Silvesterkonzert der Berliner Philharmoniker am 31.12.2024 via Arte/BERLIN
Geheimnisvolles Klavier-Echo
Der russische Pianist Daniil Trifonov stand im Mittelpunkt des diesjährigen Silvesterkonzerts der Berliner Philharmoniker unter der inspirierenden Leitung von Kirill Petrenko. Er interpretierte das Klavierkonzert Nr. 2 in B-Dur opus 83 von Johannes Brahms mit großer Präzision und Emphase. Dieses zwischen 1878 und 1881 geschriebene Werk trägt mehr sinfonische als virtuose Züge. Abgeklärtheit und Wärme, aber auch Leidenschaft blitzten bei dieser aussergewöhnlichen Wiedergabe immer wieder auf. Wie aus romantischen Märchenwäldern tauchte das Hauptthema des ersten Satzes, Allegro non troppo, als traumverlorenener Hornruf auf. Er wurde vom geheimnisvollen Klavier-Echo übernommen und mit vollen Harmonien in die Gegenwart geholt. Im Orchester steigerte es sich dann überraschend straff und tatkräftig. Die Seiten- und Gegenthemen besaßen große Energie. So konnte sich die farbige und kunstvolle Durchführung voll entfalten. Völlig anders in der Stimmung setzte bei dieser subtil-leidenschaftlichen Interpretation dann das Scherzo, Allegro appassionato, mit seinem trotzig-unwirschen Thema ein. Die seltsam zwiespältige Leidenschaft kam auch hier voll zum Vorschein, was der Vorder- und Nachsatz zeigte. Die Sonatenform des Satzes verbannte das Trio, beschwor in der Durchführung aber eine Fülle von spukhaft-gejagten Visionen. Schwärmerische Andacht beherrschte dann den dritten Andante-Satz, den Daniil Trifonov wunderbar traumverloren interpretierte. Es erklangen hier ausdrucksvoll zwei Melodien, die Brahms schon in Liedern verwendete. „Immer leiser wird mein Schlummer“ sang hier das von Ludwig Quandt feinnervig gespielte erste Cello – und das Klavier meditierte träumerisch-zart und jäh-erregt die innige Weise. Im Mittelteil mahnten die Klarinetten still, wie aus der Ferne, an die Wendung „Hör‘ es, Vater in der Höhe, aus der Fremde fleht dein Kind“. Wieder breitete Daniil Trifonov mit dem Klavier einen unheimlichen Schleier um das seltsame Traumbild. Der Anfangsteil kehrte wieder und entschwebte. Das graziöse Kopfthema des Rondo Finale, Alegretto grazioso, konnte sich in der Wiedergabe von Daniil Trifonov und den Berliner Philharmonkern unter Kirill Petrenko bestens entfalten. Die zahlreichen Abwandlungen besaßen großen Klangfarbenreichtum – und in der Bratschenbegleitung entwickelte sich das ungarisch getönte Seitenthema wie von selbst. Dann erklang die Ouvertüre zu Richard Wagners Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“ mit erstaunlicher harmonisch-rhythmischer Leichtigkeit und ohne falsches Pathos. Die klar geprägte Tonalität erhielt dabei eine geradezu überwältigende Struktur. Auch die plastische Klarheit der Themen trotz kunstvollster Polyphonie strahlte immer wieder hervor, unterstrich den Ausdruck festlicher Größe und Lebensfreude, die in der feurigen Interpretation von Kirill Petrenko und den Berliner Philharmonikern nie nachließ. So setzte das Hauptthema hier im vollen Glanz des Orchesters ein. Nach kurzer Überleitung folgte das machtvolle Fanfarenmotiv, wurde von den Streichen in mitreissender Weise aufgegriffen und schwungvoll weiterverfolgt. Auch das lebhaft vorwärtsdrängende Synkopenmotiv leitete dann eindringlich zum zweiten Thema über – einer Liebesmelodie aus Walthers Preislied. Das Liebeswerben drang immer stürmischer hervor, bis die Reprise in strahlendem C-Dur erklang. Die Bässe beschworen kraftvoll das Meistersinger-Thema. Geigen, Celli und Hörner unterstrichen facettenreich das Liebesmotiv. Festjubel behauptete sich zuletzt im Strahlglanz. Und auch die zweite Walzerfolge aus den „Rosenkavalier“-Suiten von Richard Strauss besaß in der Wiedergabe der Berliner Philharmoniker unter Kirill Petrenko elektrisierende Funken, die das Publikum in der Philharmonie begeisterten. Da wurde die Atmosphäre des ewig jungen Wiens geradezu hervorgezaubert. Zärtlich-wehmütig und mit überaus federndem Sprung kamen die Melodien daher. Die ganze Welt geriet hier in einen atemlosen Taumel, der in der schwingenden Walzerbewegung nicht nachließ. Die Themen verzerrten und verfremdeten sich, strahlten danach aber wieder umso überwältigender empor. Einen ähnlich hypnotischen Eindruck gewann man als Hörer von der Wiedergabe von „Salomes Tanz der sieben Schleier“ aus der Oper „Salome“ von Richard Strauss, wo Kirill Petrenko mit den Berliner Philharmonikern wahre Hexenkünste des Klangzaubers beschwor. Da blieb nichts dem Zufall überlassen. Gleichzeitig triumphierte die vitale Kraft der Tonsprache, ließ einzelne Instrumente wie Flöte und Blechbläser glitzern und in tausend Arabesken und Girlanden flackern. Als Zugabe folgte noch die atemlos musizierte Schnellpolka „Stürmisch in Lieb‘ und Tanz“ von Johann Strauss op. 393. Jubel, tosender Schlussapplaus.
Alexander Walther