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BERLIN/ Philharmonie: Kirill Petrenko dirigiert Korngold, Mozart und Norman vor der Amerika-Tournee

04.11.2022 | Konzert/Liederabende

Berlin/ Philharmonie: Kirill Petrenko dirigiert Korngold, Mozart und Norman vor der Amerika-Tournee, 3.11.2022

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Die Berliner Philharmoniker mit Kirill Petrenko und Noah Bendix-Balgley spielen ihr Amerika-Programm

 

In wenigen Tagen ist es soweit, Dann starten die Berliner Philharmoniker in Top-Besetzung mit ihrem Chefdirigenten Kirill Petrenko und dem 1. Konzertmeister Noah Bendix-Balgley (Violine) nach langer Pandemie-Pause zu einer umfänglichen Amerika-Tournee.

Werke von Andrew Norman, Wolfgang Amadeus Mozart und Erich Wolfgang Korngold stehen auf dem Programm – in den USA und vorab an drei Tagen in der total ausverkauften Berliner Philharmonie.

Wird das Programm also in Berlin erstmal geübt? Das ist nicht mehr nötig. Wie zu hören und zu sehen ist, haben es alle in ihren Köpfen und Fingern. Doch ein Warmlaufen tut immer gut. Gastspiele von Stadt zu Stadt sind kein Zuckerschlecken, zumal beim beachtlichen Zeitunterschied zwischen Deutschland und Nordamerika. Doch mit erkennbarer Vorfreude stürzen sie sich in diese drei außergewöhnlichen Werke.

Den Auftakt macht das nur 10 minütige Stück Unstuck für Orchester von Andrew Norman. Das ist aber kein Einschmeicheln beim US-Publikum. Norman hat schon einige Stücke für die Berliner Philharmoniker geschrieben, und Petrenko schätzt ihn wohl sehr.

Wie im Programmheft zu lesen ist, hatte Norman (geb.1979) zeitweise eine „Komponier-Blockade“, doch Sätze aus einem Buch haben ihn geheilt. Schon die ersten Takte, von Kirill Petrenko temperamentvoll dirigiert und in voller Orchesterbesetzung gespielt, zeigen, dass Norman gewiss keine „Lärmblockade“ hat.

Wer im Publikum vielleicht noch nicht ganz konzentriert war, wird also sogleich heftig geweckt. Im Verlauf scheint Norman alles in das Kurzstück hineingepackt zu haben, was ihm irgendwann eingefallen war, er aber zunächst nicht fortführten konnte.

Humor hat Norman auch. Manchmal meine ich gackernde Hühner und schnatternde Enten zu hören. Auf leises Ticken folgt plötzlich Tumult. Norman hat Erinnerungsfetzen wieder belebt und macht daraus gekonnt ein farbiges Musikstück, das schließlich, immer leiser werdend, von den Celli beendet und vom Berliner Publikum mit starkem Applaus bedacht wird.

Danach ist Zart-Beschwingtes an der Reihe, aber auch nichts Alltägliches:

Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791)

Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 B-Dur KV 207

  1. Allegro moderato
  2. Adagio
  3. Presto. Kadenzen: Noah Bendix-Balgley

Als Entstehungszeit  wird 1773 angegeben. Mozart war also 17 Jahre jung, als er sein 1. Violinkonzert komponierte, das sich als Genre damals gerade erst entwickelte.

Nun sind nur die Streicher am Werke, und sogar zwei erste Konzertmeister: der langjährig tätige Daishin Kashimoto führt, auf dem üblichen Stuhl sitzend, das Orchester.

Noah Bendix-Balgley, neben Petrenko stehend, tritt diesmal als Solist auf und ist vor allem für die Kadenzen zuständig. Per saldo kann er nun weit mehr von seinem großartigen Können zeigen, als es sonst der Fall ist. Auch er wird als Solist mit in die USA reisen.

Kirill Petrenko dirigiert dieses erstaunliche, 30 minütige und gut geratene Jugendstück tänzerisch und mit einem Lächeln im Gesicht. Bei aller Konzentration schauen sich Petrenko und der schlanke, groß gewachsene Bendix-Balgley, der seine Violine singen lässt, ab und zu lächelnd an. Einige im Orchester haben ebenfalls diese Freude im Gesicht. Das Adagio lässt für eine Weile die Unbillen der Gegenwart vergessen.

Und eines ist außerdem deutlich zu spüren: Das Miteinander und das gegenseitige Einverständnis statt eines Klimas der Angst. Das macht das aufmerksam lauschende Publikum ebenfalls glücklich. Heftig applaudierend erreicht es nach dem Finale eine von Bendix-Balgley sichtlich gern gegebene Zugabe.

