Janine Jansen, Paavo Järvi. Copyright: Frederike van der Straeten.
Berlin/ Philharmonie: Paavo Järvi und Janine Jansen begeistern, 12..10.2019
Eigentlich sollte ich mir Tschaikowskis einziges Violinkonzert D-Dur, op. 35 nie mehr anhören, nachdem ich es so einmalig schön und stimmig bis ins letzte Detail mit der Star-Geigerin Janine Jansen erlebt habe, so wie noch nie zuvor. Und wenn, dann nur wieder mit ihr. Und vielleicht erneut mit dem Dirigenten Paavo Järvi und den Berliner Philharmonikern.
Schon seit rund 20 Jahren spielt Janine Jansen dieses Stück, doch es wirkt keineswegs zu routiniert. Schon nach den ersten Geigenstrichen, gespielt mit wiegendem Körper, entsteht der Eindruck, sie bringe es das allererste Mal. Sie lebt dieses Werk von Kopf bis Fuß, auch ihr Gesicht spiegelt alle musikalischen Wendungen und zeigt nicht nur wie fabelhaft dieses Werk ist, sondern welche Kraft dazu nötig ist.
Tschaikowski komponierte es 1878 in Clarens, einem Weinort am Genfersee. Nach Depressionen und einem Nervenzusammenbruch hatte er dort wieder Freude am Leben. In nur drei Wochen war das gut halbstündige, durchaus komplizierte Werk fertig, obwohl er den ursprünglich geplanten Mittelsatz noch durch ein Andante, die „Canzonetta“, ersetzte.
Leopold Auer, dem Tschaikowski die Uraufführung anvertrauen wollte, lehnte ab, weil er einige Passage als unspielbar einschätzte. Der 30jährige Adolph Brodsky jedoch, ein bereits renommierter und bald weltweit gefragter Geiger, wagte es am 4. Dezember 1881 in Wien.
Doch statt einer Anerkennung schrieb der Kritiker-Papst Eduard Hanslick einen üblen Verriss. Das Konzert erinnere ihn an „die brutale und traurige Lustigkeit eines russischen Kirchweihfestes“ sowie an „lauter wüste und gemeine Gesichter“ und „rohe Flüche“. Es bringe „uns auf die schauerliche Idee, ob es nicht auch Musikstücke geben könnte, die man stinken hört“.
Das Publikum hatte offenbar andere Ohren. Bald setzte sich dieses Violinkonzert durch und gehört bis heute zu den bekanntesten und meistaufgeführten Violinwerken überhaupt. Womöglich ist das vor allem dem 2. Satz zu verdanken, der schon erwähnten Canzonetta. Die hat Tschaikowskis Mäzenin Nadeschda von Meck sofort gefallen. In einem Brief an ihn schwärmte sie: „Die Canzonetta ist geradezu herrlich. Wie viel Poesie, welche Sehnsucht und tiefe Traurigkeit in diesen sons voilés, den geheimnisvollen Tönen!“
Genau so spielt sie nun Janine Jansen, nachdem sie im 1. Satz, dem Allegro moderato, mit Verve und Esprit ein Feuerwerk in den großen Saal geschleudert hatte. Die anspruchsvollem Griffe und Läufe kommen so selbstverständlich daher, als wäre das alles ein Kinderspiel. Dass sie das keineswegs sind, ihr aber keine Mühe bereiten, wird ebenso ersichtlich. Manchmal hüpft sie leicht, um dem Bogenstrich noch mehr Power zu verpassen.
Lyrik pur dann die Canzonetta, bei der das D-Dur ins melancholische d-Moll wechselt, ungekünstelte Innigkeit Platz greift und vielleicht auch Tschaikowski bekannte Probleme hörbar werden. Eine Stecknadel könnte man zu Boden fallen hören, so fasziniert lauscht das Publikum.
