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BERLIN/ Pierre Boulez-Saal: CANTUS CÖLLN mit sechs BACH-MOTETTEN

12.05.2022 | Konzert/Liederabende

Berlin / Pierre Boulez Saal: Cantus Cölln mit sechs BACH-MOTETTEN, 11.05.2022

cantus cölln ©stefan schweiger, 2
Cantus Cölln. Copyright: Stefan Schweiger

Welch eine Freude ist es, sich bei all’ den schrecklichen Kriegsnachrichten in unserer Nachbarschaft abends im Pierre Boulez Saal Bach-Musik zu hören. Zumal wenn der Barock-Experte Konrad Junghänel mit dem von ihm 1987 gegründeten solistischen Vokalensemble Cantus Cölln, das in aller Welt hochgeschätzt wird, daheim in Berlin singt. Der gewählte Gruppen-Name erinnert übrigens daran, dass Berlin aus der Zusammenfügung von Cölln und Berlin entstand und das bereits 1237 urkundlich erwähnte Cölln der ältere Stadtteil ist.

Cantus Cölln hat sich vor allem auf italienische Madrigale und Barock-Motetten spezialisiert. An diesem Abend erfreuen die Singenden das aufmerksam lauschende Publikum mit sechs Motetten von Johann Sebastian Bach. Nur eine Dame und nur ein Herr für Ihren/seinen seinen Part verantwortlich. Sie alle sind erstrangige Solistinnen und Solisten. Doch trotz ihrer Perfektion haben alle Mitwirkenden einschließlich Junghänel die Noten vor den Augen.

Mit Verve und Intensität widmen sich die Sopranistinnen Magdalene Harer und Karin Gyllenhammar dieser Aufgabe. Ihre Stimmen strahlen durch den Saal. In den Alt-Partien überzeugen Elisabeth Popien und Alexander Schneider,  in den Tenorpartien Hans Jörg Mammel und Georg Poplutz.

Die nötige Tiefe steuern die beiden Bässe Wolf Matthias Friedrich und Markus Flaig bei, von denen mir der Bassist Friedrich durch temperamentvolles Singen und die mehrfache Hinwendung zu den Kolleginnen und Kollegen besonders auffällt. Ein Teamsänger, der stets den Kontakt hält und die anderen animiert. Insgesamt erleben wir Bachgesang vom Feinsten.

Für den Gottesdienste in Kirchen, wo die Motetten heutzutage am meisten zu hören sind, hat Bach diese Stücke jedoch nicht komponiert, sondern für private Auftraggeber und als Thomaskantor in Leipzig auch viele für seine Thomaner. Diese Motetten sind aber verloren gegangen.

cantus cölln©stefan schweiger
Cantus Cölln. Copyright: Stefan Schweiger 

Aufgeführt wurden die Stücke in der Regel bei feierlichen Beerdigungen, wie im Programmheft zu lesen ist. Den Tod hatten die Menschen zu Bachs Zeiten mehr im Sinn als heutzutage. Er galt bei gläubigen Christen sogar als Erfüllung des Daseins. Die Freude, zu Jesus in den Himmel zu gelangen, drücken die Motettentexte deutlich aus. Bach kleidet diese Worte in wunderbare, vielfach gemusterte Musikgewänder. Jede dieser Motetten ist für Bach-Liebhaber/innen eine schimmernde Edelrobe, die die Vokalisten entsprechend darbieten müssen.

Am Beginn dieses Konzertes steht die bekannte und aufmunternde Motette: „Singet dem Herrn ein neues Lied“. Die Gläubigen sollten also nicht jammern, sondern Gott loben und ihm vertrauen, er wird sie beschützen und erlösen. Das vorhandene Bach-Autograph ist im Programmheft abgedruckt und lässt keinen Zweifel aufkommen, dass diese Motette wirklich von Bach komponiert wurde.

Der Organist und Musikwissenschaftler Meinolf Brüser hat jüngst laut  Programmheft sogar die These formuliert, dass diese fein ausgemalte Motette die Trauermusik für ein Mitglied des Thomanerchors war, vermutlich für den Thomaner Heinrich Ludwig Zornitz, der Bachs erster Schüler in Leipzig gewesen sei. Doch eines fällt besonders auf: diese Motette (und zwei andere) enden mit einem Halleluja, das jedesmal mit Überzeugung herausgesungen wird.

Erwähnt sei auch, dass die Darbietung der Motetten zu Bachs Zeiten nicht immer durch den Einsatz von Instrumenten unterstützt wurde. Im Pierre Boulez Saal ist das der Fall, was den festlichen Charakter dieser Lebensabschiedmusik weiter verstärkt.

Es spielen: Oboe Priska Comploi, Peter Tabori und Olga Johana Marulanda Guzman. Fagott: Adrian Rovatkay, Violine: Ulla Bundies und Anette Sichelschmidt, Viola: Volker Hagedorn, Violoncello: Jarosław Thiel, Violone: Matthias Müller und Orgel: Carsten Lohff.

Bei der folgenden doppelchörigen Motette „Lobet den Herrn, alle Heiden“ bestehen allerdings Zweifel, ob sie wirklich von Bach stammt, auch wenn sie mit einem besonders langen Jubel-Halleluja schließt. Und fast wie eine Beschwörung klingt die Nr. 3: „Fürchte dich nicht, ich bin bei dir“. Alle Hoffnung auf Gott, den guten Hirten, leuchtet dann in ihrem Choral.

Dass diese Hoffnungen auf den Heil bringenden Gott und die Überwindung von Todesängsten nicht selbstverständlich sind, zeigt die nächste Motette „Der Geist hilft unserer Schwachheit auf“.

Die bekannteste, längste und für viele Bachfans die wohl schönste Motette „Jesu, meine Freude“ folgt nach der Pause. Als vertrauensvoll schlichtes Lied, das alle gleich mitsingen könnten, beginnt sie. Manche Verse werden von den Sängerinnen und Sängern hingetupft, andere Passagen bringt Junghänel pointiert.

Temperamentvoll wird dem sogenannten alten Drachen getrotzt, besinnlich verläuft der Abschied von der bisherigen Welt, gefolgt von einem kraftvollen Glauben an die Auferstehung von den Toten und endend  mit dem Anfangsgesang „Jesu, meine Freude“, der den Lebenskreis vollendet.

Mit dem Sehnsuchts- und Hilferuf der Motette „Komm, Jesu komm“ und der (beneidenswerten) textlichen Gewissheit, dass Jesus der wahre Weg zu Leben bleibt, endet dieses intensiv bejubelte Konzert.   

Ursula Wiegand

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