DIORAMA mit Daniil Simkin. -Foto: Film still DIORAMA.jpg
Berlin/Staatsballett: Tanzfilm DIORAMA und das Alleinsein während des Lockdowns, Oktober 2020
Wie sehr Tänzerinnen und Tänzer unter dem Lockdown im Frühjahr gelitten haben, wie einsam sie sich fühlten und wie sie dagegen angekämpft haben, war schon in „Lab_Works Covid_19“ zu erleben, in den Choreographien, die Tänzerinnen und Tänzer des Staatsballetts Berlin während der monatelangen Zwangspause entwickelt hatten.
Ähnlich erging es den langjährigen Partnern Maria Kochetkova und Daniil Simkin, die in unterschiedlichen Ländern zu Hause sind und wie zwei Märchenkinder zueinander nicht kommen konnten.
Der Tanzfilm DIORAMA, der seit dem 15. Oktober 2020 auf Youtube zu sehen ist, greift dieses Thema auf. Es ist ein relativ kurzer, aber eindrucksvoller Film des Choreographen Sebastian Kloborg, der in Zusammenarbeit mit dem Staatsballett Berlin entstanden ist, sich jedoch nicht rührselig in die Länge zieht. Die Musik lieferte das Kronos Quartetts aus San Franzisko, das dort ebenfalls isoliert war.
Wie schwierig es gewesen ist, mit dem plötzlichen Alleinsein fertig zu werden, machen einige Gesten klar. Offensichtlich verzweifelt greifen sich beide Stars manchmal ins Gesicht und verzerren ihre gleichmäßigen Züge. Warum schön sein, wenn der oder die andere fern ist und auch kein Publikum zuschaut.
Simkin, Erster Solotänzer beim Staatsballett Berlin, scheint im großen Saal der Deutschen Oper Berlin übrig geblieben oder gefangen zu sein. Tanzend windet sich durch die leeren Reihen, kann auch nicht die verschlossene Saaltür öffnen, um ins Freie zu gelangen.
DIORAMA mit Maria Kochetkova. Foto: Film still DIORAMA.jpg
Die Russin Maria Kochetkova hat es besser und bewegt sich in großartiger Natur. Sie tanzt in den Dünen von Skagen im dänischen Nordjütland. Ihr schwarzes Flatterkleid und der weiße Sand bilden einen aparten Kontrast. (Kostüme: Lucas Meyer-Leclère).
Das ist nicht nur ein optischer Vorteil. Die Weite der Landschaft eröffnet ihr auch viele Gestaltungsmöglichkeiten. Doch wie (gespielt) mühsam ist es selbst für diese fitte Tänzerin, eine Düne hinaufzurobben. Zornig schlägt sie in den Sand und gleitet zunächst mehrmals ab, ehe sie elegant auf dem rutschigen Sand zu tanzen vermag.
Stattdessen kann Daniil Simkin nur über und durch die Stuhlreihen im Opernhaus „turnen“. Zwischen solchen Hindernissen zu tanzen, ist sicherlich keine leichte Übung, doch Simkin schafft es mit Wendigkeit und Eleganz. Gekleidet in brauner Jacke und hellbrauner Hose hebt er sich farblich kaum von den Sesselbezügen ab. Eine ungünstige Kostümierung.
Das Tanzen der beiden an unterschiedlichen Orten wurde auch von zwei verschiedenen Filmteams aufgenommen. Die Technik macht’s jedoch möglich, dass Maria und Daniil plötzlich auf zwei Bildern nebeneinander zu sehen sind, so als wären sie wieder zusammen.
„Inspiriert von Stummfilmen wollten wir ein Werk schaffen, das eine surreale und bizarre Jagd nach sich selbst darstellt, und das Gefühl schildern, im Raum der Trennung zwischen Künstler und Publikum, Künstler und Muse, Künstler und Leben gefangen zu sein“, äußert Regisseur und Choreograph Sebastian Kloborg.
Daniil tanzt schließlich in eine neblige Leere, Maria bewegt sich Richtung Leuchtturm. Der soll ihr, so hofft sie wohl, ebenso den Weg weisen wie den Schiffen auf hoher See.
Ganz zuletzt hält Simkin im Saal der Deutschen Oper lächelnd etwas Sand in den Händen, der durch seine Finger rinnt. Verrinnen so die Trennungstage und ein Stück des Lebens? Andererseits könnte das auch ein Zeichen der Hoffnung sein, dass beide sich trotz der Trennung nahe sind und die räumliche Entfernung zumindest virtuell überwunden haben.
Ein insgesamt gelungenes Experiment, entstanden während des ersten Corona-Lockdowns. Hoffentlich verursacht die jetzige zweite Zwangspause nicht erneute Trennungen und Zukunftsängste aller Art. Weiterhin zu sehen ist das Video unter
https://www.youtube.com/watch?v=gUptZRB4qF8&feature=youtu.be
Ursula Wiegand