BERLIN / Staatsoper Unter den Linden, AIDA, Premiere, 3.10.2023
Erniedrigte und Beleidigte im sterilen Erinnerungsraum
Foto: Herwig Prammer
Der katalanische Regisseur Calixto Bieito nimmt Verdis „Aida“ zum Anlass, mit High-Tech Theatermitteln die systemischen Auswüchse von Imperialismus und Kapitalismus im Gestern und Jetzt anzuprangern. Ziellos und aleatorisch. Dass Liebe im abstrakt brutalen Ausbeutungs- und Waffenbusiness von machtbesessenen Staatsreligionshütern und Militärs kaum Platz und noch weniger Priorität hat, ist ein Fakt jenseits von politischer Clanparteilichkeit und zweifelhafter Familiensolidarität.
Wo Bieito draufsteht, da ist natürlich kein folkloristischer Pharaonen- und pseudohistorisierender ägyptologischer Kitsch samt Elefanten und triumphalem Bühnenbombast drinnen. Er und sein Team scheitern dennoch mit ihrer in verschiedenen Zeiten (1871, heute) und Ebenen spielenden, pistolen- und dolchfuchtelnden Erzählung einer Romeo- und Juliageschichte verfeindeter Familien, mit wehenden Fahnen.
Eine Collage in Videos (Adria Reixach) sowie der Handlung aufgepfropften Settings von Großwildjagd samt erlegter Löwin, an Haken hängenden Zebra- Tiger und Leopardenhäuten, Elektronikschrott sortierenden Buben, die von einem Clown gepeitscht zu Kindersoldaten mutieren, Migration und Flucht, Bildern von vollgestopften Supermärkten, gekenterten Containerschiffen, Sturmgewehre polierenden Priestern etc. alleine macht noch keinen Sinn und tragen nichts zur Erhellung der in der Oper abgehandelten Konflikte bei.
Zudem gehen diese Überlagerungen auch deshalb ins Leere, weil die Banalität und Beliebigkeit der gezeigten Schieflagen, des auf der Bühne mittels Joker-Clownerien verkörperten „Bösen“ medial so allgegenwärtig ist, dass die in sterilen weißen Räumen glatt servierten „Provokationen“ schlicht und einfach kalt lassen. Wessen Bewusstsein soll da womit und wie geschärft werden? Dass Menschen Menschen in vielerlei Hinsicht ausbeuten, ist leider Tatsache, aber ich sehe keinen aufklärenden Bezug zur Oper „Aida.“ Da dreht sich doch alles um Krieg, Heimatverlust, Verrat, die Ambivalenz von Gefühlen, unerwiderte Liebe und emotionale Ausweglosigkeit.
Europäischer Imperialismus, eine menschenverachtende Gesellschaft, das Spannungsverhältnis zwischen den politischen Geschehnissen der Entstehungszeit des Stückes und unserer Gegenwart, das Ausgeliefertsein der Figuren des Stücks an „gnadenlose Machtkartelle von Priestern und Kriegern“, das zu zeigen, sollte die Absicht sein. Mit enormem Bühnenaufwand (Rebecca Ringst), hydraulischen Szenenwechseln reiht sich Tableau an Tableau. Blutverschmierte Gesichter, Geiselerschießungen, Pelzmäntel und Glitzerkleider. Im Triumphmarsch tritt der Chor auf einmal in Garderoben des 19. Jahrhunderts (Kostüme Ingo Krügler) auf, die aus Viscontis Film „Il Gattopardo“ stammen könnten. Dass weder Konzept noch Umsetzung dem Publikum gefallen bzw. Erschütterung ausgelöst haben, zeigte sich am Buhorkan, mit dem das Leading Team beim Schlussvorhang bedacht wurde. Solch ein politisiertes Allerweltstheater ohne stringenten Erzählstrang lockt kaum jemanden mehr vorm Ofen hervor.
Kleines Beispiel: Als stummen Einstieg in den Abend, bevor Nicola Luisotti am Pult die wunderbare Staatskapelle Berlin die Streicher zu zartem Flirren anheben lässt, sehen wir eine Phalanx an in blau gekleideten Personen. Sie stürmen zur Rampe und beginnen, aggressiv imaginäre Gegenstände (Steine?) ins Publikum zu werfen. Was soll damit gemeint sein? Das Publikum als Teil der Unterdrücker, gegen die sich die armen Unterdrückten wehren müssen?
