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BERLIN / Schlosspark Theater: SISI – KAISERIN DER HERZEN; 28.4.2018

Einpersonenstück mit Chris Pichler – ein Seiltanz

29.04.2018 | Theater


Copyright: Chris Pichler

BERLIN / Schlosspark Theater: SISI – KAISERIN DER HERZEN; 28.4.2018

Einpersonenstück mit Chris Pichler – ein Seiltanz

 

„Aber was ist denn mit mir geschehen?“ letzte Worte der Kaiserin nach dem Attentat

 

Wer kennt sie nicht, die Sisi-Filme von Ernst Marischka mit Romy Schneider und Karl-Heinz Böhm als Kaiser „Franzi“? Das Klischee der sternenglitzernd haarreichen, kapriziösen Wittelsbacherin hatte sich so heftig in die DNA des Publikums eingebrannt, dass Romy Schneider darum kämpfen musste, ihre Schauspielkarriere nicht durch „diese romantisch-gefühlvolle Unterhaltung im Stil anspruchsloser Heimatfilme“ (Lexikon des int. Films) geschädigt zu sehen.

 

Jetzt versucht sich Chris Pichler nach ihrer gelungenen Romy Schneider-Hommage erneut in einem virtuosen Soloabend an einer tragischen Kultfigur. Was ist dieser Abend, was will er? Trotz einiger hingehauchter (eigentlich verzichtbarer) Liedchen bekommt das Publikum keinen Zweitaufguss eines „Musicals“ à la Elisabeth zu hören. Chris Pichler will vielmehr den einsamen Menschen hinter dem strengen spanischen Hofprotokoll sichtbar machen. Die Entwicklung des lebenslustigen bayerischen Mädels Lisi zur herb schönen, Liebe gegen selbstzerstörerische Disziplin und Exzentrik tauschenden Frau bis hin zu ihrer besonders grausamen Ermordung am 10. September 1898 bilden den Rahmen des Konzepts. Auch das Attentat war ein Irrtum, wie so vieles im Leben der Enkelin des bayerischen Königs Maximilian I. Die Kaiserin von Österreich und Apostolische Königin von Ungarn war so in der Allmacht der Etikette des Wiener Hofzeremoniells befangen, dass das persönliche Unglück der freigeistig-liberalen Pazifistin, Europäerin und Sprachenfanatikerin vorprogrammiert war.

 

Chris Pichler versteht es – abgesehen von der vielleicht allzu süßen „Herzigkeit“ der Lisi – besonders die Brüche der öffentlichen und privaten Person Sisi erlebbar zu machen. Wie soll sie ohne seelische Verkrustungen in Kauf zu nehmen, ein Leben in schemenhafter Repräsentation und reglementierter Gesellschaft mit den faden Hofdamen gleichzeitig als unerbittliche Wachhunde aushalten können? Pichlers Verdienst ist es, nicht Überliefertes in Frage zu stellen (das gelingt bei dieser übermächtig zu einem Mythos gewordenen Kunstfigur ohnedies nicht), sondern die Tragik, das Nichtbegreifen des Schicksals, das Aufbäumen und sich den Schmerz aus der Seele Schreien, die pure Verzweiflung mit einer ausgefeilten Mimik und ihren wunderbar sprechenden Augen erlebbar werden zu lassen. Wie da Stimmungen schwanken, Euphorie in Desillusion kippt, Zynismus aus Schicksalsschlägen und wohl auch Selbstmitleid erwächst, das ist ganz großes Theater, berührt und nimmt unmittelbar gefangen.

 

In Szenen, die wichtige Stationen des Lebenswegs der Elisabeth Eugenie Amalie (wie Sisi eigentlich hieß) nachzeichnen, vor allem jedoch Emotionen und intime Gedanken der Kaiserin freilegen, erleben wir die Bedingtheiten einer Mutter, einer ewig Rastlosen, der wilden (Zirkus)Reiterin, einer im Schlankheits- und Sportwahn fetischhaft Getriebenen, einer in Zuneigung zum ungarischen Graf Andrássy und ihren Pferden einsam Zurückbleibenden.

 

Intermezzo: Ein besonderes Schmankerl des Abends ist der ganz und gar wienerische Auftritt der persönlichen Haar-Zofe der Kaiserin gleich nach der Pause. Chris Pichler wechselt für eine lustvoll deftige Szene à la Nestroy oder Thomas Bernhard für einen Moment die Seiten. Wie sie hier das böse Klatschmaul schwingt, das muss man gesehen haben. Die Komödie bricht sich Bahn und schlägt ihre mächtige Klaue in all das Ungemach und Leid ihrer kaiserlichen Hoheit. Tratsch, Schadenfreude, Bosheit, Selbstüberhebung und eine gesunde Portion Menschenverstand sind die Ingredienzien, mittels derer das „Volk“ die Kaiserin sieht, belächelt, beneidet und doch auch bewundert. Alleine, wie die täglich „drei Stunden“ dauernde Haarauftürmung mit Tonnen an Haarklammern durch den heißen Kakao gezogen wird, ist ein Kabinettstück der Sonderklasse.

 

Rein optisch bedient die Sisi der blendend aussehenden Chris Pichler auf den traditionsreichen Brettern des schönen Schlosspark Theaters freilich alle Filmklischees. Das verleiht der gesamten Aufführung eine gewisse Ironie, in der die existenzielle Unausweichlichkeit des Schicksals der vom Publikum sicht- und hörbar verehrten Figur umso härter und bestürzender wirkt.

 

Am Ende viel Jubel von Afficionados aller Art und Liebhaber feiner Sprech- und wandlungsfähiger Darstellungskunst, für die Chris Pichler auch in Berlin zu einer sicheren Marke geworden ist.

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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