Foto: Monika Rittershaus
Berlin/ Philharmonie: Schwungvolles Silvesterkonzert mit Kirill Petrenko und Diana Damrau, 29.12.2019
Erstmals steht Chefdirigent Kirill Petrenko zu Silvester auf dem Pult der Berliner Philharmoniker. In voller Besetzung sind sie angetreten, aber nicht um Beethovens Neunte zu zelebrieren. Nein, hier geht es um einen erfrischenden und lustvollen Sprung über den Großen Teich zu Gershwin, Bernstein, Rodgers und anderen. Mit dabei ist auch der in die USA emigrierte Kurt Weill, dem dort der Erfolg weitgehend treu blieb. Eine Lady in Pink erscheint ebenfalls, die weltbekannte Sopranistin Diana Damrau.
Petrenko und seine Riesen-Crew starten mit George Gershwins „Ouvertüre zum Musical Girl Crazy“, und crazy (verrückt) wird zum Stichwort. Die Bläser schmettern, melodische Passagen schmeicheln sich in die Ohren. Petrenko drückt aufs Tempo. Viel Jubel nach dem knackigen Schluss.
Doch das war erst der Anfang. Denn selbst für solch ein Spitzenorchester wie die Berliner Philharmoniker braucht es ein bisschen Zeit, um den typisch amerikanischen Sound zu verströmen. Viele Stücke an diesem Abend, so ist im Programmheft zu lesen, spielen sie, auch dieses, voll engagiert zum ersten Mal.
Das gilt auch noch ein bisschen für den nächsten Ausschnitt: „If I loved you“ aus Carousel von Richard Rodgers: „If I loved you“. Diesen melancholischen Song singt noch etwas verhalten Diana Damrau, die Lady in Pink.
Doch gleich danach ist eine total veränderte, sprühende Damrau zu erleben. Bei Leonard Bernsteins „I feel pretty“ aus der wohlbekannten West Side Story ist der Knoten geplatzt, bei ihr und auch beim Orchester. Berlin wird jetzt zum Broadway, und die Berliner Philharmoniker wandeln sich zur Big Band.
Gleich danach lassen sie Bernsteins „Symphonische Tänze“ aus der West Side Story in allen Facetten schillern. Das von ihm selbst zusammengestellte Werk ist eine durchaus anspruchsvolle Musik, die Hits seines Musicals tauchen auf, und auch das gewaltsame Ende dieser Love-Story wird dramatisch deutlich.
Bei Kurt Weills „Foolish Heart“ aus One Touch of Venus ist unsere Venus im leuchtend gelben Gewand zur Stelle. Versiert und mit netter Selbstironie schildert sie ihr verrücktes Herz, das einen Mann liebt, der sie nicht mehr liebt. Ja, so kann’s gehen, macht sie klar.
Nach Weills „Lady in the Dark“, einem Symphonic Nocturne melancholischen Charakters sowie einer vom Orchester einfühlsam dargebotenen Suite (bearbeitet von Robert Russell Bennett) erscheint nun Frau Damrau in schwarzer Spitzenrobe, passend zum traurigen Lied „Send in the clowns“ aus A little Night Music von Stephen Sondheim.
Es ist das deprimierende Fazit einer Künstlerin, die während ihrer Karriere die Liebe verpasst hat und nun vergeblich auf ihren abhanden gekommenen Lover wartet. Die Clowns, die sie aufheitern könnten, sind ebenfalls verschwunden. Bleibt für sie nur die Hoffnung, dass sie im nächsten Jahr wiederkommen.
Selbst der schöne Song „Over the Rainbow“ aus The Wizard of Oz von Harold Arlen hat mehr Sehnsucht als Liebesgewissheit in sich. Für ihre sehr stimmige Interpretation erntet Diana Damrau Bravo-Rufe und ein Küsschen von Kirill Petrenko.
Zuletzt stapft George Gershwins „Ein Amerikaner in Paris“ durch den total ausverkauften Saal. Petrenko und die Seinen legen sich in Zeug und leuchten die Partitur in alle Richtungen bestens aus. Ein bekanntes Meisterwerk wird meisterhaft musiziert. Blech- und Holzbläser sowie die Streicher sind mal individuell, mal gemeinsam im Großeinsatz.
Gewaltiger, anhaltender Beifall ist der verdiente Lohn, wohl zum 10. Mal drückt Kirill Petrenko den beiden Ersten Violinen – Noah Bendix-Balgley und Daniel Stabrawa – dankbar die Hände.
Auch das Publikum wird für seine Begeisterung belohnt: Von der nun wieder als Lady in Pink erscheinenden Diana Damrau mit dem Hit „I could have danced all nicht“ aus Frederick Loewes „My fair Lady“, was erneute Jubelstürme erntet. Last not least lässt der Chef zum krönenden Abschluss noch die Kossacken („The Ride of the Cossacks“) durch die Philharmonie reiten, ein wilder Galopp aus Franz Waxmans „Taras Bulba“. Vielleicht animiert der zu einer wild-fröhlichen Berliner Silvesterfeier.
Ursula Wiegand
Weitere, aber lange ausverkaufte Termine am 30. (20.00 Uhr) und 31. Dezember (17.15 Uhr)