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BERLIN/ Philharmonie: Kirill Petrenko und Lisa Batiashvili begeistern das Publikum

17.02.2024 | Konzert/Liederabende

Berlin/ Philharmonie: Kirill Petrenko und Lisa Batiashvili begeistern das Publikum am 16.02.2024

Es ist die dritte Darbietung der drei folgenden Stücke, und wieder ist die Berliner Philharmonie total ausverkauft. Dass Schönes und Interessantes zu hören ist, davon sind die Musikfans inzwischen überzeugt, selbst wenn Ihnen bisher Unbekanntes geboten wird

Johannes Brahms als Auftakt, also Spätromantik – das kann nicht schief gehen, vermuten alle, selbst wenn seine „Tragische Ouvertüre d-Moll“ op. 81 kaum bekannt ist.
Brahms hat sich jedoch um diese Komposition nicht gerissen, musste sich aber für die Ehrendoktorwürde 1879 an der Uni Breslau revanchieren, verrät das Konzertprogramm. Das tat er zunächst mit einer Akademischen Fest-Ouvertüre, basierend auf Studentenliedern. Vielleicht ein recht freches Dankeschön und womöglich ohne viel Einsatz komponiert.
Jene Ouvertüre ist aber in der Philharmonie nicht zu hören, sondern sein schon erwähntes tragisches Zweitwerk von 1880, nur rd. 13 Minuten lang, das am 26.12 jenes Jahres im Wiener Musikvereinssaal uraufgeführt wurde.

Auf diese Weise zeigte sich der wahre, eher nachdenkliche Brahms. Genau so wird das Stück nun von Kirill Petrenko und den Berliner Philharmonikern realisiert, mal zupackend und rhythmisch, mal in zart-schöner Gesanglichkeit. Das beifallsfreudige Berliner Publikum wird so bereits auf das Folgende eingestimmt.

Und das, Karol Szymanowskis „Konzert für Violine und Orchester Nr. 1“ op. 35 rauscht auch satzlos in 25 Minuten durch den Saal. Jetzt aber müssen die Zuhörenden die Ohren spitzen, um die überaus zahlreichen melodischen Wendungen wahrzunehmen, die diesen polnischen Komponisten schon auf dem Weg in die Moderne zeigen.
Er schuf, vermutlich ohne längere Grübeleien, ein vielfarbiges, schwungvolles Werk mit vielen Finessen, das auch als Szymanowskis Liebeserklärung an den jungen Geigenvirtuosen Pawel Kochanski gilt. Der sollte auch bei der Uraufführung den echt schwierigen Geigenpart übernehmen. Doch die russische Oktoberrevolution im Jahr 1917 machte einen Strich durch die Rechnung. Ein anderer Künstler übernahm diese Aufgabe.

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Lisa Batiashvili. Foto: Lena Laine

Jetzt in Berlin machte es die großartige Violinistin Lisa Batiashvili, und das  mit sichtlicher Hingabe. Also kein Mann, und das nicht nur, weil sie gerade Artist in Residenz ist, schon seit 2004 zusammen mit den Berliner Philharmonikern musiziert und weltweit gefragt ist.

Heutzutage ist solch ein Rollentausch der Geschlechter ohnehin nichts Besonderes, und so besonders wie Lisa Batiashvili könnten wohl nur wenige Künstler/innen Szymanowskis innigen, leidenschaftlichen, aber auch schalkhaften Intentionen so folgen, wie sie es nun tut.
Auffällig sind die immer wiederkehrenden Höhen, in die der Komponist seine musikalischen Gedanken geführt hat. Batiashvilis Guaneri „del Jesu“ von 1739 macht das wunderbar möglich. Die Star-Geigerin führt sie locker und ganz natürlich in die höchsten Höhen. Der Beifall für diese fabelhafte und uneitle Künstlerin sowie für Petrenko und die Philharmoniker will dann kaum enden.

Doch noch weit mehr Applaus erhält schließlich die „Symphonia domestica“ op. 53 von Richard Strauss. Der schildert nun anstatt des „Heldenlebens“ recht ironisch seine Familiensituation. Zu hören sind Kindergeschrei, Streitigkeiten mit seiner sehr eigensinnigen Frau Pauline und die anschließende Versöhnung. Immerhin hielt diese turbulente Ehe 55 Jahre.
Allerdings hat Richard Strauss auch sämtliche spätromantischen Register gezogen, um den Hörern oder anderen Komponisten 45 Minuten lang mit seinen Einfällen zu imponieren. Er übertreibt deutlich, fast scheint es, als tobe eine Großfamilie in seinem Haus. Sein einziger Sohn Franz war jedoch kein aufsässiges Kind.
Doch Petrenko und die Philharmoniker in größter Besetzung gestalten nun die angebliche Familien-Schilderung mit viel Schwung und Humor. Die bekanntesten Solisten legen sich ins Zeug, und das Blech kann sich richtig austoben.

Und siehe da – gerade dieses Stück, das das Nachdenken erspart, wird an diesem Abend zum Renner und dient wohl auch zur Erholung von all’ den düsteren Nachrichten, die täglich auf die Menschen einstürmen. Nach dem letzten Takt tobt nun das jüngere Konzertpublikum, und die Älteren spenden „standing ovations“.

Ursula Wiegand

 

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