Die ist inhaltlich so bekannt, das im Saal leicht gekichert wird. Es sind die Variationen von Paul Hindemith  über Mozarts „Komm lieber Mai und mache“, und da könnten die meisten gleich mitsingen. Wie Noah Bendix-Balgley das mit biegsamen Körper und sichtlicher Begeisterung spielt, ist solch eine Zugabe ein wahres Geschenk.

Nach der Pause kommt ein weiteres Wunderkind zu seinem Recht: Erich Wolfgang Korngold. Schon mit 9 Jahren komponierte er eine Kantate und wurde von Gustav Maler als „Genie“ bezeichnet, Wenig später erhielt er ähnliches Lob von Richard Strauss.

Starken Erfolg hatte Korngold mit seinen Opern, vor allem  mit „Die tote Stadt“. Seine Opern waren eine Zeitlang sogar die meistgespielten in Österreich und Deutschland. Als Anfang Zwanzigjähriger hatte er bereits den Gipfel in der Publikumsgunst erreicht, konnte sich auf dem aber nicht halten.

Er selbst sah sich als Vertreter der „modernen Klassik, doch sein Musikstil galt nun zumindest bei den Kritikern bald als veraltet. Darüber hinaus wurde er als Jude antisemitisch angefeindet. Also wanderte er nach Amerika aus, hatte dort große Erfolge als Komponist von Filmmusik und konnte auch seine Familie nachholen.

Die ersehnte Rückkehr nach Wien geriet jedoch zur großen Enttäuschung. Wien war ihm fremd geworden und er den Wienern. Ein herber Schlag wurde vor allem die (womöglich lustlose) Uraufführung seiner Symphonie Fis-Dur, op. 40, die am 17. Oktober 1954 durch die Wiener Symphoniker, geleitet vom Dirigenten Harold Byrns, im Großen Sendesaal des Funkhauses Wien, gründlich misslang.

Geschah es aus Desinteresse oder mangelnder Übung dieser recht schwierigen Partitur? Doch auch in Amerika war Korngold Stern bereits verblasst. Drei Jahre nach dem Misserfolg seiner Fis-Dur-Symphonie starb Korngold als vergessenes Genie in Los Angeles.

Doch Kirill Petrenko hat Korngolds Wert schon lange erkannt und versucht seit geraumer Zeit, dessen Musik in die Konzertsäle zurück zu holen, nun sogar in die in Amerika. Ein Wagnis ist diese Wiedergutmachung jedoch auch.

Denn selbst die Berliner Philharmoniker spielen erstmals, aber in Bestbesetzung, Korngolds Fis-Dur-Symphonie.

Doch sie besitzen das dafür nötige Können, haben sicherlich fleißig geübt und werfen sich nun in Berlin zusammen mit Kirill Petrenko voll konzentriert in diese anspruchsvolle, oft stark rhythmisch wirbelnde, aber hochinteressante Partitur.

Was hier abgeht, könnte eine taube Person schon an Petrenkos Dirigat erkennen. Den ganzen Körper setzt er ein, um alles aus allen herauszuholen, angefangen beim aufwühlenden, recht dissonanten Beginn, der mit Hilfe des Schlagwerks an Hammerschläge erinnert.

Auch mit Pauken und Trompeten prunkt diese Symphonie, mit Stefan Dohrs Horn und andererseits mit Klavier, Celesta und Albrecht Mayers Oboe. Nach einigen zarten Stellen ist schnell wieder wuchtig Chromatisches zu vernehmen. Moderne Klassik, die Korngold bieten wollte, ist das eigentlich nicht.

Im Laufe der fast einstündigen Symphonie erhält jedoch jedes Instrument mehrfach eine Chance, und die wird stets gerne genutzt. Den Flöten wird in all’ dem Klanggewoge, gemischt mit klappernden Akkorden, offenbar eine gewisse Schonung eingeräumt, die sie mit schönen reinen Linien füllen.

Ansonsten hat Korngold oft aufs Unübliche gesetzt. Das Scherzo kommt recht unlustig sowie relativ laut und derb daher. Auch das zwischen Moll und Dur angesiedelte Adagio klingt anders als erwartet. Die Filmmusik-Fetzen im dritten und vierten Satz, die die Wiener Kritiker erbosten, verwandeln sich dagegen in Schmunzel-Effekte.

Jedenfalls nehmen die Berliner Philharmoniker zusammen mit Kirill Petrenko alle Hürden mit Eleganz und/oder mit Bravour. Sie spielen gerne mal etwas Neues und Ungewöhnliches. Das Publikum ist voll begeistert und spendet heftigen Applaus.   

Ursula Wiegand

 

 

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