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BERLIN/ Staatsoper: BABYLON von Jörg Widmann

12.03.2019 | Oper


Babylon, Susanne Elmark (Inanna), Charles Workman (Tammu), Andrew Watts (Der Skorpionmensch) und Ensemble,

Credits Arno Declair

Berlin/ Staatsoper: „BABYLON“, Oper in sieben Bildern (2012/2019) von Jörg Widmann, 2. Aufführung am 11.03.2019

Gleich beim Betreten des Großen Saals der Staatsoper das große Staunen über die vielen leeren Sitze. Schrecken Berlins Musikfans und ihre Gäste zurück vor der Moderne, obwohl der Komponist (und Klarinettist) Jörg Widmann – ein Schüler von Wolfgang Rihm –  doch ein Könner auf diesem Gebiet ist? Oder haben die Fehlenden die Live-Übertragung gehört oder die Premierenberichte gelesen?

Eines wird der Kritikerin jedoch sogleich klar. Diese Oper ist eine Herausforderung nicht nur für die Ohren und mit einer Dauer von 3 1/2 Stunden inklusive Pause deutlich zu lang. Und das, obwohl diese für Berlin erstellte revidierte Fassung, die zunächst gar als Uraufführung bezeichnet wurde, angeblich eine halbe Stunde kürzer ist als die eigentliche Uraufführung von 2012 in München.

Die zu Grunde liegende Story – eine Liebesziehung zweier Menschen aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen – ist eigentlich kein neuartiger oder schwieriger Stoff. Doch sorgt vor allem der Text von Peter Sloterdijk (Philosoph und Buchautor), der nach allen Seiten auswabert, für eine enorme Streckung des Werks und bei zahlreichen Besucherinnen und Besuchern auch für spürbare Ratlosigkeit. Nicht alle kennen sich im Alten Testament aus.

Wer nicht vorher in der Einführung war oder keine Zeit hatte, das Programmheft mit dem dankenswerterweise abgedruckten Libretto genau zu lesen, ist auf ziemlich verlorenem Posten und versteht trotz der Übertitelung kaum, um was es genau in jeder der sieben Szenen geht.

Also Orientierungsverwirrung statt oder plus babylonischer Sprachverwirrung. Das macht diese Oper zu einem überambitionierten und keineswegs übersichtlichen (Loriot) Bildungsbürger-Menü. Die aber sind an diesem Abend wohl in der Minderzahl.

Der Fülle von Text-Ideen und -Abschweifungen folgt Jörg Widmanns Musik, ein gekonnter, oft auch frischer Parcours durch zahlreiche Stile. An Stelle von GMD Daniel Barenboim, der „Babylon“ nach Berlin geholt hat, aber wegen einer Augen-OP nicht auf dem Pult steht, dirigiert Christopher Ward die Staatskapelle Berlin.  Zusammen machen sie ihre Sache sehr gut.

Und großartig machen es die Sängerinnen und Sänger sowie der Staatsopernchor (einstudiert von Martin Wright und Anna Milukova), der zunächst die ihr Schicksal beklagenden Juden in der „Babylonischen Gefangenschaft“ sehr klangstark zu Wort kommen lässt.

Die hausen im Keller eines grauen mehrstöckigen Hauses mit offener Fassade, die sich im Verlauf mit immer mehr Bewohnern füllt (Bühnenbild: Harald Thor), oft in skurrilen Kostümen. Die Schneiderei muss viel zu tun gehabt haben. Auf diese Weise und in bekannter Manier versucht Regisseur Andreas Kriegenburg das Geschehen zu beleben.

Drastisch ausstaffiert ist vor allem der Countertenor Andrew Watts als Skorpionmensch (Kostüme: Tanja Hofmann), der zu Beginn fordert, das sündige Babylon – immerhin eine Kulturmetropole der Antike – dürfe nie wieder aufgebaut werden. Das Stück spielt also nach der Zerstörung Babylons durch eine gewaltige Überschwemmung, sprich die Sintflut (die diverse Kulturen für sich reklamieren).  

Ganz alleine und im unschuldungsweißen Kleid steht nun die Sopranistin Mojca Erdmann auf der Bühne und jammert bitterlich, da ihr Bruder Tammu sie, die Jüdin, wegen der schönen Babylonierin Inanna – Priesterin der gleichnamigen Wollust-Göttin – verlassen habe. Die rollenbedingt schrillen Klagen, von Mojca Erdmann versiert gesungen, bohren sich in die Ohren.

