Berlin/Philharmonie: Kirill Petrenko mit Puccinis „MADAMA BUTTERFLY“ konzertant, am 27.04.2025
Teresa Iervolino (Suzuki), Eleonora Buratto (Cio-Cio.San). Foto: Bettina Stoess
Giacomo Puccinis „Madama Butterfly“ kennen wohl fast alle Opernfans, aber sicherlich nicht in solch einer tiefsinnigen Version, wie sie Kirill Petrenko jetzt dem Publikum vermittelt hat. Zuerst als „echte“ Oper mit Kostümen bei den Osterfestspielen in Baden-Baden, danach, wie stets geschehen, konzertant in der Berliner Philharmonie.
Mit den Osterfestspielen in Baden-Baden ist nach 12 Jahren für die Berliner Philharmoniker und ihre Dirigenten nun Schluss, sie wechseln zurück nach Salzburg. Einen anderen Schluss will auch Petrenko mit dem spöttischen Lächeln mancher Menschen machen, was Puccini betrifft und gerade dessen „Madama Butterfly“.
Kitill Petrenko und die Philharmoniker. Foto: Bettina Stoess
Diese Oper zeigt deutlich den Imperialismus und das damalige Kolonial-Gehabe. Petrenko hat das deutlich begriffen und öffnet nun auch die Ohren und Sinne der genau Zuhörenden für die Tragik, die dieses Werk enthält.
Bekanntlich hat dieses Liebesmärchen zwei Seiten. Für Pinkerton, dem schicken Leutnant der USA-Marine, sind Heirat und Sex nur ein kurzes Spiel, was er auch nicht verhehlt. Ein Vermittler hat ihm die hübsche japanische Geisha Cio-Cio-San ausgesucht. Vergeblich warnt Sharpless, der erfahrene Konsul der USA. „Sie meint es ernst“, sagt er mehrfach zu Pinkerton und ahnt, dass es für sie eine Entscheidung fürs Leben ist und sie nicht glücklich machen wird. Doch mutig verlässt sie ihre Götter und ihre Familie, die sie daraufhin verflucht.
Anfangs geht alles klar, auch Pinkerton verliebt sich ein bisschen in diese zarte fremde Frau, und diese beiden mit ihren fabelhaften Stimmen lassen uns das auch glauben. Jonathan Tetelman, gut aussehend, charmant und betörend mit seinem großartigen Tenor, überzeugt als Pinkerton. Von Berlin aus, vor wenigen Jahren in der Deutschen Oper, hat er bereits seine internationale Karriere gestartet.
Die Cio-Cio-San, brillant verkörpert von Eleonora Buratto, ist ein besonderer Edelstein. Durch alle Höhen und Tiefen des Lebens in dieser Oper trägt sie ihr schöner, glasklarer Sopran, der auch in New York begeistert hat.
Wie immer hat Petrenko richtig gewählt, das zeigen auch die weiteren Rollenbesetzungen. So Tassis Christoyannis, Bariton als der schon erwähnte Sharpless, Didier Pieri, Tenor, als Heiratsvermittler, Lilia Istratii, Mezzosopran als Kate Pinkerton, Aksel Daveyan, Bariton als Fürst Yamadori, der die von Pinkerton verlassene Frau gerne heiraten möchte.
Jonathan Tetelman (Pinkerton), Eleonora Buratto (Cio-Cio-San). Foto: Bettina Stoess
Die weiteren Rollen werden ebenfalls mustergültig gesungen und gespielt. Giorgi Chelidze, Bass ist Onkel Bonzo, Jasurbek Khaydarov, Bass der Kaiserliche Kommissar, Benjamin Šuran, Bassbariton ist Yakusidé, Natalie Jurk, Mezzosopran gibt Cio-Cio-Sans Mutter, Eunsoo Lee, Sopran ist Cio-Cio-Sans Tante und Georg Streuber, Bariton der Standesbeamte. Ein besonderes Lob verdient der Rundfunkchor Berlin, der in diesem Jahr sein hundertjähriges Jubiläum feiert.
Besonders berührt hat mich auch Teresa Iervolino, Mezzosopran, als die Dienerin Suzuki. Sie versucht mit Tränen in den Augen Cio-Cio-San zu trösten. Pinkerton hat sie vor drei Jahren verlassen, doch sie glaubt fest an seine Wiederkehr, Suzuki aber nicht. Hinterlassen hat er ihr nur einen kleinen Jungen mit blauen Augen und blondem Haar, den er gezeugt hat, und der ist nun ihr einziges Glück.
Plötzlich taucht jedoch das weiße Schiff auf, auf dem Pinkerton wiederkehrt. Jetzt triumphiert Cio-Cio-San und lässt Suzuki das ganze Haus mit Blumen schmücken. Es dauert, bis der geliebte Mann ins Haus tritt und seine Abwesenheit bereut. Ist das ehrlich?
Eigentlich will er aber nur den Knaben haben, den seine amerkanische Frau aufziehen will. Pinkerton bezeichnet sich selbst als Feigling, der solches nicht verhindert. Allerdings ist dieser kleine Junge in der konzertanten Aufführung nicht zu sehen und auch nicht der Dolch, mit dem Cio-Cio-San anschließend Harakiri macht.
Das Leid von Cio-Cio-San und dieser furchtbare Schluss haben auch zahlreiche Instrumentalisten erschüttert, das zeigen ihr Spiel, ihre Gesichter und auch die Miene von Petrenko, der uns auf diese Weise eine der berührendsten Opern überhaupt geboten hat.
Das Mitgefühl von vielen, vielleicht nicht nur für die Opernfigur Cio-Cio-San, hat er geweckt, denn Ähnliches ereignet sich leider weiterhin und in allen Ländern. Überraschender Weise hat also diese konzertante Darbietung manches stärker verdeutlicht als eine komplette Oper mit Kostümen und Szenerie. Für die Autorin war es ihre bisher beste „Madama Butterfly“.
Ursula Wiegand