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BERLIN/ Philharmonie: KIRILL PETRENKO DIRIGIERT TSCHAIKOWSKYS „JOLANTHE“. Konzertante Premiere

13.01.2022 | Oper international

Berlin / Philharmonie: Kirill Petrenko dirigiert Tschaikowskys „JOLANTHE“, konzertante Premiere am 12.1.2022

kirill petrenko dirigiert jolanthe, 12.01.2022, foto ole schwarz
Kirill Petrenko dirigiert  „Jolanthe“. Foto: Ole Schwarz

Es ist ein märchenhaften Geschehen aus dem 15. Jahrhundert, das nun in der Philharmonie großartig von Solistinnen und Solisten sowie vom Rundfunkchor Berlin gesungen und von den Berliner Philharmonikern unter der Leitung von Kirill Petrenko mit allen Varianten sehr fein musiziert wird.  

Es geht um Peter Tschaikowskys letzte Oper „Jolanthe“, komponiert zwei Jahre vor seinem Tod, die er als „Das Beste, was ich je geschrieben habe“, bezeichnete. Bekanntlich hat er zahlreiche Werke komponiert, die weiterhin auf vielen Bühnen gerne gespielt werden. 

Doch Jolanthe – das spürte er –  ist quasi die Quintessenz seines eigenen, nicht einfachen Lebens. Und nur 90 Minuten reichten ihm, um seine Schwierigkeiten an einem, ihm auf andere Weise verwandten Menschen ohne zuviel Larmoyanz aufzuzeigen.

Der Einakter „Jolanthe“ ist also ein sehr persönliches Stück und überdies eines ohne Bösewichte. Das Märchen hat sogar ein Happy End, das aber nur durch Liebe und Wagemut erreicht wird! Ein Drama vom Dänen Henrik Hertz gab den Anstoß. Sein Bruder Modest Tschaikowsky schrieb das Libretto.

Der einzige kleine Wermutstropfen ist die Tatsache, dass „Jolanthe“ in der Berliner Philharmonie konzertant nach früherer Art dargeboten wird. Die Sängerinnen und Sänger halten die Partituren in den Händen und schauen fast ständig auf die Noten. Als Anna Netrebko und ihre Truppe 2012 mit „Jolanthe“ in der Philharmonie gastierten, ging es wesentlich lebhafter zu.

Doch für mehr war/ist wohl während in der jetzigen Pandemie keine Zeit und das Risiko von Absagen zu groß. Daher können wir glücklich sein, dass diese Aufführung stattfinden konnte und kann, denn auch Kirill Petrenko hat seinen Hexenschuss überwunden. Er dirigiert lächelnd und wippt in den Knien, vermeidet aber noch die ganz großen Gesten.
Alle zusammen haben sie Glanzleistungen geboten und dem begeisterten Publikum eine Sternstunde beschert. Zwei weitere Gelegenheiten bieten sich am 14. und am 15. Januar 2022.

Als erste treten Nikolay Didenko als Betrand mit in jeder Hinsicht fülligem Bariton (eher Bass-Bariton) und der jugendliche Tenor Dmitry Ivanchey, des Königs Waffenträger, in Erscheinung. Doch dann dreht sich alles um die blinde Königstochter Jolanthe.

asmik grigorian als jolanthe, foto ole schwarz
Asmik Grigorian als „Jolanthe“. Foto: Ole Schwarz)

In dieser Rolle brilliert nun Asmik Grigorian, Sopran, die die erkrankte Sonya Yoncheva ersetzt und vom Typ her besonders gut in diese Rolle passt. Ihr erfolgreicher Weg nach Salzburg wurde u.a. in Berlin an der Komischen Oper geebnet, zunächst im Febr. 2013 als Maria in „Mazeppa“.

Damals schon war zu lesen: „Gekonnt bringt sie ihren gut geschulten Sopran zur Geltung, gestaltet die dramatischen Partien mit der erforderlichen Kraft, ohne je schrill zu werden, ist aber auch der zarten, innigen Töne fähig.“ Später überzeugte sie am selben Haus als Jenufa sowie im Jan. 2016 als ausdrucksstarke Tatjana in Onegin.

