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BERLIN/Pierre Boulez Saal: ANDRÁS SCHIFF SPIELT EINEN BACH-ZYKLUS. Beginn mit sechs Partiten

22.12.2023 | Konzert/Liederabende

Berlin/Pierre Boulez Saal: András Schiff spielt einen Bach-Klavier-Zyklus. Beginn mit sechs Partiten am 21.12.2923

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András Schiff. Foto: Nadja Sjöström

Wie feiert man einen 70. Geburtstag? Sir András Schiff tut es selbstverständlich und ausgiebig mit Johann Sebastian Bach. Mit Bach beginnt er ohnehin jeden Tag. Nun waren am 21. Dezember 2023 zunächst sechs Klavierpartiten zu hören. Der Zyklus endet am 06. Januar 2024 mit der „Kunst der Fuge“ BWV 1080.

Als „Anfang und Ende aller Musik“ würdigte Max Reger schon Johann Sebastian Bach, während András Schiff  ihn im Konzert sogleich als den „größten Komponisten aller Zeiten“ bezeichnet.

Dieser Bach-Zyklus im Pierre Boulez Saal ist jedoch nicht Schiffs erster. Er hat die fabelhaften Qualitäten dieses im März 2017 eröffneten Saales sofort erkannt und sie für seinen mehrjährigen Bach-Zyklus gerne genutzt. Schiffs enge Verbindung zu Bach stärkt offenbar auch ihn selbst. Seine Finger gleiten behende und fehlerlos wie früher über die Tasten. Auch spielt er alle Partiten auswendig.

Doch was steckt hinter dieser Auswahl? Es sind Lehr- und Übungsstücke für Klavierspielende, oder solche, die es werden wollen. Bach war laut Schiff – und das ist offensichtlich – ein engagierter Lehrer, der sein Wissen an die eigenen Söhne und die nächsten Generationen weitergeben wollte.

Darüber hinaus war Bach bereits ein erfolgreicher und angesehener Komponist, als er mit 46 Jahren diese Art von „Klavier-Fernunterricht“ begann. Zuvor hatte er von 1726 bis 1731 Partiten für Cembalo, also Suiten, komponiert. Nun war also das Klavier, bzw. das Clavicord an der Reihe.

Bach, voller Selbstbewusstsein, präsentierte sein bereits in Eigeninitiative gedrucktes OPUS I der Obrigkeit mit folgenden Worten:

„Clavir-Übung / bestehend in / Præludien, Allemanden, Couranten, Sarabanden, Giguen, / Menuetten, und anderen Galanterien / Denen Liebhabern zur Gemüths Ergoetzung verfertiget / von / Johann Sebastian Bach / Hochfürstl: Sächsisch Weisenfelsischen würcklichen Capellmeistern / und / Directore Chori Musici Lipsiensis. / OPUS 1 / In Verlegung des Autoris / 1731.“

Die Interessierten rissen sich damals sogleich um die Kopien, und es sind genau diese schließlich „Sechs Klavierpartiten“ BWV 825, die im quasi ausverkauften Pierre Boulez Saal als Auftakt des Zyklus zu erleben sind. Sogar zwei Flügel stehen Schiff zur Verfügung: ein rötlicher Mahagoni-Bösendorfer und ein etwas größerer schwarzer Steinway, so wie sie klanglich am besten zu den durchaus unterschiedlichen Partiten passen.

Die hätten Bach sehr am Herzen gelegen, erkärt Schiff, und ihm geht es wohl ebenso. Vor jeder Partita macht er auf deren Besonderheiten aufmerksam und gibt dazu einige Tonbeispiele. Ein Blick auf die einzelnen Sätze zeigt, dass die Partiten Tanzstücke sind, die ihren Ursprung vermutlich in Großbritannien/ Irland hatten, besonders die Gigue, aber recht schnell von Frankreich, Italien und Deutschland übernommen wurden. Die Courante (Corrente) stammt aus Frankreich bzw. aus Italien, die Sarabande aus Spanien, weiß Schiff und meint: „Bach war auch ein großer Europäer“.

