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BERLIN/ Schaubühne: RICHARD III. Lars Eidinger im Theaterolymp und dessen satanischer Hitze

06.10.2016 | Theater

BERLIN / Schaubühne: RICHARD III, 5.10.2016

Lars Eidinger im Theaterolymp und dessen satanischer Hitze

Das Duo Thomas Ostermeier und Lars Eidinger scheint ein Glücksfall für Shakespeares Dramen zu sein. Nach dem (noch immer vor ausverkauftem Haus) laufenden Hamlet aus 2008, ist auch dieser Richard III/Premiere 2015 längst zu einem begehrten Berliner Theaterklassiker geworden. Was einstens Gerd Voss nicht nur in eben dieser gespenstischen Rolle für das Burgtheater in Wien war, ist nun Lars Eindinger für die Berliner Schauspiellandschaft geworden: Ein Popstar der gnadenlosen Entäußerung, eine charismatische Brettl-Diva, ein Darstellungs- Sprach- und Improvisationsgenie, eine „Rampensau“. 

Hausherr und Regisseur Ostermeier braucht keinen großen Firlefanz auf der neo-elisabethanischen Szene. Auf dem Halbrund vor nackter Bühnenwand, genügen ein Stuhl, ein Tisch. Ein dreistöckiges Holzgerüst samt Leitern und Projektionen, rechts ein Schlagzeuger, das wars. Das Globe Theatre des Jan Pappelbaum feiert nun in Wilmersdorf frohe Urständ.

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Lars Eidinger. Copyright: Arno Declair

Der Richard III des Lars Eidinger ist ja eigentlich ein ganz Süßer, kuschelig sexy trotz Klumpfuss, Buckel und Nackenkrause. Ein Hannibal Lecter zum Anfassen, zum Bestaunen und Bemitleiden, dessen charmanten Verführungs- und Manipulationstiraden mann/frau ja gerne erliegen würde, wüsste nicht jeder, dass er vor lauter Morden hüfthoch im Blut der geschlachteten Feinde und Gegner watet.

Viel an seinen akrobatischen Ränken und körperlichen Verdrehungen ist Show; Eidingers Richard III ist auch Alleinunterhalter, Exhibitionist, Sänger, am Mikro nuschelnder Narziss und dumpf Schalenerdäpfel mit Topfensoße (die er sich später ins Gesicht schmieren wird) mampfender Prolo. Aber seine Augen, diese leuchtenden Augen des grandios virtuosen Schauspielers, dieses Rattenfängers von Hameln lassen uns erschauern, bringen Ernst ins Spiel, den existentiellen Ernst von Leben und Tod, zwischen Farce und Tragik, Banalität und politischer Waffe.

Im demokratischen Rund der Bühne, in dem einige Versuche wie weiland zu Shakespeares Zeiten mit dem Publikum gemeinsame Sache zu machen, fürchterlich scheitern, darf jemand, der sein tödliches Gift aus den versiegten Brüsten des Establishment saugt, nicht nur politische Figur sein, sondern rächender und hassender Außenseiter sein. Ostermeier im O-Ton: »Um König zu werden, verfolgt Richard sehr böse Absichten, aber er muss die Rolle von jemandem annehmen, der nur an Gott, dem Wohlergehen des Königs, des Königreiches und Englands interessiert ist. Es muss so tun, als beabsichtige er nichts Böses. Was mich interessiert, ist der theatrale Vorgang, dem Schauspieler die Aufgabe zu geben, die Gegnerrolle zu spielen. Das ist natürlich sehr fordernd. Wenn man etwas zu Richard hört, denkt man, es sei ein Stück über das Böse, über die böseste Figur, die es in der dramatischen Literatur überhaupt gibt. Das stimmt. Gleichzeitig ist man aber mit der herausfordernden Aufgabe konfrontiert, diese Bösartigkeit nicht zu zeigen – weil es sonst nicht funktioniert.« Richard ist der erste in einer Reihe von Bösewichten in Shakespeares Werk, deren moralische Unabhängigkeit und virtuose Manipulationskunst an Machiavellis »Fürst« geschult scheint: Jago in »Othello«, Edmund in »König Lear«, die Lady in »Macbeth«. Aber das Stück erschöpft sich nicht in der Dämonisierung eines psychopathischen Amokläufers. Es ist auch das Porträt einer durch interne Kämpfe tief zerrütteten Machtelite, aus deren Mitte eine perverse Diktatur erwächst.

Thomas Ostermeier kreiert ein betont körperliches Theater, das mit der stets klar artikulierten Sprache aller diesen Rausch erzeugt, diesen Sog, der den Zuschauer auch an Stellen packt, wo es ihm nicht immer angenehm sein muss. Die Übersetzung und Fassung von Marius von Mayenburg ist des taugliches Vehikel. Eigentlich tut einem keine/r Leid aus dieser machtbesessenen, kalten, von Schuld zu Schuld schlitternden, im Endeffekt sich langweilenden Elite, deren einziges Band die Lust daran zu sein scheint, wer im Gesellschaftsspiel russisches Roulette als nächster die scharfe Kugel erwischt.

Als politisch gar nicht so korrekte Parabel, lebt jede Aufführung von Richard III auch vom Kitzel, Zeuge von ganz und gar Verbotenem zu sein, begangen vor den eigenen Augen. Natürlich ist das auch trashy, die Lacher im Publikum sagen ja so ein bissl zwischen verzweifelt und selbstberuhigend: Ha erwischt, das ist Theaterblut und kein echtes. Aber so ganz wohl ist dabei niemandem. 

Das Ensemble der Schaubühne läuft in vom Regisseur geordneten Umlaufbahnen um die Theatersonne Lars Edinger. Alle spielen hervorragend und verdienen, hier explizit genannt zu werden: Der Buckingham des Moritz Gottwald, die Elizabeth der Eva Meckbach, die Lady Anne der Jenny König. Hastings, Brakenbury, Ratcliff werden von Sebastian Schwarz verkörpert, Catesby, Margaret und der Erste Mörder von Robert Beyer. Edward, Bürgermeister und der Zweite Mörder finden in Thomas Bading ihre kongeniale Umsetzung, Clarence, Dorset, Stanley und der Prinz v. Wales (als Puppe) werden von Christoph Gawenda dargestellt, Rivers und York (als Puppe) von Laurenz Laufenberg. Der Schlagzeuger Thomas Witte muss schauen, dass ihm Richards Blechteller mit Kartoffel nicht um die Ohren fliegt, ansonsten sorgt er für den gehörigen Lärm.

Die Aufführung ist für alle Beteiligten ein Kraftakt und dauert knapp drei Stunden ohne Pause. Gastspiele gab es bisher in Avignon (Juli 2015),Craiova (April 2016), Harbin (Juni 2016), Tianjin (Juli 2016), Edinburgh (August 2016) und Stockholm (September 2016). 

Für alle, die es irgendwie schaffen, eine der 300 Karten pro Abend zu ergattern, hingehen und sich von diesem großartigen „Spiel des Bösen“ faszinieren lassen.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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