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BERLIN/ Philharmonie: PIQUE DAME. Kirill Petrenko Tschaikowskys Oper in konzertanter Version

22.04.2022 | Oper international

Berlin / Philharmonie: Kirill Petrenko dirigiert Peter Tschaikowskys „PIQUE DAME“ in konzertanter Version, 21.04.2022

pique dame, aigul akhmetshina und elena stikhina, foto monika rittershaus
Aigul Akhmetshina und Elena Stikhina. Foto: Monika Rittershaus

Welch eine großartig-tragische Oper ist doch „Pique Dame“,  und welch großartige Sängerinnen und Sänger machen nun diese von Peter Tschaikowsky so ausgiebig und farbenreich vertonte Puschkin-Erzählung auf überzeugende Weise wieder lebendig.

Bekanntlich geht es um das Schicksal zweier Menschen und ihren schwierigen Weg zwischen Liebe, Verzweiflung und Tod. Diesen Weg gehen sie jedoch nicht in nachgestellten St. Petersburg-Bildern. Auch Regie-Zumutungen bleiben ihnen und dem Publikum erspart.

Passend gekleidet sind sie ebenfalls, die Damen in teils glitzernder Abendrobe, wie es bei konzertanten Opern-Darbietungen eigentlich üblich ist. Ihre Rollen singen sie auswendig und mit Hingabe, spielen auch ihre Schicksale überzeugend. Wie schön kann manchmal auch das Rampensingen sein.-  

Kyrill Petrenko hängt solch eine konzertante Berliner Variante immer an die Konzertreisen an, diesmal also an die Bühnen-Version von „Pique Dame“ in Baden-Baden und beendet so gemeinsam mit den Berliner Philharmonikern seinen Tschaikowsky-Zyklus. Die sitzen bei dieser konzertanten „Pique Dame“ auch nicht im Graben, sondern hinter den Singenden auf der Bühne. Erschöpft wirken sie nicht, ganz im Gegenteil. Wie genau sie Petrenkos Zeichengebung folgen, ist ebenfalls zu sehen, vor allem bei den Übergängen von den dramatischen zu einigen lockeren Szenen und umgekehrt.

Wer diese Oper noch nicht gesehen hat, könnte also schon bei den jeweils ersten Takten ahnen, wohin sich das Blatt wendet. Tatsächlich sind es drei myteriöse Spielkarten, die einst die spielwütige Gräfin vor dem Bankrott gerettet haben. Von diesem Ereignis und den drei Zauberkarten scheinen einige etwas zu wissen, vor allem Graf Tomski, gesungen von Vladislav Sulimsky mit seinem kräftigen, gut geführten Bariton. Welche Karten es genau sind, weiß aber nur die alt gewordene Gräfin.

Hermann, ein spielsüchtiger Offizier, der sich in Lisa, Enkelin der Gräfin, verliebt hat, giert nun nach diesen drei Karten, um als reicher Mann Lisa heiraten zu können. Bisher hat er dem Spiel der Freunde zugeschaut, jetzt will er es selbst versuchen. Kirill Petrenko, der sich während des Dirigierens auf die Sänger/innen hinter ihm eigentlich voll verlassen kann, dreht sich oft zu Arsen Soghomonyan um, bevor er wieder als Hermann an der Reihe ist.

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Arsen Soghomonyan (Hermann). Foto: Monika Rittershaus

Der aber wirkt voll konzentriert und macht nicht den Eindruck, er könnte seinen Einsatz verpassen. Dass sein kräftiger Tenor mit deutlicher Tiefe angereichert ist, kommt nicht von ungefähr, hat er doch (wie einst Domingo) als Bariton begonnen. Er gestaltet seine Rolle mit Ausdruck, Wohlklang und ermüdungsfrei, lässt Hoffnung und Verzweiflung gleichermaßen hören, bis ihm schließlich der Wahnsinn den Verstand raubt.

All’ das muss Lisa gleichermaßen erleiden. Zunächst ist sie noch eine von der gräflichen Großmutter behütete junge Frau und tändelt mit ihrer Freundin umher. Eigentlich sollte Asmik Grigorian diese Rolle singen, sagte aber krankheitsbedingt ab, danach ebenso Elena Bezgodkova.  

