Zaratiana Randrianantenaina, Edivaldo Ernesto, Virgis Puodziunas, Yoshiko Chuma, Meg Stuart (sitzend), © Eva Radünzel
Berlin/ Radialsystem: „DIALOGE-WIRBEL“ von Sasha Waltz & Guests, 08.04.2018
„Dialoge-Wirbel“ heißt das neue Projekt von Sasha Waltz & Guests im Rahmen des 25jährigen Jubiläums der Compagnie 2018. Im September soll der in diesem Metier außergewöhnliche Geburtstag gefeiert werden. Aus diesem Grund treffen sich vorab die Weggefährten von Sasha Waltz aus diesem Vierteljahrhundert, die Tänzer/innen und Freund/innen der Compagnie. Es geht um den Dialog zwischen Tanz und Musik. Dabei wechseln die Interpreten/innen an den vier Abenden und ebenso die Musiklieferanten.
In gewisser Weise ist es ein Probelauf für die zu erwartende Feier. Sich austauschen und wohl auch üben ist angesagt. Doch so einfach wird das Gezeigte oder zu Zeigende nicht ausgedrückt. Alles läuft unter der Bezeichnung Improvisationen. Also kann, so der Eindruck, jeder und jede das machen, was ihm oder ihr gerade in den Kopf kommt. „Dabei ergeben sich an jedem Abend neue Konstellationen und Situationen“, steht im Programm-Folder.
Sasha Waltz mag Improvisationen und die Lust am Experiment. „Das Wichtigste an den DialogeProjekten ist es für mich, ganz unterschiedliche tänzerische Formen und musikalische Welten zu erfahren. Es geht mir dabei nicht um eine ästhetische oder inhaltliche Eingrenzung, sondern um die größtmögliche Freiheit der Kunst“, formuliert sie.
Die Dialoge bieten den Tänzern Freiräume und ihr selbst Anregungen. Dafür gibt es beste Beispiele aus der Vergangenheit, so vor Jahren im Jüdischen Museum Berlin, im wieder erstandenen Neuen Museum und vor gut einem Jahr in der Hamburger Elbphilharmonie.
Räume zu bespielen ist eine Domäne von Sasha Waltz. Ähnliches hatten zumindest zur Premiere am 7. April wohl die langjährigen Fans von Sasha Waltz erhofft. Tagsdarauf, in der zweiten Vorstellung, sind die Erwartungen schon gedämpfter, und gedämpft bleibt oft auch die Stimmung des Publikums.
Denn zu selten passiert etwas, das nachhaltig die Blicke bannt, wie einige Pas de Deux, die zwischen Angriff und Zärtlichkeit oder umgekehrt wechseln. Dialoge halt, fast wie im wahren Leben. Die Lacher im Publikum oder ein Schmunzeln – eigentlich eine Spezialität von Sasha Waltz’s Kreationen – haben ebenfalls Seltenheitswert.
Das anfängliche Gehen, dann das Rennen sind zu üblich, um bei den Zuschauern und Zuschauerinnen Emotionen zu wecken, und manche Streckungen erinnern an die eigene wöchentliche Gymnastikstunde. Sollte nicht wie in der Musik auch bei Improvisationen ein gewisses Grundmuster erkennbar sein, das dann variiert wird? Bei der von mir besuchten Vorstellung entstand der Eindruck eines Testlaufs für das Jubiläumsprogramm. Aus dem, was die Einzelnen bieten, soll später etwas Gelungenes zusammenfügt werden.
Annapaola Leso, Virgis Poudziunas, Meg Stuart (liegend), Sasha Waltz, Davide Camplani, Edivaldo Ernesto, © Eva Radünzel
Und wo ist eigentlich der Wirbel? Staunenswert und in allen Varianten gewirbelt hat während der zweimal 45 Minuten nur einer: Edivaldo Ernesto, ein Gummimensch mit Ausstrahlung und Witz, immer präsent, in immer neuen Körperhaltungen den Raum in allen Richtungen ausmessend. Heiterkeit erregen seine superschnellen Fingerbewegungen, die die anderen und die vorne Sitzenden zum Mitmachen anregen.
Auch Yoshiko Chuma gehört zu den Wendig-Witzigen, und eine fällt mir ebenso auf: die Hurtige im roten Faltenrock, die „Anschieberin“ des Geschehens. Das ist Sasha Waltz höchstpersönlich und mit gelösten Haaren. Schon lange ist sie nicht mehr aufgetreten, hier aber tanzt sie mit und ebenso ihre Tochter Sophia. Beider Namen stehen nicht im Programm, dort sind nur die Guests aufgelistet, neben den schon lobend erwähnten sind es an diesem Abend Davide Camplani, Annapaola Leso, Virgis Puodziunas, Zaratiana Randrianantenaina, Meg Stuart und Takako Suzuki. Die Musik liefert Brendan Dougherty. Die Kostüm-Auswahl hat Jasmin Lepore getroffen.
Sasha Waltz, Virgis Puodziunas, Yoshiko Chuma (hinten mittig), Sasha Waltz & Guests, © Eva Radünzel
In der zweiten Halbzeit wird die Musik zunächst rhythmischer, jetzt wird minutenlang richtig schnell gerannt. Nun gibt es auch einige knackige Tanzszenen. Doch dieses Feuer erlischt schnell, und bald fühlt frau sich beinahe wie in einem buddhistischen Kloster. Beim Schwingen der Hängelampe wird Entspannung geübt und weiter vermittelt. Zuletzt streifen zwei mit dem Rücken zum Publikum sitzende Frauen ihre Oberteile ab und ziehen – wohl dem plötzlichen Berliner Frühling huldigend – barbusig einige Tanzkreise. Der Beifall, untermischt mit Gekiekse, hält sich auch in entspannten Grenzen.
Nun aber raus aus der Experimentierwerkstatt und ran ans Geburtstagstraining und nicht nur das. Als baldige Ko-Intendantin vom Staatsballett Berlin muss Sasha Waltz Kraftvoll-Überzeugendes bieten, und das wird ihr sicherlich gelingen. Ursula Wiegand
Zwei weitere Termine am 14. und 15. April
Ursula Wiegand