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BERLIN/ Philharmonie: VALERY GERGIEV BRINGT EINEN FEURIGEN FEUERVOGEL

10.12.2018 | Konzert/Liederabende


Valery Gergiev dirigiert die Berliner Philharmoniker. Bildrechte: Stephan Rabold

Berlin / Philharmonie: Valery Gergiev bringt einen feurigen FEUERVOGEL, 9.12.2018

Valery Gergiev kommt, und die Philharmonie ist drei Tage lang voll bis unters Dach. 1976 hat er den Herbert-von-Karajan-Wettbewerb in diesem Haus gewonnen und 1993 zum ersten Mal die Berliner Philharmoniker dirigiert. Zuletzt, im Februar 2015, standen Beethoven und Prokofjew auf seinem Programm.

Sergej Prokofjew ist diesmal wieder mit dabei, außerdem sein Lehrer Nikolaj Rimsky-Korsakow. Auch Igor Strawinsky war noch sein Schüler, wenngleich einer, der opponierte. Gergiev hat von jedem der drei Komponisten eine charakteristische Märchenfantasie mitgebracht, die in Berlin bisher kaum oder selten zu hören waren.

Als Auftakt wählt er jedoch eine recht bekannte, zart impressionistisch getönte Fabel aus der Sagenwelt: „Prélude à l’après-midi d’un faune“ von Claude Debussy. Sanft, aber prägnant schwebt sogleich und danach immer wieder das Flötenthema durch den großen Saal. Das macht diesmal tonschön Tatjana Ruhland, die Solo-Flötistin des SWR-Symphonieorchesters.

Gergiev lässt die Musik irisieren, lässt fein anschwellende Steigerungen folgen. Harfenklang erinnert an warme Sommertage, spiegelt die erotischen Fantasien des Fauns beim Anblick der badenden Nymphen wider. Doch anstatt ihnen in der Hitze nachzueilen, träumt er lieber im Schatten eines Baumes.

Ganz anders geht es nun bei den russischen Komponisten zur Sache, und genau wie bei den Brüdern Grimm oder Hans Christian Andersen sind die zu hörenden Werke eigentlich nicht geeignet, um Kinder oder sensible Erwachsene in einen ruhigen Schlaf zu wiegen.
Gergiev spitzt das noch zu. Er als Russe kennt seine Landsleute und bringt mit der Suite „Der goldene Hahn“ von Nikolaj Rimsky-Korsakow – geschaffen nach einem Märchen von Alexander Puschkin – etwas Frappierendes. Die farbenreiche, oft ins Brutale enteilende Musik entspricht dieser bösen Story. Der Astrologe schenkt Zar Dodon einen goldenen Hahn, der ihn angeblich beschützen soll. Doch der Sternegucker weiß bereits: dieser Hahn wird den Zar später töten. Vielleicht hat er ihn so abgerichtet.

Dementsprechend lässt es Gergiev nach zarten oder lustig-tänzerischen Passagen, die dem Zaren tückisch eine harmonische heile Welt vorgaukeln, stets so richtig krachen. Andererseits sorgt die fabelhafte Flötistin für den Schmelz bei lieblichen Melodien. Zarte Geigenweisen und singende Bratschenklänge zaubern in Dur-Tonarten ebenfalls manch fröhliches Bild.

Im Krieg, an dem der Zar unversehrt bleibend teilnimmt, trumpfen vor allem die Blechbläser auf und künden immer wieder das drohende Desaster an. Unheimliche Klänge mischen sich schließlich auch unter die Hochzeitsfeier. Meisterhaft wechselt Rimsky-Korsakows Musik zwischen Unbeschwertheit und Todesnähe. Letzteres obliegt weitgehend den Blechbläsern, und die machen einen vorzüglichen Job. Zuletzt dröhnt die Tuba. Dieser todbringende Hahn kräht nicht schrill. Er tötet den Zaren mit einem fürchterlich lauten dunklen Ton. Riesenbeifall braust sofort auf.

Nach der Pause ist Sergej Prokofjew mit Auszügen aus seiner „Cinderella, Ballettmusik“ op. 87 an der Reihe, mit der Story von Aschenputtel und seinen bösen Stiefschwestern. Festlich rauscht sogleich die Musik auf, nimmt schon das Ballgeschehen vorweg. Wenn der Schal tanzt, klingt es skurril, und auch die Mazurka wirkt irgendwie schräg. Im Duett der Stiefschwestern mit den Orangen knüpft Prokofjew an seine Oper „Die Liebe zu drei Orangen“ an.

30 Jahre ist es her, dass diese Aschenputtel-Variante in der Philharmonie unter der Leitung von Ricardo Muti erklang. Nachholbedarf also auch hier. Einiges ist anders als gewohnt. Wie im Märchen Schneewittchen gibt es auch bei Cinderella hilfreiche Zwerge und sogar eine gute Feen-Großmutter.
Außerdem eilt der Prinz durch diverse Länder auf der Suche nach der um Mitternacht verschwundenen Tanzpartnerin. Wenn die Kastagnetten klingen, ist er wohl gerade in Spanien. All’ das und auch ein Parcours durch die Jahreszeiten hat Prokofjew raffiniert zusammengemixt. Gergiev und die Berliner Philharmoniker gestalten alles entsprechend farbig.

So weitgehend melodisch ist Igor Strawinskys Suite „Der Feuervogel“ keineswegs, ein Schlüsselwerk der Moderne, auch nicht in der schlankeren Fassung von 1919, die die Berliner Philharmoniker zuletzt vor 15 Jahren gespielt haben.

Diese Konzertsuite ist das Hauptstück des Abends, und dieser orientalisch angehauchte Feuervogel ist zwar oft von feurigem Temperament, aber garantiert kein Mörder. Von Prinz Iwan gefangen, dann aber wieder freigelassen, zeigt er Dankbarkeit und schenkt er ihm eine goldene Feder, mit der er ihn zu Hilfe rufen kann. Beim Zusammentreffen mit dem bösen Zauberer kommt ihm diese Gabe zugute. Unheimlich und echt laut klingt die Musik beim Höllentanz dieses Bösewichts, der 13 Jungfrauen gegangen hält, die jedoch durch seinen Tod erlöst werden.

Feurig, aber ausdifferenziert dirigiert Gergiev diese Feuervogel-Suite, doch Tempo können die bestens trainierten Berliner Philharmoniker. Mit Bravour meistern sie die mitunter vertrackten Rhythmen, und einige können dabei sogar lächeln. Endlich mal was anderes, so der Eindruck.
Besonderen Spaß haben offensichtlich die beiden Konzertmeister Noah Bendix-Balgley und Daishin Kashimoto, die Flötistin Tatjana Ruhland und der sonst so ernste 1. Cellist Ludwig Quant, der exakt seine Soli abliefert. Eine insgesamt imponierend explosive Darbietung, belohnt mit ebenso explodierendem Applaus.

Ursula Wiegand

 

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