Berlin / Staatsballett Berlin: LAB WORKS 2022, Mai bis Juni 2022
Staatsballett: CHILDREN OF THE NIGHT. Foto: OlafKollmannsperger
Da sind sie endlich wieder, die wenigen Stunden, die beim Staatsballett Berlin tanzend vom wahren heutigen Leben erzählen. Zu sehen und zunehmend zu bewundern ist das nun in LAB Works 2022, die dritte Version von LAB Works seit dem Start 2020 und der Fortsetzung in 2021.
LAB steht für Labor oder Laboratorium, also für Arbeit und Experimente. Genau dieses machten 2020 junge Tänzerinnen und Tänzer, um die Corona-Lockdowns und die persönliche Tristesse mit Mut und Fantasie zu überwinden. Sie taten es mit teils eigenen Choreographien und einem oft neuen Bewegungsrepertoire, das seither weiter entwickelt wurde.
LAB Works 2022, die dritte Version, zeigt die Fortschritte. Die sind sicherlich auch dem zehnmonatigen Weiterbildungsprogramm zu verdanken, welches das Staatsballett Berlin seit September 2021 den Absolvent/innen der Staatlichen Ballett- und Artistikschule Berlin bietet.
Nach der abgeschlossenen Ausbildung soll dieses Programm die Brücke zwischen Schule und Berufsleben bilden. Wesentlich sei außerdem die persönliche Betreuung durch Mentor/innen aus dem Ensemble des Staatsballetts. Darüber hinaus wird gemeinsam an den Choreographien gearbeitet. Das hat wohl gut funktioniert, Vier Stücke von Ensemble-Mitgliedern werden präsentiert.
Der Tänzer Arshak Ghalumyan bewies von Anfang an bei LAB Works seine choreographische Begabung. Schon 2004 arbeitete er erstmals in Hamburg auf diesem Gebiet, in Berlin dann 2017. Inzwischen ist Ghalumyan – Vater von zwei Kindern und mit einer Tänzerin verheiratet – über Berlin hinaus als Choreograph gefragt. In LAB WORKS 2022 agiert er sogar als Künstlerischer Leiter.
Fördern schlechte Zeiten die Bereitschaft weiteres auszuprobieren und in die Waagschale zu werden? Jedenfalls überrascht der ausdrucksstarke Solotänzer Olaf Kollmannsperger hier als guter Fotograf und Video-Produzent.
Dass LAB Works 2022 sehenswert ist, hat sich seit der Premiere am 26. Mai offenbar herumgesprochen. Auch am 13. Juni, meinem Termin, ist die Komische Oper gut besucht und keineswegs nur von jungen Leuten. Auch ältere Tanz-Enthusiasten wollen nicht nur mit überzuckerten Märchen abgespeist werden.
Ebenso gerne oder noch lieber erleben sie die elf jungen Tänzerinnen und Tänzer, die Spitzentanz, Tanz auf High Heels oder Breakdance-Akrobatik in petto haben. Zu oft heißen Rhythmen verströmen sie mal Melancholie, mal deutliche Lebensfreude. Dass hier Talente heranwachsen, wird deutlich. Zusammen mit den Mitgliedern des Staatsballetts werden sie bejubelt.
Das Programm umfasst vier Choreographien:
CHILDREN OF THE NIGHT, Choreographie: Alexander Abdukarimov, Musik: Max Richter, Antonio Vivaldi, Bühne und Licht: Alexander Abdukarimov, Julia Danilenko, Kostüme: Julia Danilenko.
OH CAPTAIN, Choreographie: Johnny McMillan, Musik: Cosmin Nicolae, Bühne, Kostüme und Licht: Johnny McMillan.
THIS TOO SHALL PASS, Choreographie: Vivian Assal Koohnavard, Musik: Khruangbin, Tom Tom Club, Kouroush Yagmaei. Kostüme: Don Aretino, Muyao Zhang, Licht: Amin Shahsavar.
DIE NACHT, Choreographie: Arshak Ghalumyan, Musik: Ezio Bosso, Dawn of Midi, Ludovico Enaudi, Bühne und Licht: Nikolai Korypaev, Kostüme: Lucas Leclère.
Was sich hinter diesen Titeln versteckt, erklärt genauer ein Blick ins Programm:
In CHILDREN OF THE NIGHT geht es um das Liebespaar Amelia und Michael, das (nach einer Mythologie) von Gott in zwei Hälften geteilt wurde, die sich seither suchen. Sie müssen aber einige Prüfungen bestehen, um wieder vereinigt zu werden, und das gelingt.
OH CAPTAIN ist ein Stück für 10 Tänzer, die mit ihrer Männlichkeit fertig werden müssen. Zuerst kauern sie fast ängstlich zusammen, ehe sie sich auseinander wagen und bald temperamentvoll herumtoben. Vorsichtige Zärtlichkeiten münden schließlich in einen Kuss. Das Publikum zeigte am 13.06. Realitätssinn und belohnte diesen Mut mit kräftigem Beifall.
THIS TOO SHALL PASS für neun Damen greift die Umbrüche in der islamischen Revolution auf, aber in humorvoller Weise, garniert mit psychedelischen Rock aus der Hippie-Zeit im Iran. Gezeigt wird aber auch, wie schwierig es ist, als Frau die entsprechenden Rechte einzufordern und zu erhalten.
DIE NACHT von Arshak Ghalumyan vereint fast alles, von der klassischen Balletttänzerin bis zum beeindruckenden Breakdancer. Inspiriert habe ihn, so Ghalumyan, Georg Kolbes Figur „Die Nacht“. Daraus sei die Überlegung entstanden, dass alle Tänzerinnen und Tänzer letztlich ihren eigenen Weg finden müssten, den hier große Spiegel einfangen.
Als Fazit bleibt die generelle Forderung, dass niemand, ob Frau oder Mann, in ein einengendes Korsett gepresst werden sollte. Es ist eine Absage an den Machtmissbrauch – nicht nur im Kunstsektor.
Selbstbewusste Frauen tanzen. Foto: Olaf Kollmannsperger
Besonders deutlich hatten dieses bereits die Tänzerinnen in THIS TOO SHALL PASS ausgedrückt. Eine andere Welt wollen sie erschaffen, ohne (für die Liebe von Frau zu Frau) gesteinigt oder aufgehängt zu werden. Sie wollen Hand in Hand eine Welt aus Gleichheit und Empathie erschaffen, eine bessere Welt mit Heiterkeit. Schön wär’s, wenn das gelingen würde, denkt
Ursula Wiegand
Weitere Termine am 20. und 22. Juni 2022, aber zum Teil mit wechselnder Besetzung beim Ensemble des Staatsballetts.