieses Stück, bei dem aber nur der Name identisch ist. Der noch konservativ orientierten Komposition von Thomas Tomkins folgt Purcell mit dato unbekannten Details.
Kurz vorgestellt als weiterer Vorgänger Purcells wird auch Pelham Humfrey mit seinem recht energischen „HEAR, O HEAV’NS“. Noch stärker und ausführlicher zollt dann Tomkins mit zwei weiteren Stücken dem Herrgott Tribut. Die Orgel schweigt dabei, so dass jetzt a capella gesungen wird.
Purcell aber fügt bei „O GOD, THOU ART MY GOD“ die Orgel wieder ein, lässt mit Nachdruck musizieren und beschäftigt erneut 10 Interpreten. Gott hat die Gebete nach Wasser erhört, und so endet das kleine Werk mit einem herzlichen Halleluja.
Noch einmal werden beide Komponisten mit dem „O SING UNTO THE LORD“ miteinander verglichen. Straff fasst Tomkins das Stück und steigert es, immer wieder einen neuen Anlauf nehmend.
Purcell holt jedoch weiter aus, setzt eine Symphonia, gespielt von der Orgel, an den Anfang und eine weitere nach dem 2. Alleluja. Danach sind die Sängerinnen und Sänger an der Reihe mit einer extensiven Gottespreisung, die als Fuge mit einem doppelten Alleluja und einem Amen endet. Statt des relativ bescheidenen Gotteslobs seiner Vorgänger macht Purcell daraus fast eine Kurzoper. Seinem Jubelklang folgen nun Jubel und begeistertes Getrampel des Publikums.
Mit diesen Eindrücken beende ich sehr zufrieden meine persönlichen Barocktage, hatte ich doch Purcells Semi-Oper „King Arthur“ und seine einzige komplette Oper „Dido and Aeneas“ schon in den Vorjahren erlebt. Der Anfang mit Jordi Savall & Le Concert de Nations, das Ende mit Peter Phillips’ The Tallis Scholars – so schließt sich der Kreis.
Ursula Wiegand