Berlin/ Pierre Boulez Saal: András Schiff spielte die Goldberg-Variationen, sensationell! 23.12.2023
AndrásSchiff. Foto: Nadja Sjöström
Johann Sebastian Bachs „Goldberg-Variationen“ BWV 988, sind der Prüfstein für alle, die ein besonderes Level erreichen wollen. Bach hat sie schlicht Clavier-Übung IV genannt, doch welch eine Leistung müssen die Lernenden erbringen, allein schon, was die Fingerfertigkeit betrifft. Doch das ist nicht alles, ist nur das Fundament.
Ein ganzes Tableau muss beim Spielen der 30 Variationen entstehen, denn jede soll anders als die übrigen klingen. Solch eine Klangfarben-Skala entwickelt nun András Schiff und tut es mit einer angenehmen Mischung aus Humor und Leidenschaft.
Wie am 21.12. gibt er auch hier wieder eine Einführungen und erwähnt schmunzelnd die bekannte Anekdote, der diese sehr anspruchsvolle Clavier-Übung IV den Namen „Goldberg-Variationen“ verdankt.
Es war Hermann Carl von Keyserlingk, der russische Gesandte am Hof zu Dresden, der bei Bach ein Musikstück bestellte, mit dem er gut einschlafen könne, was ihm fast nie gelang. Vermutlich hat er dabei an eine sanfte und recht eintönige Komposition gedacht.
Sein Helfer war zunächst der junge Johann Gottlob Goldberg, ein angeblich begabter Schüler von Bach selbst und seinem Sohn Friedemann. Im Nebenzimmer von Keyserlingk sitzend spielte er nachts auf dem Cembalo. Doch damit wiegte er den Herrn von Keyserlingk nicht in den ersehnten Schlaf.
Da konnte, so meinte der Geplagte, nur Johann Sebastian Bach selbst helfen. Vater Bach schaffte es tatsächlich mit dieser Clavier-Übung. Dennoch hat sich später die Bezeichnung „Goldberg-Variationen“ durchgesetzt.
Johann Sebastian Bach schuf also eine „Aria mit 30 Variationen“, die Bach in dem von ihm selbst veranlassten Erstdruck aus dem Jahr 1741 als “Clavier Ubung bestehend in einer ARIA mit verschiedenen Verænderungen vors Clavicimbal mit 2 Manualen“ bezeichnet hatte. Wahrscheinlich hat Bach das alles auf seinem Cembalo komponiert, eines mit zwei Manualen, das nur er selbst stimmte.
Bach wollte jedoch seine Komposition durchaus als Clavier-Übung verstanden wissen. Und der Kanadier Glenn Gould war der Pionier, der 1955 auf einem Flügel bei Columbia Records auch die erste Studio-Aufnahme von Johann Sebastian Bachs Goldberg-Variationen machte, die schnell berühmt wurde. Dennoch wird dieses Werk noch heute mitunter auf dem Cembalo oder auf der Orgel gespielt.
Womöglich hat schon diese wunderbare ARIA, die im Notenbuch seiner Frau Anna Magdalena Bach ebenfalls gefunden wurde, den schlaflosen Gesandten in Dresden alsbald beruhigt und in schöne Träume versetzt. Auch bei András Schiff klingt sie ganz wunderbar. Danach jedoch blättert er diese streng durchkomponierten Variationen in allen ihren Feinheiten auf, das acht Takte umfassende Bassnoten-Fundament ist stets herauszuhören, beim „Darüber“ müssen die Hände flink übereinander greifen, und am Forte fehlt es auch nicht. Bachs Angaben, in welchem Tempo die einzelnen Variationen gespielt werden sollen, sind seinem Handexemplar zu entnehmen, das 1975 zufällig in Straßburg entdeckt wurde.
Als András Schiff die drei Volkslieder benennt, die Bach humorig mit eingearbeitet hat, u.a. „Ich war so lange nicht bei Dir“ oder „Riesen haben mich vertrieben…“ , kommt Heiterkeit im Publikum auf.
Doch solches muss ebenso herausgearbeitet werden wie die Tatsache, dass jede dritte Variation als Kanon komponiert wurde. Das schaffen so überzeugend nicht alle Interpreten, die den „Goldberg-Lorbeer“ erlangen wollen. Manche Darbietung wirkt tatsächlich einschläfernd.
Daher sind nicht nur die Interpreten gefordert, dem Publikum wird ebenfalls Konzentration abverlangt. Als Schiff noch freundlich darauf aufmerksam macht, dass Hustende doch ein Taschentuch vor den Mund halten könnten, nahmen sich das doch einige zu Herzen.
Auf diese Weise wurden diese 30 Variationen zu einem vollen und auch staunenswerten Genuss. András Schiff investierte zuletzt besonders viel Kraft und Tempo. Doch am Ende schwebt erneut die Aria sanft durch den Saal. Schiff bleibt noch eine kleine Weile am Bösendorfer sitzen, alles soll nachwirken. Erst dann können die Begeisterten wieder jubeln und kreischen.
Auch wenn das der von allen ersehnte Höhepunkt des Abends war, sollen die beiden Werke, die vor der Pause zu hören waren, ebenfalls genannt werden. Zuerst spielte Schiff ein „Italienisches Konzert F-Dur, BWV 971 in drei Sätzen, bezeichnet als Clavier-Übung II, also eine leichtere Kost. Den Franzosen und ihrer Tanzfreude gedachte Bach in h-Moll mit einer französischen Ouvertüre und neun Tänzen, die mit einem Echo endeten.
Weiter geht es heute, am 26. Dezember, mit sechs französischen Suiten ohne Pause.
Ursula Wiegand