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BERLIN/ Philharmonie/ Musikfest 2020: KIRILL PETRENKO DIRIGIERT BERG UND DVORAK

19.09.2020 | Konzert/Liederabende


Berliner Philharmoniker, Kirill Petrenko und Frank-Peter Zimmermann. Foto: Stephan Rabold

Musikfest Berlin 2020 / Philharmonie: Kirill  Petrenko dirigiert Berg und Dvořák, 18.09.2020

Es ist der zweite Abend mit diesem Programm und auch das zweite Auftreten der Berliner Philharmoniker unter der Leitung Ihres Chefs Kirill Petrenko beim Musikfest Berlin 2020. Erfreulicherweise ist nicht allseits Bekanntes zu hören, will doch Petrenko die Ohren des Publikums auch für Selteneres öffnen. Und das gelingt ihm mit dem Orchester auf überzeugende Weise.

Zuerst ist sozusagen „Der Tod und das Mädchen“ an der Reihe, ein jahrhunderte altes Thema, das seinen Weg durch alle Kultursparten genommen hat. Hier jedoch geht es um ein reales Geschehen. Mit seinem Konzert Dem Andenken eines Engels (1935) für Violine und Orchester hat Alban Berg (1885 – 1935) Manon Gropius, der Tochter von Alma Mahler aus der Ehe mit Walter Gropius, ein berührendes Denkmal gesetzt. Die damals Achtzehnjährige, ein schönes und begabtes Mädchen, verstarb nach einjähriger Krankheit an der Kinderlähmung. Alban Berg gedenkt Manon Gropius durch eine Verschmelzung von tonaler und atonaler Musik, die den Zuhörenden gut in die Ohren geht. 

Den Solopart übernimmt der Stargeiger Frank Peter Zimmermann und tut es mit voller Hingabe, ohne sich selbst in den Vordergrund zu drängen. „Alban Bergs Violinkonzert ist ein Stück, das unter die Haut geht“, hatte er vor der Aufführung gesagt, und das ist seinem Spiel anzumerken.

Im 1. Satz (Allegro – Allegretto) hat Berg nach requiemartigem Beginn noch beschwingte Takte eingefügt, die vermutlich den Lebenswillen des Mädchens und den Glauben an die Genesung widerspiegeln. Doch spätestens im 2. Satz (Allegro-Adagio) zeigen kreischendes Blech und Tonfolgen wie Atemstöße, dass sich die Krankheit dramatisch verschlimmert. Petrenko und Zimmermann gestalten das einfühlsam, derweil das Orchester Johann Sebastian Bachs „Es ist genug“ in die Waagschale wirft. Eine Posaune bringt die letzten leisen  Atemstöße.  Das geht auch dem konzentriert lauschenden Publikum unter die Haut. Nach kleinem Abwarten prasselt der verdiente Applaus.

Dann aber wird alles anders, und das pralle Leben mit vielen Facetten gewinnt durch Antonín Dvořák (1841 – 1904) eindeutig die Oberhand. Petrenko hat die selten gespielte „Symphonie Nr. 5 F-Dur op. 76“ (1875) als totalen Kontrast zu Alban Berg ausgewählt, und Dvořák beweist, dass er weit mehr kann als Folklore. Auch Petrenko ist jetzt wie ausgewechselt, dirigiert auf dem Podium tanzend mit Schwung und genauen Gesten seine Philharmoniker.

Mal nicht strenge Klassik, sondern lebensbejahende, farbenprächtige, teils sogar kesse Fröhlichkeit durchdringt den großen Saal. Knalleffekte wechseln mit Waldvögelein-Idyll. Ein schmelzendes Andante erfreut, und dann kommt der Spektakel. Choralartiges und ein bisschen Ländler, alles da, alles drin. Nur rund 60 Instrumentalisten/innen sind wegen der Corona bedingten Auflagen auf der Bühne, aber sie spielen wie die Teufel/innen und werden zusammen mit Petrenko zu Recht mit Bravi und starkem Jubel belohnt.

Petrenko und die Berliner Philharmoniker haben also mit Verve alle momentanen Einschränkungen ganz großartig überspielt. Dass jeder/jede allein am Notenpult steht und nicht gemeinsam mit dem Partner oder der Partnerin musizieren darf, ist eine besondere Herausforderung, die diese Profis jedoch mit Volleinsatz meistern. Die positive Beigabe fürs Publikum: alles ist besonders klar zu hören, und selbst ein Forte oder Fortissimo kommt nun aufgelockert und nicht wie eine manchmal ohrenbetäubende Walze daher.

Kirill Petrenko und die Seinen sind diesbezüglich, was nicht verwundert, anderer Meinung und setzen sich fürs „normale“ Miteinander im Orchester ein, also für weitere Lockerungen, und die gelten bald auch fürs Publikum. Anstelle von jetzt 630 Plätzen sollen bald 1.000 zur Verfügung stehen. Das klingt erstmal gut, doch das Zusammenrücken erfordert seinen Tribut: Das Publikum muss dann auch während des Konzertes Gesichtsmasken tragen.

Werden sich die Konzertfans, die eigentlich Musikgenuss erwarten, damit anfreunden, zumal die simplen Alltagsmasken keinen wirklichen Schutz bieten und ihnen auch keine Gratis-Coronatests angeboten werden?  Schon bei den bisherigen Konzerten waren trotz der umfänglichen Hygienemaßnahmen in der Philharmonie nicht alle der wenigen Plätze besetzt.

Kommen also die gewünschten und auch geforderten Lockerungen womöglich zur Unzeit? Als die Corona-Infektionsraten niedrig waren, haben die Verantwortlichen nach dem Lockdown nur kleine Lockerungen in Konzertsälen, Opern und Theatern erlaubt. Dass diese nun bei wieder deutlich steigenden Erkrankungen erfolgen sollen, könnte das falsche Timing zur falschen Zeit sein.

Das letzte Konzert dieser Reihe ist am heutigen 19.09. um 19:00 Uhr in der Philharmonie zu hören. Es wird auch live und kostenlos in der Digital Concert Hall übertragen. Der Mitschnitt von Deutschlandfunk Kultur ist noch 28 Tage lang online verfügbar.

(U.W.)

 

 

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