Doch Elena Stikhina, international und auch in Berlin bekannt, ist keineswegs dritte Wahl. Sie singt und spielt ihre Rolle fabelhaft. Zunächst tändelt sie noch mit ihrer Freundin Polina munter umher, und das Duett der beiden erhält sofortigen Applaus. Ein so schöner und voller Mezzo wie der von Aigul Akhmetshina ist selten zu hören.

Lisa wird bald melancholisch, hat sie sich doch, obgleich schon mit Fürst Jeletzki verlobt, in Hermann verliebt genau wie er sich in sie. Den jungen, gut aussehenden Fürsten singt mit hell timbriertem Bariton Boris Pinkhasovich. Mehrfach gesteht er Lisa in einer langen Arie seine große Liebe, ohne sie jedoch – und anders als Hermann – zu bedrängen. Überzeugt hat er aber nur das spontan Beifall spendende Publikum.

Zur Attraktion wird dann die schlanke 73jährige Doris Soffel als Gräfin und Lisas Großmutter. Was hat sie alles rauf und runter gesungen. Ihr Alt ist immer noch in Ordnung, klingt manchmal etwas rauchig, als wäre sie einst eine „femme fatale“ gewesen. Eher nein, sie war ein leidenschaftliche Kartenspielerin und erinnert sich jetzt wehmütig an ihre erste große Liebe. Da könnte man/frau in der ausverkauften Philharmonie eine Stecknadel fallen hören.

Als Hermann eindringt und von ihr die Namen der drei geheimnisvollen Karten fordert, stirbt sie vor Schreck und sackt auf ihrem Sessel zusammen. Lisa kommt ins Zimmer, Hermann flüchtet verzweifelt, und Petrenko dirigiert weiter. Frau Soffel schaut ihn, noch immer im Sessel sitzend, bald fragend an, ob sie nun weggehen dürfte. Ein echt lustiger Moment, der das Publikum leise lachen lässt.  

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Elena Stikhina (Lisa). Foto: Monika Rittershaus

Doch Lisa – nun in einem schwarzen Kleid mit tiefem Decollete – ist gar nicht mehr zum Lachen zumute, denn alle Hoffnung ist verloren. Das ist ihr anzuhören und anzusehen, Augen und Ohren folgen ihr. Fast alle im Saal wissen, wie diese Geschichte endet, doch die Spannung wächst immer weiter. Hermann begeht Selbstmord, doch für Lisa fließt hier keine Newa, in die sie sich hineinstürzen könnte.

Die weiteren Rollen singen ohne Fehl und Tadel Christophe Poncet de Solages, Tenor (Tschaplitzki), Margarita Nekrasova, Alt (Gouvernante), Anatoli Sivko, Bariton (Surin), Jevgenij Akimov, Tenor (Tschekalinski) und Mark Kurmanbayev, Bass (Narumow).

Selbstverständlich hat Tschaikowsky auch einige lustige Dorfszenen komponiert, sogar Märsche sind zu hören. Wenn der Slowakische Philharmonische Chor anhebt, wackeln fast die Saalwände, und manche Textstellen, die der Cantus Juvenum Karlsruhe Kinder- und Jugendchor singt und hoch oben, auf Deutsch übersetzt, zu lesen sind, passen gar nicht in die jetzige Situation. So das fröhliche „tanzt, seid ausgelassen, plant kühn den Angriff“.

Da auf russisch gesungen wird, fällt so etwas nicht unbedingt auf, und so überwiegt zuletzt und zu Recht der heftige Jubel des Publikums für diese allseitig großartige und überzeugende Darbietung von Tschaikowskys „Pique Dame“. Eine zweite Aufführung findet am 24. April um 19:00 Uhr statt. Wer Glück hat, bekommt vielleicht noch eine Restkarte. 

Anmerkung:  Kirill Petrenko hat bereits am 25. Februar Putins Krieg scharf verurteilt: „Der heimtückische und völkerrechtswidrige Angriff Putins auf die Ukraine ist ein Messer in den Rücken der ganzen friedlichen Welt. Es ist auch ein Angriff auf die Kunst, die bekanntlich über alle Grenzen hinaus verbindet. Ich bin zutiefst solidarisch mit all meinen ukrainischen Kolleginnen und Kollegen und kann nur hoffen, dass alle Künstlerinnen und Künstler für Freiheit, Souveränität und gegen die Aggression zusammenstehen werden.“

Am 27. April ist das Kyiv Symphony Orchestra in der Philharmonie zu Gast.

Ursula Wiegand

 

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