Doch in diesen Trübsinn wollte Tschaikowski nicht wieder verfallen und attackierte ihn sofort mit einem wilden Allegro vivacissimo. Janine Jansen „reitet“ nun ebenso Attacke und beschleunigt mit Ganzkörpereinsatz ihr brillantes Spiel noch weiter. Ein sofortiger Jubelschrei braust danach durch den ausverkauften Saal, gefolgt von vehementem Applaus. Paavo Järvi hält sich nach seiner perfekten Unterstützung der Geigerin zurück und gönnt ihr den mehr als verdienten, jedoch bescheiden entgegen genommenen Triumph.
Als Eingangswerk des gesamten Abends diente die 1926 in New York uraufgeführte, 18minütige Tondichtung „Tapiola“ von Jean Sibelius, seine letzte Komposition. Die ist raffinierter gearbeitet, als es beim ersten Hören erscheint, allein das Anfangsthema wird 20 Mal, stets leicht abgewandelt, wiederholt.
Der Name bezieht sich auf die Wohnstätte des Waldgottes Tapio, der zur finnischen Mythologie gehört. Die unergründliche Vielfalt und die Geheimnisse eines großen Waldes werden hier geschildert, obwohl Sibelius kein Naturidyll bieten wollte selbst nicht in den großen Wäldern unterwegs war.
Dennoch sind, so deucht es, Vögel, Grillen und Frösche zu hören. Ganz real ist jedoch zuletzt ein unerwarteter heftiger Schlag. Es kracht, und sirenenartig setzt sich das fort. Vielleicht kündigt sich ein Sturm an.
Doch der ist eher im letzten Werk des Abends zu entdecken, als stürmisch geäußerte, wieder erwachte Zuversicht. Gemeint ist Robert Schumanns „Symphonie Nr. 3 Es-Dur op. 97, die „Rheinische“. Gleich der mit „lebhaft“ bezeichnete erste Satz platzt fast vor rheinischer Fröhlichkeit.
Denn Schumann hatte ein Erfolgserlebnis, ist städtischer Musikdirektor in Düsseldorf geworden und dorthin gezogen. Es wird die glücklichste Zeit seines Lebens. Angeblich hat er in nur fünf Wochen in einem Schaffensrausch diese voluminös orchestrierte Symphonie zu Papier gebracht. Der so muntere Beginn mit den swingenden Dreivierteltakten kündet von Schumanns Hochstimmung.
Nun geht auch Paavo Järvi aus sich heraus. Dieses Werk scheint er sehr zu mögen, dirigiert es auswendig und mit schwingendem Körper. Auch die Berliner Philharmoniker haben und nutzen die Gelegenheit, ihr Können in allen Facetten zu zeigen.
Gemeinsam verdeutlichen sie aber auch, dass die „Rheinische“ nicht nur Jubel, Trubel, Heiterkeit beinhaltet. Schon der als Scherzo bezeichnete 2. Satz mit dem recht langsamen Ländler gibt zu denken. Bei Schumann hat fast alles einen doppelten Boden.
Ob ihn vielleicht der Kölner Doms, wie manche Experten meinen, zum langsamen vierten Satz in es-Moll inspiriert hat? Dieser Teil klingt nicht nur feierlich, sondern fast bedrohlich. Hier nimmt Schumann, ein Bach-Verehrer, Zuflucht zum Kontrapunkt.
Doch er überwindet diese depressive Phase und gerät erneut in Euphorie. Triumphartig endet dieses Werk, das in seiner überwiegend positiven Art eine Sonderstellung in Schumanns Schaffen besitzt. Noch ahnt niemand, auch er selbst nicht, dass er sich in späteren Jahren verzweifelt in den geliebten Rhein stürzen und auf eigenen Wunsch in eine privat geführte Heilanstalt ziehen wird.
Solch einen trüben Blick in die ferne Zukunft lassen Paavo Järvi und die Berliner Philharmoniker nicht aufkommen. Sie stellen den glücklichen Schumann in den Vordergrund. Wie entfesselt bringen sie den letzten, ohnehin immer schneller werdenden Satz. Und wieder braust hoch verdienter Jubel durch den Saal.
Ursula Wiegand