Ihre weiter vervollkommnete Stimme schwebt nun ohne zu forcieren frei über dem Orchester. Glaubhaft lässt sie ihre kindliche Freude über die Blumen und den Gesang der Vögel hören. Sie weiß nichts von ihrer Blindheit und meint, die Augen wären nur zum Weinen da. Von der Amme Martha und ihren beiden Freundinnen Brigitta und Laura, die ihre Blindheit nicht verraten dürfen, wird sie in einem Gartenhaus liebevoll betreut.

Dieses Team steht weiter oben zwischen den Philharmonikern, drei in jeder Hinsicht unterschiedliche Damen in „three shades of blue/green“. Es sind Anna Denisova, Sopran, als Brigitta, Victoria Karkacheva, Mezzo, als Laura und Margarita Nekrasova, als Martha, Alt.   

Jolanthes Vater, König René, ist beim Finnen Mika Kares, Bariton, in bester Kehle. Am meisten berührt sein Gesang, als er Gott sein Leben und all’ sein Hab und Gut anbietet, damit seine geliebte Tochter Jolanthe von ihrer Blindheit befreit wird. 

Auf Jolanthes Spur sind  aber zwei hochadlige Männer: Robert, verkörpert vom stimmstarken russischen Bariton Igor Golovatenko, dem Jolanthe schon im Kindesalter versprochen wurde. Andereerseits hat sich Graf Vaudémont und Roberts Freund – der armenische Tenor Liparit Avetisyan – beim ersten heimlichen Blick auf das schlafende Mädchen sofort in die zarte Schöne verliebt.

Diese beiden Sänger bringen Temperament mit, schauen auch nur gelegentlich auf die Noten. Vermutlich singen sie ihre Partien mit einem angenehm russisch geschulten Timbre nicht zum ersten Mal. Sofort gibt es Zwischenbeifall, nachdem Robert von seiner lebenslustigen Mathilde heftig geschwärmt hat. Die will er viel lieber heiraten als die ihm zugedachte Jolanthe, die er noch nie gesehen hat.

Graf Vaudémont besitzt einen anderen Geschmack und stemmt sich mit Mut und Temperament gegen Jolanthes Vater, der ihn ertappt hat. Der junge Mann will lieber sterben, als auf die Geliebte zu verzichten, deren Blindheit er beim Überreichen von Blumen entdeckt hat. Auch sie merkt schon, dass in ihrem bisherigen Leben irgend etwas fehlt.    

Der Vater, der den berühmten maurischen Arzt Ibn-Hakia mitgebracht hat, ist voller Zorn, dass der Graf dem Mädchen ihre Blindheit erklärt und vom Licht erzählt hat. Der weise Arzt, der das schlafende Mädchen untersucht hat, meint jedoch, sie mit Allahs Hilfe vermutlich heilen zu können, aber nur, wenn sie selbst es mit aller Kraft will.

Der Österreicher Michael Kraus, Bariton, ein schlanker Herr mit weißem Haar, ist ebenfalls genau passend gecastet. Welche Power bietet er plötzlich auf, als er dem König erklärt, wie essentiell das Licht für die Menschen ist. Auf halbe Sachen lässt er sich nicht ein.

Der doch noch lernfähige König greift zu einer List und droht dem Grafen den Tod an. Um den Geliebten zu retten, will Jolanthe nun selbst das Licht sehen und ist tapfer zu jeder Maßnahme bereit. Asmik Grigorian dreht nun auf, doch ihre Stimme bleibt angenehm. Strahlende Freude mischt sich schließlich mit dem zunächst beängstigenden Lichtschock.

Wie überzeugend und modern ist hier Tschaikowsky, der den Willen betont, der allein etwas ändern kann! Das Glück muss erkämpft werden, so seine Botschaft. Das Finale mit allen Sängerinnen und Sängern, dem Rundfunkchor und den Musizierenden wird zum Riesenjubel, und das glückliche Publikum revanchiert sich auf die gleiche Weise.    Ursula Wiegand

Am 15. März lässt sich dieses Konzert auch in der Digital Hall nacherleben.    

 

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