BERLIN / Pierre-Boulez-Saal: THOMAS HAMPSON singt Lieder von Loewe, Schubert, Mahler, Zemlinsky, Hindemith, Ives, Daugherty und Bernstein; 16.1.2023
Thomas Hampson, Wolfram Rieger. Foto: Peter Adamik
Der Grandseigneur des Liedgesangs mit einem anspruchsvollen Programm rund um die Themen Natur, Liebe, Einsamkeit, Krieg, Tod und Freiheit
„Freiheit, darum geht es heute überall!“ sagte Thomas Hampson vor der ersten Zugabe seines musikalisch anspruchsvollen wie anregenden Liederabends als Auftakt der nun zum fünften Mal stattfindenden Schubert-Woche im Pierre-Boulez-Saal (16. bis 22. Jänner 2023). Zum Programm des Schubert Schwerpunkts, wo „namhafte ebenso wie junge Künstlerinnen und Künstler auf Einladung von Kurator Thomas Hampson in Konzerten und Workshops im Pierre-Boulez-Saal zusammenkommen“, siehe https://www.boulezsaal.de/de/konzerte/schubert-woche
Am Flügel begleitet von Hampsons Langzeit-Liedbegleiter Wolfram Rieger war der erste Teil des Programms fünf Liedern von Carl Loewe gewidmet, der zweite sechs Liedern von Franz Schubert und der dritte Abschnitt u.a. dem weiten und faszinierenden Land des amerikanischen Kunstliedes unter dem Motto „Freiheit“ im Sinne des Rechts auf Selbstbestimmung jedes Individuums.
Lieder im Sinne von poetisch erzählten, vokalen Miniaturdramen scheinen Thomas Hampson auf den Leib geschnitten oder in die Gurgel komponiert, so intensiv lotet der in stimmlicher Top-Form antretende Sänger klangfarbenreich die Stimmungen aus, überzeugt durch weiträumig gespannte Legatophrasen, eine enorme dynamische Bandbreite und raffinierteste Nuancierungen im Licht-Schattenspiel der Vokale.
Was ich bei dem intellektuell wachen, blitzgescheiten Künstler immer besonders bewundere, sind die sinnlich geschmeidige Phrasierung in Verbindung mit einer unangestrengten Textdeutlichkeit sowie die objektivierte Herangehensweise an die Kunstform Lied. Auch jetzt im Pierre-Boulez-Saal steht Hampson ruhig wie ein Monument vor dem Klavier, da wird nicht mit den Armen geschlenkert und schon gar nichts Extrasubjektives der in Musik gegossenen Lyrik hinzugefügt. Die wohl dosierten Emotionen bezieht Hampson aus dem erzählerischen Duktus der Lieder, nur in den Höhepunkten von dramatischen Liedern wie Schuberts „Der Atlas“, „Der Doppelgänger“ oder Mahlers „Revelge“ greift Hampson zum großen Opernton. Da Hampson wie Fischer-Dieskau über einen schlank geführten, hellen Bariton mit enormer Höhe verfügt, scheint die hohe Tessitura etwa der Mahler- und mancher Schubert-Lieder ein Kinderspiel zu sein.
Was wirklich an ein Wunder grenzt, ist, dass die Stimme des Thomas Hampson (Jahrgang 1955) frisch wie am ersten Tag klingt. Zur Bestätigung habe ich mir die 1991 aufgenommene Schubert-CD (Edition Nr. 14 der Serie „Complete Songs“ – Label hyperion) mit Graham Johnson angehört. Für Liedsänger sind Tugenden wie ein ruhiger Stimmfluss, tragfähige Piani, feinst ziselierte Verzierungen, eine perfekte Projektion und das kunstfertige Jonglieren mit Wort und Ton unverzichtbar. Die gefühlte Leichtigkeit und Natürlichkeit, mit der Hampson an das Kunstlied herangeht, bewirkt, dass wir meinen, einem singenden Märchenerzähler zu lauschen.
Thomas Hampson. Foto: Peter Adamik
Nach etwas verhalten vorgetragenen Loewe Liedern ist Hampson bei Schuberts Heine-Liedern aus dem „Schwanengesang“ ganz in seinem Element. Sein Vortrag birst vor Intensität. Lied ist für Hampson „Zeugnis und Tagebuch menschlichen Daseins“ Der Hörer soll in die Psychologie des Moments eintauchen können. Tatsächlich erlaubt Hampsons Gesang, den Augenblick zur Ewigkeit gerinnen zu lassen und das Publikum auf diese intensive Fahrt ohne Wenn und Aber mitzunehmen.
Den Höhepunkt des Konzerts bildeten für mich die programmatisch auf den Begriff „Freiheit“ bezogenen Lieder von Zemlinsky, Hindemith, Mahler, Ives, Daugherty und Bernstein. Besonders herzzerreißend erklang das Lied des Komponisten Michael Daugherty „Letter to Mrs. Bixby“ nach einem Text von Abraham Lincoln, in dem der Präsident der Mutter von fünf Söhnen schreibt, die alle auf dem Schlachtfeld gefallen sind. Das letzte offizielle Lied des Programms war nicht zufällig Leonard Bernsteins Vertonung des Walt Whitman Textes „To what you said“ gewidmet. Hampson: „In diesem Text betrachtet Walt Whitman eigentlich sein ganzes Leben und das, was Freiheit ausmacht – nicht nur auf Bezug auf sexuelle Selbstbestimmung, sondern überhaupt darauf, was es bedeutet, sich selbst zu erkennen und in der Welt frei zu agieren.“
Fazit: Der amerikanische Kavaliersbariton mit dem in Bernsteintönen leuchtenden Luxustimbre hat wieder einmal ein Exempel in der hohen Kunst des Liedgesangs statuiert. Das von so viel Könnerschaft enthusiasmierte Publikum erklatschte sich drei Zugaben: Jean Berger „Lonely People“, Samuel Barber „Sure On This Shining Night“ und „Simple Gifts“ (Traditional).
Programm
Carl Loewe Die Überfahrt op. 94/1
Carl Loewe Du schönes Fischermädchen op. 9/VII/5
Carl Loewe Über allen Gipfeln ist Ruh‘ op. 9/I/3a
Carl Loewe Der du von dem Himmel bist op. 9/I/4
Carl Loewe Ich denke dein op. 9/III/1
Franz Schubert Das Fischermädchen D 957/10
Franz Schubert Die Stadt D 957/11
Franz Schubert Am Meer D 957/12
Franz Schubert Der Doppelgänger D 957/13
Franz Schubert Ihr Bild D 957/9
Franz Schubert Der Atlas D 957/8
Gustav Mahler Lied des Verfolgten im Turm (aus Des Knaben Wunderhorn)
Alexander Zemlinsky Mit Trommeln und Pfeifen op. 8/3
Gustav Mahler Revelge (aus Des Knaben Wunderhorn)
Paul Hindemith O, nun heb du an, dort in deinem Moor op. 14/2
Charles Ives Tom Sails Away
Charles Ives In Flanders Fields
Michael Daugherty Letter to Mrs. Bixby
Leonard Bernstein To What You Said (aus Songfest)
Dr. Ingobert Waltenberger
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