Auch der Israeli Tammu, der bereits dem babylonischen König als Berater dient, jammert ziemlich verzweifelt, weil ihn die plötzliche Liebe zu Inanna völlig verändert und abhängig gemacht hat. Charles Workman spielt das sehr glaubwürdig, überzeugt jedoch als Tenor nicht hundertprozentig in dieser fordernden Partie.

Handelt es sich hier etwa um eine inzestiöse Geschwisterbeziehung? O nein!  Peter Sloterdijk nennt sie die Seele, die um den Bruder fürchtet, der sich und sie vergessen hat.  Andererseits scheint die Seele sein schlechtes Gewissen zu sein, da er als Jude durch diese Beziehung seinem Glauben untreu wird. In den Rachen eines Löwen sei er gefallen, singen Tammu und die Seele.

Das als kleiner Eindruck. Kurz gefasst prallen hier der Glaube und die Lebensart zweier Völker aufeinander. Der Priesterkönig, mit markantem Bass von John Tomlinson interpretiert, der rigoros die Macht an sich reißt, ist auch kein gutes Vorbild.

In weiteren Rollen: Ein Priester: Florian Hoffmann (Tenor), Ein Schreiber und Erster Pförtner zur Unterwelt: David Oštrek (Tenor), Zweiter Pförtner zur Unterwelt: Giorgi Mtchedlishvili (Bass) und der Schauspieler Felix von Manteuffel als Ezechiel, Vorsprecher der Juden im Exil.

Doch eine ist das absolute Ass dieser Aufführung: Marina Prudenskaya in der Rolle des Euphrat. Die lange Geschichte über die Babylonier und die schrecklichen Regenfluten, mit denen die erzürnten Götter das Volk fast ausgerottet haben, schildert sie mit ihrem volumigen Mezzo so hinreißend und textverständlich, dass man/frau ihr gebannt lauschen muss.  

Doch nun zu Inanna, der eigentlichen Hauptperson, der wollüstigen Priesterin im typisch roten Kleid, die sich jedoch in eine echt Liebende verwandelt. Wohl deswegen darf die dänische Koloratursopranistin Susanne Elmark auch harmonische Töne von sich geben.

Berührend, wenn sie und Tammu abwechselnd oder gemeinsam singen: „Deine Wahrheit ist meine Wahrheit. Wo du bleibst, da bleibe ich auch. Wo du hingehst, dahin gehe ich auch. Denn dein/mein Volk ist mein/dein Volk, und dein/mein Gott ist mein/dein Gott“. Ach wenn’s denn so wäre!

Auch in dieser Oper entsteht nach der zerstörerischen Flut, deren Ende Widmann mit Münchner Oktoberfestklängen (!) feiern lässt, kein gedeihliches Miteinander. Damit sich nicht eine erneute Katastrophe ereignet, muss nach Babylonischer Art ein Mensch den Göttern geopfert werden. Die Wahl fällt auf Tammu, und der wird vom Priesterkönig erdolcht.

Doch Inanna macht sich auf ins Totenreich und becirct mit leisen zärtlichen Weisen den müden Totengott, so dass er ausnahmsweise Tammu entlässt und ihm 50 weitere Lebensjahre schenkt. Diesen müden Tot, der die Gesetze übertritt, spielt Otto Katzameier derart komisch, dass diese Szene zum einzigen vergnüglichen Höhepunkt der Oper wird. Bemerkenswerterweise steigt hier eine Frau und kein Mann in die Unterwelt. Eine Mutige und raffiniert Schmeichelnde rettet ihren Geliebten. Mit ihren Augen und nicht blindlings soll sie ihn ins Leben zurückbringen, fordert der Tot. Eine Umkehrung der Orpheus-Sage.  

Die Besucher, die zuvor in der Pause gegangen sind, haben somit etwas verpasst und auch die glasklare Stimme von Arne Niermann, einem hörbar begabten Knabensolisten aus dem  Kinderchor der Staatsoper. Der trällert zuletzt hoch oben über der plötzlich leeren Bühne einen fremdsprachigen Kinderreim. Danach ein superkurzer Schlussbeifall. Schade. Weit mehr Anerkennung hätten die Mitwirkenden verdient.   Ursula Wiegand

Weitere Termine: 20., 22. und 24. März

 

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