Ein Blick auf die einzelnen Sätze zeigt jedoch, dass Bach auch stark variierte. Insbesondere der Einleitungssatz ist bei jeder Partita ein anderer. Sie reichen von Praeludium (1. Partita) über Sinfonia (2. Partita), Fantasia (3. Partita), einer französischen Ouvertüre (4. Partita), Praeambulum (5. Partita) bis zur Toccata (6. Partita). Unterschiedlich sind außerdem die Anzahl und Auswahl der Tänze sowie die gewählten Tonarten.

Diese gewollten Unterschiede zwischen den Partiten hat Bach mit Delikatesse herausgearbeitet, und genau so werden sie von András Schiff gespielt. Nichts läuft einfach so dahin, wie es leider manchmal zu hören ist. Vor allem die Benutzung der linken Hand erstaunt hier positiv. Wenn die heftig im Bass-Bereich zu tun hat, setzt  Schiff mit dem Pedal noch eins drauf, was manche historisch orientierte Pianisten zumeist vermeiden. Dass aber die Pedalnutzung, wenn mit Kenntnis benutzt, die Unterschiede verstärkt und die Aufmerksamkeit des Publikums fördert, ist nicht zu bestreiten.

Schon bei der Partita Nr. 3 in a-moll, die mitunter wild wirkt – und das nicht nur bei der Burlesca – lauscht das Publikum konzentriert und ist ebenso von der Nr. 4 in D-Dur fasziniert. Die sei ein strahlendes Stück und erinnere an den Glanz am Hofe von Ludwig XIV. Die spielt Schiff auf dem Bösendorfer und hat vorab lächelnd deren Allemande als das Schönste bezeichnet, das Bach je komponiert hat. Nach diesen beiden Partiten schwillt der jeweilige Schlussbeifall deutlich an.

Nach der Pause folgt die Partita Nr. 5 in G-Dur, und die sei ein „sonniges Stück“ und die erste Partita, die er als Kind gespielt habe, erzählt Schiff. Offensichtlich mit den sehr flinken Fingern eines Wunderkindes, sei hinzugefügt. Fröhlich schwingend kommt vieles daher, und die Gigue als Abschluss muss wohl als Schule der Geläufigkeit eingestuft werden.

Es ist jedoch die Gigue, die nur bei der Partita Nr. 2 fehlt und nun bei der Nummer 6 das Publikum zuletzt von den Sitzen reißt. Schon der „Tempo di Gavotta“, ein Gesellschaftstanz, der früher wohl alle in Trab gehalten hat, erzielt besondere Aufmerksamkeit.

Dann aber macht die Gigue mit der Fuge das Rennen. Schiff erinnert vorab daran, dass die Buchstaben B A C H, übertragen auf die Tasten, die Zahl 14 ergeben. Bach sei auch ein Wissenschaftler gewesen, betont Schiff. War Bachs angebliche Vorliebe für die 14, die sich nicht nur hier findet, also Absicht? Das fällt oft gar nicht auf und ist nach wie vor umstritten.

Jedenfalls donnert bei dieser Gigue Schiffs Linke besonders in die Tasten. Seine 100prozentige Konzentration und die fast jugendliche Power begeistern. Beim letzten Ton springen alle im Saal plötzlich auf, applaudieren und kreischen. Immer wieder kommt András Schiff in den Saal und verbeugt sich stets nach allen Seiten. Solch einen heftigen und anhaltenden Jubel scheint der zurückhaltende Star-Pianist nicht erwartet zu haben.

Doch in Berlin gibt es zahlreiche Bach-Bewunderer, und aus dem Ausland sind ebenfalls Bach-Fans angereist. Viele Studentinnen und Studenten sind gekommen, denn solch eine Chance lassen sie sich nicht entgehen. Die haben nun live eine großartige Klavier-Lektion erhalten. Doch Bachs Partiten sind nur der Anfang, Schwierigeres folgt.  

Ursula Wiegand

 

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