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BERLIN/ Pierre Boulez-Saal: KAMMERMUSIKKONZERT ZUM 100. TODESTAG CLAUDE DEBUSSY

04.06.2018 | Konzert/Liederabende

BERLIN / Pierre Boulez Saal: Kammermusikkonzert ZUM 100. TODESTAG von CLAUDE DEBUSSY, 3.6.2018

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Copyright: Volker Kreidler

 

„L‘âme du loup pleure dans cette voix qui monte avec le soleil qui décline d‘une agonie on veut croire câline et qui ravit et qui navre à la fois“ (Paul Verlaine)

 

Der wohl bedeutendste französische Komponist des ausgehenden 19. und angehenden 20. Jahrhunderts hatte den präzisen Todestag am 15. März 2018 in Paris. Jetzt wurde im bis auf den letzten Platz und durch Zusatzstühle wohl auf dem kleinsten Konzertpodium der Welt inmitten der Arena des Piere Boulez Saales ein vom TV Sender ARTE mitgeschnittenes Konzert als Hommage an diesen großen französischen Musiker veranstaltet. Das Wort Impressionismus mochte Debussy gar nicht, scheint es doch Verschwommenes und Nebeliges zu suggerieren, dabei waren Klarheit in der Aussage und der akkuraten Linienführung ganz wesentliche dem jungen Komponisten von der Pariser Académie des Beaux-Arts eingeimpfte Qualitätsparameter für Musik. Debussy selber wollte sich lieber in einer Reihe mit den französischen Clavenisten des 18. Jahrhunderts sehen.

 

Das in jeder Hinsicht gelungene Konzert (bald wird es hoffentlich auch auf DVD/Blu ray publiziert werden, die Verhandlungen laufen noch) hatte die drei letzten von ursprünglich sechs geplanten Sonaten und drei Blöcke  zu je drei Liedern (Chansons de Bilitis, trois poèmes de Stéphane Mallarmé, trois mélodies de Verlaine) zum Programm. Dazu kam noch die vom Soloflötisten der Berliner Philharmoniker Emmanuel Pahud in aller Expressivität und verschwenderischem Klangreichtum gestaltete Szene „Syrinx“ für Querflöte solo. Am Ende des Stücks hielt Pahud nach vollendet decrescendiertem Schlusston die Flöte wie zum  einem stummen Kuss erstarrt. Dann großer Applaus. Selbst Barenboim kam während des Stücks aus der Garderobe, setzte sich ungezwungen auf die Stufen und lauschte. Magisch.

 

Der schon von Krankheit und durchaus schlechter Laune gezeichnete Komponist  begann mitten in den Wirren des Ersten Weltkrieges, im Sommer 1915, mit der Komposition des ersten Teils des auf sechs Sonaten ausgelegten neuen Zyklus. Debussy, der in seinen Schriften durchaus unsympathische nationale und ausländerfeindliche Töne von sich gegeben hat (Wolfgang Stähr bezeichnet als Zeit, Grund und Ziel der Entstehung der Sonaten den Krieg, den Geist des aggressiven Nationalismus, der verbitterten Feindseligkeit), wollte mit seiner Musik „nach besten Kräften etwas von der Schönheit schaffen, die der Feind in seiner Raserei vernichten will.“ Was kann der martialischen Rhetorik des Debussy ferner sein als seine eigene Musik, die – wie die zweisätzige Sonate für Violoncello und Klavier in d-moll – in betörender Weise Errungenschaften der Vergangenheit (Violinsonaten des Jean-Marie Leclair) mit Symbolen des Fin de siècle (Pierrot lunaire) verbinden will. Es ist das kühnste Stück des Abends, erinnert in seiner schwelgerischen Knappheit, den abrupten Brüchen und kurzen Motiven entfernt an Anton von Webern. Daniel Barenboim am gänzlich ungedeckelten Flügel und der ganz ausgezeichnete österreichischen Cellist Kian Soltani (ohne Zuhilfenahme von Noten) haben sich in das Abenteuer dieser wegweisenden Sonate mit viel Verve und was Barenboim betrifft mit (allzu) viel Energie geworfen. So war die Klangbalance im Prologue durch das attackierende Spiel Barenboims zulasten des Cello empfindlich gestört. Das hat sich im Laufe der Sonate gebessert, als Liedbegleiter war Barenboim ganz große Klasse. Vielleicht hätte sich Barenboim besser den Bericht von Dusmenil über das Spiel Debussys selbst zu Herzen nehmen sollen: „Mir fiel auf, dass er zuweilen die Finger nahezu flach ausstreckte, insbesondere bei sanften Akkordfolgen. Er streichelte die Tasten, schlug sie nicht senkrecht hinab, sondern glitt schräg über sie hinweg.“

 

Als Solistin der Lieder war die junge französische Mezzosopranistin Marianne Crebassa aufgeboten. Sie ist derzeit auch an der Staatsoper Unter den Linden  in der Rolle der Mélisande in Debussys Oper Pélleas et Mélisande zu hören. In rotem Kleid und der schlanken Statur eines Supermodells interpretierte Crebassa mit ihrer üppig timbrierten Luxusstimme diese in gleitender Prosodie dahinschwebenden Melodien. Nach der Pause bei Mallarmé war die Stimme kurz wie mit einem Schleier bedeckt und konnte sich erst bei den Mélodies von Verlaines wieder ganz frei singen. Dennoch insgesamt reizvolle Kostproben aus dem reichen vokalen Schaffen Debussys.

 

Als letztes Stück vor der Pause erklang die Sonate für Violine und Klavier in g-moll, in bester Familientradition von Daniel und Michael (Violine) Barenboim gespielt. Es war Debussy letztes vollendetes Werk, ein Beispiel dafür, „was ein kranker Mann in Kriegszeiten schaffen kann.“ Es ist ein bewegendes Stück, ein Manifest der Schönheit, der Vergänglichkeit und Flüchtigkeit des Augenblicks, des unberechenbaren Wechsels von Licht und Schatten, der lustvollen Veränderlichkeit von Natur, Stimmung und Atmosphäre geworden. Als intime Farb- und Lichtspiele haben es auch die beiden Interpreten gesehen, wobei mich besonders Michael Barenboim an der Geige mit feinem Ton und hoher Empathie für diese positive Kraft suggerierende Musik berührt hat.

 

Den Höhepunkt des Konzerts stellte jedoch die Sonate für Flöte, Viola und Harfe wieder mit Emmanuel Pahud, der Russin  Yulia Deyneka (Viola) und Aline Khouri (Harfe) dar. Laut Wolfgang Stähr „spielt diese Sonate mit alten Formen, streift musikalische Erinnerungen an die Lieder der Trouvères oder die Trommelrhythmen der provenzalischen Tambourins, an die liebenswerte Vornehmheit Rameaus, aber auch an

den Debussy des Faune oder der Nocturnes. Diese Musik schwebt, verwandelt sich unmerklich, changiert in allen Farben, Harmonien, Stimmung.“ Vollendet von der ersten bis zur letzten Note gespielt, scheint dieses Stück in nuce alles in sich zu tragen, was die Schönheit, den Charakter und das Unvergleichliche der Musik Debussys ausmachen. Stupend. Würdiger kann ein Jubiläum nicht begangen werden.

 

Dr. Ingobert Waltenberger

  

 

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