Foto: Herwig Prammer
Zum Glück ist es um die musikalische Seite des Abends wesentlich besser bestellt. Grigory Shkarupa muss mit seinem roh-mächtigem Bass im blaugelben Versace-Strampler mit Patronenkrone den kindisch dämlichen König mimen.
Als seine silbern-gülden glitzernde und in Fuchspelz, dann in ein weißes Hochzeitskleid gehüllte Tochter Amneris triumphiert Elina Garanca. Der am Zenit ihrer Karriere stehenden Sängerin glückt einfach alles. Die leisen Töne, das Betteln um Radamès‘ Liebe im vierten Akt, die inniglich versprochene Rettung, wenn er auf Aida verzichtet als auch die fulminanten Spitzentöne des Fluchs am Ende der Gerichtsszene, das alles ist ganz große Oper, wie sie heute nicht besser zu hören ist. Darstellerisch überrascht Garanca mit einer verzehrenden Leidenschaft und einem faszinierend ambivalenten Changieren in Bezug auf die Gebrochenheit der Figur zwischen verwöhntem Kind und der Tragik des Nichtgeliebtseins. Der Jubel des Publikums vor dem Vorhang und bei der Premierenfeier kannte keine Grenzen.
Als Aida-Rollendebütantin begeisterte Marina Rebeka mit einem Traumlegato, schwebenden Piani und jedes Orchesterfortissimo übertrumphenden Höhen in den Ensembles. Das gefürchtete hohe C in der Nilarie sang Rebeka mit einer Sicherheit und Leichtigkeit ohnegleichen. Die im Vergleich zu Garanca geringere stimmliche Opulenz machte Rebeka mit einem metallischen Strahl und einer dank der technischen Meisterschaft ihres Singens perfekten Projektion wett. Ein bedeutendes, gelungenes und einhellig bejubeltes Debüt.
In der Publikumsmeinung weitaus weniger gut erging es dem Tenor Yusif Eyvazov als Radames. Unabhängig von der oft erörterten Frage nach der Qualität des Timbres – über Geschmäcker lässt sich nicht streiten – sang Eyvazov die schwierige Tenorpartie beginnend mit einem durchschlagenden „Celeste Aida“ bis hin zu den Piani im Schlussduett im vierten Akt makellos. Ob heldische Attacke, beeindruckend geschmetterte Höhen, Intonationssicherheit und Musikalität, Eyvazov gehört heute sicher zu den besten Interpreten dieser zu recht gefürchteten Spintopartie. Dass er für das Ende von „Celeste Aida“ den sog. „Toscanini“-Schluss gewählt hat, um das Piano am hohen B zu umgehen, hat schon prominenteren Vertretern der Partie geholfen. Da Toscanini unbedingt wollte, dass dieses hohe B am Schluss piano gesungen wurde, bot er Richard Tucker, dem das auch nicht so recht gelingen wollte, eine Kompromisslösung an: Er ließ den Tenor das B forte singen, dann eine Oktave hinuntergehen und das mittlere B im Piano wiederholen. Auf jeden Fall waren die massiven Buhs beim Solovorhang bei objektiver Betrachtung der künstlerischen Leistung unfair und waren partiell sicher politisch motiviert.
Als Hausdebütant gab der italienische Bariton Gabriele Viviani rollengerecht einen brutalen Amonasro, René Pape mit seinem nach wie vor Riesenbass einen herrischen Ramphis, Gonzalo Quinchahual vom Opernstudio einen vielversprechenden Boten und Victoria Randem die Priesterin.
Nicola Luisotti dirigierte die so speziell zwischen repräsentativem Pomp und kammermusikalischer Feinzeichnung dynamisch kontrastreiche Partitur mit viel Italianità. In den großen Ensembles und Märschen klang das Orchester bisweilen sehr laut, was aber auch der Überakustik des Raums geschuldet sein dürfte. Der typische Luxussound der Staatskapelle Berlin bescherte jedenfalls, wie so oft an diesem Haus, einen unvergleichlichen Hörgenuss.
Fazit: Ein szenisch und erzählerisch ideologisch überfrachteter, wenig geglückter, musikalisch aber durchwegs hervorragender Opernabend.
Foto Credits Herwig Prammer
Trailer Youtube Link:_ https://www.staatsoper-berlin.de/de/veranstaltungen/aida.12152/?mediaId=0
Dr. Ingobert Waltenberger