Berlin/ Philharmonie: Kirill Petrenko und Vilde Frang überraschen vom 6.-8. November 2024 mit einem sehr besonderen Konzert
Festkonzerte sollten an diesen drei Tagen erklingen, feiert man doch „75 Jahre Freunde der Berliner Philharmoniker e.V.“ Schon 1949, als Berlin noch weitgehend in Schutt und Asche lag, wurde dieser Verein von Menschen gegründet, denen die Musik und ihr Wiederaufleben sehr wichtig war.
Ein Anliegen, das aber zumindest den heutigen deutschen Politikern offenbar recht gleichgültig ist, wurden doch schon Kürzungen gerade auf dem Kultursektor angekündigt, gegen die nun deutlich demonstriert wird, auch von den Berliner Philharmonikern.
Hellsichtig schienen jedoch, was dieses Konzert betraf, Kirill Petrenko und die Programm-Macher zu sein. Die hatten offenbar beizeiten die Wahlen in den USA im Blick und passend dazu Werke von Komponisten ausgewählt, die auch eine Zeitlang in Amerika gelebt und arbeitet hatten.
Das sind an diesem Berliner Abend Sergej Rachmaninow, Erich Wolfgang Korngold und Antonín Dvořák. Mit diesem Programm reist Petrenko ab dem 15. November auch in die USA und gratuliert sozusagen Donald Trump zu seinem deutlichen Wahlsieg. Nur die Violinistin ist dann mit Hilary Hahn eine andere.
Einen echten Knalleffekt können Petrenko und seine Crew dort allerdings nicht mehr bieten: das schon länger erwartete, aber doch plötzliche Platzen der deutschen Ampelkoalition gerade am 06. November. Also ein „Doppel-Wumms“, wie das Kanzler Olav Scholz, der noch gerne länger auf seinem Sessel sitzen möchte, bei besseren Neuigkeiten genannt hatte.
Insofern passte jedoch das erste, nur zehnminütige Konzertstück haargenau: Sergej Rachmaninows „Die Toteninsel“, Symphonische Dichtung op. 29. Das gleichnamige Gemälde von Arnold Böcklin hatte Rachmaninow inspiriert, so dass er danach in Dresden geschwind „Die Toteninsel“ komponierte. Unter seiner Leitung fand am 18. April 1909 die Uraufführung in Moskau statt.
Passagen aus dem bekannten „Dies irae“, dem Tag des Jüngsten Gerichtes, sind darin zu erkennen, und die passten am 06.11.2024 zum Zerfall der deutschen Regierung ebenso wie zu Trumps Wahlsieg, der für Europa negative Auswirkungen haben könnte.
Vilde Frang. Foto: Stephan Rabold
Doch davon ließen sich die Musikfans während der drei ausverkauften Konzerte nicht die Freude nehmen. Das war vor allem dem „Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 35“ von Erich Wolfgang Korngold und den bestens gelaunten Interpreten zu verdanken, insbesondere der temperamentvoll musizierenden norwegischen Star-Violinistin Vilde Frang. Ihr Geigenbogen schoss oft wie ein Pfeil empor, und manchmal hatte sie auch ein schelmisches Lächeln Richtung Petrenko im Gesicht.
Anders als der unter Heimweh leidende Rachmaninow entwickelte Korngold die Filmmusik für Holywood und wurde dort ein begehrter Komponist. Mit Bravour machten sich auch die Berliner Philharmoniker diese saftigen Melodien zueigen. Das Finale mit dem Allegro assai vivace wurde zum Höhepunkt, und nach einer Zugabe von Vilde Frang tobte der ganze Saal.
Bestens gelang auch die „Symphonie Nr. 7 d-Moll op. 70“ von Antonín Dvořák, die am 22. April 1885 in London uraufgeführt wurde. Diese bitte nicht verwechseln mit seiner Symphonie Nr. 5 „Aus der Neuen Welt“. (Eigentlich war es seine neunte).
Anders als Rachmaninow und Korngold musste Dvořák jedoch nicht aus politischen Gründen emigrieren. Der Tscheche wurde eingeladen, um für Amerika eine gute nationale Musik zu entwickeln. Er blieb dort drei Jahre und wurde bestens bezahlt. „Aus der Neuen Welt“ ist 1893 in der Carnegie Hall in New York uraufgeführt worden und noch heutzutage überall beliebt.
Andererseits haben Beethoven und Brahms bei Dvořáks 7. Symphonie Pate gestanden. Hörner, Pauken und Kontrabässe werden schon im 1. Satz deutlich eingesetzt, und die Blecbläser sorgen alsbald für ein stattliches Forte.
Im 2. Satz Poco adagio kommt dann sein Freund Johannes Brahms musikalisch zu Wort. Dvořák lässt aber auch Platz für den böhmischen Volkstanz Furiant. Zuletzt nimmt sich er sich jedoch Beethovens Fünfte zum Vorbild und beendet seine 7. Symphonie mit einem strahlendem Dur.
Insgesamt ein interessantes und anspruchsvolles Werk mit 4 Sätzen, das Kirill Petrenko und die Philharmoniker bestens realisieren. Der erneut starke Beifall zeigte, dass dem Publikum dieses Werk und dessen Darbietung sehr gefallen haben.
Gefeiert, auch mit Musik aller Art, wurde dann noch am 9. und 10. November auf den Straßen. Anlass war die Wiedervereinigung Deutschlands vor 35 Jahren. Und wie geht es nun weiter?
Ursula Wiegand