BERLIN / Piano Salon Christophori – GUY BRAUNSTEIN (Violine) und HYUNG KI JOO (Klavier) mit Werken von Beethoven, Ravel, Ysaÿe, Puccini, Joo & Co; 17.6.2024
Copyight: Dr. Ingobert Waltenberger
Launig und voller slapstickartigen Humors gehen die beiden prominenten Instrumentalisten an ihr programmatisch ein wenig Wald- und Wiese atmenden Duftabend. Da gab es an diesem Montag im atmosphärisch unüberbietbaren Pianosalon neben der Vierten Violinsonate von Beethoven in a-Moll, Op. 23 jede Menge an Arrangements zu hören, die von Joel-Songs („She is always a Woman to me“, “Dublnesque“) über Puccini Arien (‚E lucevan le stelle‘ aus Tosca und ‚Nessun dorma‘ aus Turandot) bis zu einer Bearbeitung von Beatles-Hits aus dem Abbey Road Alben, für Braunsteins ältesten Sohn fabriziert, reichten.
Guy Braunstein, israelischer Geiger und Schüler von Pinchas Zukerman, wurde 2000 Erster Konzertmeister der Berliner Philharmoniker. Im Sommer 2013 beendete Braunstein seine Tätigkeit bei den Berliner Philharmonikern und widmete sich fortan seiner Solokarriere. Der mit herrlich schrägem Humor anmoderierende Braunstein begrüßte ‚alle Damen und Herren und alles dazwischen‘, so müsse man es nämlich in New York machen, habe er gehört. Und es handle sich um ein gar verrücktes Programm, setzte er mit einem augenzwinkernden Seitenblick auf seinen Pianisten hinzu.
Hyung Ki Joo, koreanisch-britischer Pianist, Komponist, Komiker und Partner im Comedy-Musical-Duos Igudesman & Joo, hat sein Musikantenherz ebenso am richtigen Fleck. Auch er hält es mit der Familie. Als Einstieg ins Programm hörten wir Joos four pieces from „Childhood“ volksliedhafte und dennoch raffinierte für Klavier und Geige eingerichtete kleine musikalische Perlen, jedes speziell für ein bestimmtes Kind ersonnen. Mit ‚Ancient childhood‘, ‚Remy’s first birthday‘ gewidmet Billy Joels Tochter, ‚Hiding the tears‘ und ‚Wondering while wandering‘ hat der in Wien lebende Hyung Ki Joo stimmungsvolle kammermusikalische Cupcakes ersonnen, bunt zuckerig und leicht bekömmlich.
Während draußen an Berlins Public-Viewing Plätzen und vor den TV-Apparaten daheim offenbar die Mehrzahl der in Berlin lebenden Menschen (so ‚verkehrsberuhigt‘ wie in diesen Tagen erlebt man die deutsche Hauptstadt selten) auf das Fußballmatch Frankreich gegen Österreich harrte, ertranken die ersten beiden Sätze von Beethovens vierter Violinsonate Op. 23 akustisch im Regengeprassel des auf das Wellblechdach der Klavier-Werkstätten niedergehenden Starkregens. Rechtzeitig vor dem dritten Satz beruhigte sich die Wetterlage und das Publikum konnte dieses dem Berliner Wolkenhimmel alle Ehre machende dramatische ‚Allegro molto‘ der Sonate, von Braunstein und Joo in aufgewühlter Agitato-Manier servierte, in vollen Zügen genießen.
Was nämlich bei dem Duo Braunstein und Joo vom ersten Ton an auf- und gefällt, sind die unterschiedlichen künstlerischen Charaktere der beiden Musiker. Braunstein, Seelentonpoet mit ungemein differenzierter Bogenkultur und dem Schalk im Nacken, Joo, draufgängerischer Tastentiger, Temperamentbündel voller virtuoser Leidenschaft, der auch mal die Tastatur des Bösendorfers härter drannahm.
Der Höhepunkt des Abends war sicher Ravels „Tzigane in Blue“. Was Braunstein und Joo aus dieser Rhapsodie (eigentlich für Violine und Luthéal, bzw. für Violine und Orchester geschrieben), die Maurice Ravel im Jahre 1924 komponierte, machten, war stupend. Zum originalen Violinpart improvisierte Joo auf dem Klavier in duftig rhythmischen Jazz/Bluesklängen, eine echt aufregende Kombination. Irgendwann entgleiste diese Chicago Nichtclub-Raveldampflok ganz charmant und mündete in ein überaus fantasievolles Hin und her zwischen Violine und Klavier zum berühmten Hauptthema aus Henry Mancinis Soundtrack zu „Pink Panther“.
Nach der Pause dominierten zunächst Stücke, die Joo für seine Tochter Lina (‚Lina’s Waltz‘) und seinen Sohn Leo (‚Lullaby‘) geschrieben hatte, stimmungsmäßig dazu passend erklang Ysaÿes „Rêve d’enfant“, Op.14 aus dem Jahr 1901.
Überzeugt hat mich auch die Bearbeitung von Kreisler/Rachmaninovs „Liebesleid“ durch Igudesman/Joo, weniger die schnulzigen Arrangements „Georgia on my Mind“ (Carmichael), „You are so beautiful“ (Cocker) und das Abbey Road Medley von Braunstein.
Mit der Zugabe „Smile Mr. Mahler“ von Joo, einer Adaption des ‚Adagiettos‘ aus der „Fünften“ Mahler und Charly Chaplins ‚Smile‘, endete ein wunderbar authentischer, musikalisch überwiegend quick erfrischender Abend, der durch das Charisma, die schrullige Moderation, und die überbordende Kreativität der beiden Musiker den Nimbus des Außergewöhnlichen, ja Einzigartigen hatte. Kostprobe?
https://www.youtube.com/watch?v=O647aA7wM5s Link zu einem Youtube Ausschnitt live aus dem Wiener Konzerthaus des Duos Igudesman & Joo, mit gesungenen Lyrics.
Bemerkung zu Fußball EM und Kulturveranstaltungen in Berlin: Bis einschließlich 14. Juli wird es wohl für Veranstalter von Musik oder Theateraufführungen schwierig, die Reihen zu füllen. Als Christoph Schreiber, Chef des Pianosalons, kurz die nächsten Programme vorstellte, bemerkte er, dass für einige hochkarätige Abende nur 20 Reservierungen vorlägen. Die Kombination Opern- und Kulturaffine bzw. Musiker und Musikerinnen mit ausgeprägter Fußballleidenschaft dürfte also gehörig groß sein. Aber wenn man die Preise des Pianosalons mit jenen auf den Fanmeilen vergleicht, dürfte der Pianosalon die Nase gehörig vorne haben. In den – je nach Konzert – 20 bis 30 Euro Eintritt pro Person sind nämlich die Drinks (Bier, Wein, Wasser, Softgetränke zur freien Entnahme) schon inkludiert.
Dr. Ingobert Waltenberger