William Christie und Les Arts Florissants. Copyright: Guy Vivien
Berlin/Philharmonie: Les Arts Florissants feiern Claudio Monteverdi, 13.12.2017
Noch sind wir im 450. Geburtstagsjahr von Claudio Monteverdi, haben in Berlin seine drei erhaltenen Opern erlebt, die Poppea, wie berichtet, sogar doppelt. Doch Monteverdi, 30 Jahre lang Kapellmeister am Markusdom in Venedig – damals eines der wichtigsten Zentren der Kirchenmusik – hatte auch eine Fülle von geistlichen Werken komponiert.
Die sind in unseren Breiten weit weniger bekannt als seine Opern. William Christie, seit 1971 ein Amerikaner in Paris, und die von ihm 1979 gegründeten Les Arts Florissants lassen Monteverdis Künste auch auf diesem Gebiet erblühen. Eine Verlockung für Monteverdi- und andere Alte-Musik-Liebhaber. Die große Philharmonie ist an diesem Abend, dem ersten Gastspiel seit März 2009 – nicht voll besetzt. Dennoch sind die zahlreichen Fans hier versammelt und solche, die es vielleicht werden wollen.
Christie bringt Stücke aus der „Selva morale e spirituale“, was übersetzt heißt: aus dem „moralischen und spirituellen Wald“. Zusammen mit zwei Sängerinnen und sechs Sängern sowie mit acht Instrumentalisten – er selbst am Cembalo – geleitet er das Publikum ein Stückchen durch Monteverdis ausgedehnten Schaffenswald.
Christies Team jetzt in Berlin besteht aus den beiden Sopranistinnen Emmanuelle de Negri und Lucía Martín-Cartón, dem Countertenor Carlo Vistoli, den zwei Tenören Cyril Auvity und Reinoud Van Mechelen sowie den drei Bässen Cyril Costanzo, John Taylor Ward und Marc Mauillon. Unterschiedlich und nach ihren Stimmfarben hat sie Christie auf die einzelnen Stücke verteilt.
Das Konzert beginnt mit dem siebenstimmigen Gloria, das erstmals am 21. November 1631 im Markusdom zum Erntedank erklang. Damals wurde damit auch das Ende der Pest gefeiert, die 16 Monate in Venedig gewütet und mehr als 45.000 Menschen das Leben genommen hatte, darunter auch Familienmitglieder und Freunde von Monteverdi.
Anfangs wirkt dieses Gloria noch ein bisschen schüchtern in dem großen Saal. Oder sind es nur die eher an große Chöre gewöhnten Ohren, die sich erst auf die Einzelstimmen einstellen müssen? Schnell finden jedoch die Singenden, Spielenden und Hörenden zueinander. Welche Wonne, das Gotteslob so feingliedrig zu vernehmen. Jeder ein gestandener Solist. Wie zwei Engelsstimmen schweben die beiden unterschiedlich hohen Soprane durch den Saal.
Das nächste Stück – Chi vol che m’innamori – ist voller Skepsis. Warum sich verlieben, warum nach Ruhm und Schätzen streben, da man doch nackt stirbt? Der Gedanke an den Tod scheint zu jener Zeit schon früh ein Thema zu sein. Das Leben war ja deutlich kürzer als heutzutage. Drei Sänger bringen dieses in Moll badende Lied schlicht und schön.
Der Gedanke an das unvermeidliche Ende prägt auch O ciechi (O ihr Verblendeten). Die Frage (auf Deutsch) „Was nützt es, so viele Länder zu unterwerfen?“ sollte auch momentanen Machthabern gestellt werden. Zepter und Kronen, Bischofsmützen und Purpur – alles ist vergänglich, verkünden 5 Männer und 2 Frauen.
Betont langsam dann die Anbetung im Adoramus te, interpretiert von 5 Herren und Emmanuelle de Negri, deren Sopran sich fast zärtlich emporhebt. Wesentlich munterer dann das fünfstimmige Confitebor tibi Domine, das voller Zuversicht den Herrn preist.
Wiederholungen oder das Ausmalen von Verszeilen gibt es – anders als später bei Bach – für Monteverdis Sängerinnen und Sänger nicht. Das übernehmen mit Verve – oft in Zwischenspielen – die Instrumentalisten. Douglas Balliett (Violone = Viola da Gamba) und den jungen Cyrill Poulet (Cello) habe ich genau im Blick. Konzentration und Engagement für diese Musik zeigt sich in ihren Gesichtern und im Körpereinsatz. Später, im Laudate Dominum, fallen sie mir noch einmal besonders auf.
Der zweite Teil beginnt mit der Marienklage (Pianto della Madonna), die quasi mit der Klage der Arianna in Monteverdis gleichnamiger Oper identisch ist. Ein Solostück, hier für Emmanuelle de Negri. Auffälligerweise beklagt sich diese Maria mehr über das eigene Leid, das sie durch den Tod ihres Sohnes Jesus erdulden muss, als über seine Martern.
Empört ist sie, dass das Versprechen des Erzengels Gabriel nicht in Erfüllung gegangen ist, und möchte am liebsten ebenfalls sterben. Erst zuletzt nimmt sie ihr Schicksal und das ihres Sohnes an. Das folgende Salve Regina, kraftvoll von zwei Bassisten interpretiert, ergibt ein ganz anderes Stimmungsbild dieser Maria.
Frohe Glaubensgewissheit strahlt schließlich das letzte Stück Beatus vir (Wohl dem Mann) aus. Das singen sie alle, und beim Amen ist auch Christie voller Begeisterung mit dabei. Ebenso begeistert ist das Publikum, das mit seinem heftigen Applaus Christie sichtlich erstaunt und beglückt. Als Zugabe bringt er erneut das siebenstimmige Gloria, und das klingt jetzt stark und voll, ganz anders als zu Beginn. Jetzt füllen Les Arts Florissants den Saal bis in die obersten Reihen. Filigrane Power – wie angenehm für die Ohren!
Ursula Wiegand