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BERLIN/ Schaubühne: NULL von Herbert Fritsch

31.03.2018 | Theater


NULL, mit Florian Anderer, Jule Böwe, Bastian Reiber, Ruth Rosenfeld, Ingo Günther, Carol Schuler, Foto: Thomas Aurin

Berlin/ Schaubühne: „NULL“ von Herbert Fritsch, 30.03.2018

„Eins, zwei, drei, vier“ zählen die Neun, die Regisseur Herbert Fritsch in der Schaubühne zwischen kahlen Betonwänden von Kreis zu Kreis hüpfen, hinfallen und grimassieren lässt. Lustig wirkt es, wie sie sich – angeführt von der besonders lernwilligen Jule Böwe im grünen Kleidchen (Kostüme: Bettina Helmi) – immer wieder vertun, an der leichten Aufgabe graziös  oder absichtlich plump scheitern und ihr Missgeschick mit verlegenem Lächeln kaschieren. Der schlaksige Bernardo Arias Porras zeigt sich darin als Meister.

Immerhin schafft es Jule Böwe, über die nie genannte Null mit einem Sprung wieder zur Eins zu gelangen. Das alles wirkt wie eine Geburtstagsfeier im Kindergarten, und das Publikum lacht laut bei jeder Verrenkung und jedem Rollen der Augen. Mein Nachbar guckt sich das Stück, das am 24. März Premiere hatte, schon zum zweiten Mal an. 

Aber so amüsant, wie es scheint, ist das alles eigentlich nicht. Hinter den famosen Slapstick-Einlagen und weiteren Gags verbirgt sich ein tapferes Anspielen gegen die eigene Stunde Null: die Quasi-Abwicklung von Frank Castorfs Volksbühne.

An der Schaubühne mussten Fritsch und „seine Leute“ wieder bei null anfangen, doch die Fans von Nonesense mit tieferer Bedeutung sind ihnen offensichtlich gefolgt. Nach „Zeppelin“, dem ersten Stück in der neuen Heimat, begeistern sich nun viele an dieser Null-Nummer. Fast sämtliche Vorstellungen sind bereits ausverkauft. Restkarten gibt’s an der Abendkasse.

Nun geht’s an die Drahtseile, doch schon der angebliche Kampf mit den Sicherheitsgurten, in denen sie sich erstmal verheddern, wird zur Lachnummer. Danach schwingen sie hin und her, einige kommen auch mal ins Trudeln. Zwei stoßen zusammen und nutzen die Gelegenheit zum Schmusen (Jule Böwe und Bernardo Arias Porras).

Die Schauspielerinnen und Schauspieler haben an diesem witzigen, aber Fitness erfordernden Beinahe-Trampolin-Wettstreit ebenso viel Spaß wie das Publikum. Einer reißt dabei die Stoffbahnen runter, die rechts ganz simpel vor einer Tür hängen. Die anderen schweben in diversesten Körperhaltungen über dem Nichts. Fritsch sagt dazu: „Ich will mit dem Nichts spielen, das sich als Etwas ausgibt.“ Und genau das tun die Interpreten mit dieser erheiternden Luftnummer.

 

Der Umbau erfolgt in der Pause auf offener Bühne. Einige holen sich derweil einen Drink, die anderen bleiben im Saal und verfolgen neugierig das Geschehen. Eine Riesen-Plastikhand mit beweglichen Fingern hängt bald hoch im Raum und senkt sich später bedrohlich auf die Agierenden, die sie jedoch eher als schützende Hand zu verstehen scheinen. Werner Eng vergisst dabei sogar, ständig an seiner Hose zu ziehen, damit sie ihm nicht vom Hintern rutscht.

Und da ist auch noch eine lange Kletterstange, die bis unter die Bühnendecke reicht. Aha, an der werden sie sich alle gleich emporhangeln. Irrtum. Fritsch lässt uns warten und macht es damit spannend. Zunächst wird dieses Fremdmöbel von den Damen nur vorsichtig befühlt oder geküsst.  

Derweil kreist aber schon Axel Wandtke mit einem echten Gabelstapler umher und hebt den kerzengerade (und ohne Haltegriff) auf den ausgefahrenen Zinken stehenden Florian Anderer  unter die Bühnendecke bis zur Stange, an  der er sich hinunter gleiten lässt. Großer Beifall dafür. Dass „frau“ eine solche Stange auch für total verrückte Gymnastik-Übungen nutzen kann, beweist die kleine Carol Schuler, ansonsten eine Meisterin leicht debiler Mimik, die übrigens auch die spritzige Ruth Rosenfeld komplett drauf hat.


NULL, mit Jule Böwe, Bernardo Arias Porras, Ingo Günther, Florian Anderer, Carol Schuler, Bastian Reiber, Axel Wandtke, Ruth Rosenfeld, Foto: Thomas Aurin

Das Ganze mündet in ein irrwitziges Plastikhand-Gabelstapler-Blechbläser-Ballett, die beste Nummer überhaupt. Ingo Günther gibt den Dirigenten und hat sich deren Gesten zum Schmunzeln genau abgeschaut. Die „Musiker“ blasen in ihre Tuben, Trompeten Posaunen usw., doch nur Luft kommt zunächst rauschend heraus. Bei der Verbeugung streicheln sie ihre Instrumente dennoch mit Hingabe. Jule Böwe wiegt das ihre wie ein Baby im Arm.

Doch von wegen Null-Event. Jetzt geht’s erst richtig los. Es dröhnt und tutet, dass dem Publikum bei dieser Kakophonie die Ohren wackeln. Bastian Reiber, der als Blechbläser den Kampf mit seiner Blondperücke zuvor gewonnen hatte, fährt nun rasant den Gabelstapler und zeichnet mit ihm imaginäre Nullen auf den Bühnenboden. Bei dieser Supernummer vergessen die Zuschauerinnen und Zuschauer sonderbarerweise das Lachen, doch umso heftiger ist hinterher der sehr verdiente Applaus für alle Mitwirkenden.  

Ursula Wiegand

Weitere Termine: 01., 02., 27.,  28., 29. und 30. April sowie am 1. und 2. Mai

 

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