BERLIN / PIANOSALON CHRISTOPHORI: Brahms Violinsonaten – DARVAROVA, CHEN, 15.2.2019
Photo: Jiyang Chen
Elmira Darvarova ist eine lebende Legende: Schülerin von Henryk Szeryng, war sie die erste weibliche Konzertmeisterin in der Geschichte des MET-Orchesters. Karajan schätzte sie und es dürfte kein Zufall sein, dass Dirigentenstar Christian Thielemann bei diesem Konzert im Publikum war und konzentriert lauschte….Elmira Darvarova ist Gründerin und Leiterin des New York Piano Quartetts und Präsidentin und Leiterin des New York Chamber Music Festival. Es gibt einen Film über ihr Leben.
Elmira Darvarova, die kürzlich gemeinsam mit dem jungen Pianisten Zhen Chen eine exzellente hochromantische Gesamtaufnahme aller drei Violinsonaten von Johannes Brahms auf CD (beim Label Solo Musica, ich habe in der Rubrik CD drüber berichtet) vorgelegt hat, tourt nun mit eben diesem Programm durch Europa und bis nach Georgien (London, Hamburg, Prag, Bratislava, Budapest, Bukarest, Tbilisi). Am 15. Februar machten die beiden also Halt im Pianosalon Christophori in Berlin Wedding.
Der Pianosalon Christophori ist eine Werkstatt, in der Flügel, vor allem historische Hammerflügel, restauriert werden, zum Glück für die Musikwelt aber auch ein Ort, an dem das Klavierspiel allgemein und feine Kammermusik im besonderen inkl. Liederabende präsentiert werden. https://www.konzertfluegel.com/N_konzerte.html. Namenspatron Bartolomeo di Francesco Christofori entwickelte 1709 in Florenz das erste Hammerklavier, bei dem ein Hammer mittels einer Stoßzunge gegen die Saite geschleudert wird und sie zum freien Schwingen sofort wieder freigibt.
Die Qualität des Programms und der auftretenden Künstler kann sich durchaus mit denjenigen des Kammermusiksaals der Philharmonie oder des Pierre Boulez Saals messen. Nur dass der Pianosalon in einer Werkshalle mit viel Patina und Wellblechdach untergebracht ist und die Fenster mit durchsichtigem Verpackungsplastik „kältegesichert“ sind. Jeder Stuhl ist ein bisweilen wackeliges Unikat. Im Eintrittspreis sind auch Getränke inkludiert, die einem Kühlschrank am Eingang entnommen werden können. Nicht selten fällt ein Weinglas oder eine leere Bierflasche während des Konzerts um, aber das gehört eben auch zum Salon Christophori.
Darvarova ist ganz der großen romantischen Geigentradition à la Heifetz verpflichtet. Mit breitem Ton klingen die vielen tief gelegenen Passagen im ersten Satz der G-Dur Sonate wie eine Bratsche. An den Rändern des Tonspektrums scheint der Klang sich sanft zu vernebeln und in eine geheimnisvolle Unschärfe zu tauchen. Darvarova vermag Stimmung und Atmosphäre durch die Art des Strichs, aber auch mit magisch gestalteten Übergängen zu erzeugen. Da scheint das Boot des Lebens in der in Pörtschach am Wörthersee komponierten ersten Sonate bisweilen gehörig zu schwanken. Stimmungsgewitter ziehen ebenso rasch wieder ab, wie sie hereinplatzen.
Der chinesische Pianist Zhen Chen, durch die Aufnahmetechnik auf der CD etwas in die zweite Reihe gedrängt, bietet live ein ungemein plastisches Spiel, mit klarem Anschlag meisselt er Klänge in den Raum. Eine apollinische Virtuosität und sensible Tongebung stellen ihn in einen Reihen mit seinem berühmteren Landsmann Lang Lang. Chen erweist sich als ein aufmerksamer und dynamisch perfekt mit Darvarova harmonisierender Partner. Da merkt der Hörer mit Gewinn, wie sehr die beiden aufeinander eingespielt sind, wie sportlich sie in ihrem großzügig weit gefassten Dialog der Instrumente einander die thematischen Bälle zuwerfen und im musikalischen Fluss synchron rudern.
Wenngleich sich Darvarova in der ersten Sonate noch einige schöpferische Freiheit mit der Intonation herausnimmt, so zeugt ihr Geigenspiel vom Klang des wissenden Schicksals, ertönt das Erinnerungslied von Freud und Schmerz wie von einer höheren Wahrheit durchdrungen.
Den Höhepunkt des ohne Pause gespielten Programms bildete zweifelsohne die Sonate in d-Moll, Op. 108. Hier gelang einfach alles. Die Dramatik der Komposition, ihre ungarisch gefärbte Stilistik, das wie „die Rosse der Aurora“ dahinstürmende Finale: Leidenschaftlicher und stimmiger kann diese Musik nicht gespielt werden.
Als Bonus gegenüber der CD stand am Ende des Konzerts das „Scherzo in c-Moll“ für Violine und Klavier aus der berühmten F.A.E. Sonate. Robert Schumann, Albert Dietrich
und Johannes Brahms schrieben das Stück gemeinsam für ihren Freund Joseph Joachim. Aus dem Lebensmotto des Junggesellen Joachim im Entstehungsjahr 1853 „frei, aber einsam“ leiteten die drei Freunde die Initialtöne ab und legten sie den vier Sätzen der Sonate als Motto zugrunde. Auch hier können Darvarova und Chen den wilden Allegro-Satz stürmisch packend und so richtig warm gespielt zur Begeisterung aller offerieren. Am Ende verdienter Riesenjubel für das New Yorker Kammermusikduo.
Dr. Ingobert Waltenberger