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BERLIN/Philharmonie: Kirill Petrenko dirigiert Beethoven und Mendelssohn

02.09.2020 | Konzert/Liederabende


Berliner Philharmoniker, Daniil Trifonov, Kirill Petrenko. Foto: Stephan Rabold

Berlin, Philharmonie: Kirill Petrenko dirigiert Beethoven und Mendelssohn,  01. Sept. 2020

Am 01. September haben die Berliner Philharmoniker mit ihrem Chefdirigenten Kirill Petrenko ihr klangreiches Haus nach der monatelangen, Corona bedingten Zwangspause wieder live eingeweiht. Und das gleich mit zwei Aufführungen an diesem Tag, eine am Nachmittag und die andere abends um 20 Uhr, in der ich dieses Konzert gehört und genossen habe. 

Da aus Abstandsgründen momentan nur gut 400 Musikfans in den Großen Saal hineingelassen werden, ist diese Verdoppelung eine erfreuliche Geste, gut fürs Publikum und auch gut für die Berliner Philharmoniker. Ab 01. September gibt es auch mehr Doppelsitze für Paare, die Ende August noch getrennt wurden. Vermutlich haben nicht wenige gegen diese angeordnete Vereinzelung ihren Unwillen geäußert.

Nun stehen Beethoven und Mendelssohn auf dem Programm, am 2. September wird Mendelssohn von Josef Suk abgelöst. Doch Ludwig van Beethovens Konzert für Klavier und Orchester Nr. 3 c-Moll op. 37 mit dem Superkönner Daniil Trifonov wird nochmals gespielt.

Trifonov, der sich bisher eher den romantischen Werken von Schumann, Skrjabin und Rachmaninow gewidmet hat, interpretiert hier erstmals ein Beethoven-Klavierkonzert, aber wie! Für ihn gibt es an diesem Abend nur den Flügel und den allseits bekannten Klassiker. 

Bei der Einleitung haben noch Petrenko und die Seinen das Sagen, doch dann ist der 29jährige Tastenstar der Mann, der bestimmt, wo es langgeht. Er hockt, den Kopf gesenkt, am Flügel, bohrt sich oft förmlich hinein ins Instrument, schaut selten empor und wenn dann irgendwohin in die Ferne, aber nie zu Petrenko oder den Instrumentalisten. Er tut das in aller Bescheidenheit, er kann nicht anders und wirkt wie in Trance. Petrenko kommt damit klar und blickt sich nur gelegentlich mit einem Lächeln nach ihm um.

Doch wie Trifonov die drei Sätze dieses Klavierkonzerts, zu dessen Fertigstellung Beethoven acht Jahre gebraucht hat, in jeder Phase gestaltet, wird zum Erlebnis. Die Töne perlen, doch keiner geht verloren und jeder Ton bekommt seine eigene Bedeutung. Selbst die zahlreichen Triller erhalten eine individuelle Färbung, und beim Forte geht’s dann selbstverständlich kräftig zur Sache.

Eine besondere Intimität verleiht Trifonov dem Largo, in dem Beethoven sein Herz geöffnet hat. Es erzählt innig und traumverloren von der „unsterblichen Geliebten“.

Forscher/innen vermuten, es sei die Gräfin Josephine Brunsvik gewesen, eine schöne Frau, der Beethoven als 34Jähriger nach dem Tod ihres Gatten zahlreiche leidenschaftliche Briefe schrieb. Doch als Adlige mit vier Kindern stellte sich ihre Familie gegen eine enge Verbindung mit Beethoven.

Trifonov taucht nun ganz ein in Beethovens liebevoll-melancholische  Erinnerungen. Auch scheinen Ludwigs Depressionen, hervorgerufen durch seinen früh einsetzenden Gehörverlust, nicht nur im Heiligenstädter Testament, sondern auch in diesem Largo ihren Platz  gefunden zu haben.

Immer leiser wird Tifonovs Klavierspiel, dennoch bleibt die Skala der gleitenden Töne glasklar. Mit angehaltenem Atem lauscht das Publikum, und anderes können Petrenko und die Philharmoniker auch kaum tun. Fast kommt Furcht auf, das Konzert könnte zerfasern.

Doch es gibt auch Beethovens bekannte Gegenreaktion mit dem markanten Spruch: „Ich will dem Schicksal in den Rachen greifen“….Der 3. Satz mit Rondo-Allegro-Presto bringt also die Wende, und das Konzert schwingt nun aus c-Moll zum optimistisch-kämpferischen C-Dur.

Mit Bravour und vollem Körpereinsatz bringt nicht nur Trifonov diesen mutigen Umschwung zum Klingen. Den verwirklichen auch Petrenko und sein weltweit hoch geschätztes Team. Intensiver Applaus für diesen großartigen Pianisten und seine Begleiter, die ihm so freundlich den Vortritt gelassen haben.

Doch gleich wird alles anders. Nun hat ohne Pause der siebzehnjährige Felix Mendelssohn Bartholdy mit seiner Symphonie Nr. 1 c-Moll op. 11 das Sagen, ein Meisterwerk, das Kirill Petrenko und die Berliner Philharmoniker förmlich elektrisiert und ihnen die Chance gibt, zu großer Form aufzulaufen.

Petrenko hüpft nun auf dem Podium, sein zuvor angestautes Temperament explodiert, und bei den Instrumentalisten/innen ist es genau so. Nichts wird übertrieben, aber jetzt ist Leben im Saal. Anstatt mitunter traurig auf die situationsbedingt vielen leer gelassenen Plätze zu blicken, schauen alle fasziniert, mit welcher Begeisterung sich alle Musiker und Musikerinnen in das Werk dieses frühen Genies werfen. Ein Vorwärtsdrang, der auch im gesanglich dominierten, delikat gespieltem Andante nicht abreißt.

Und wie munter kommen im 4. Satz die Pizzicati, wie wundeschön  ertönt die Solo-Klarinette, Wie sehr strahlt das Blech, und wie überzeugend vereinen sich alle bei der Fuge. Komplimente an Mozart waren zuvor schon zu entdecken.

Schon lange haben sich auch die Streicher unter dem anhaltend springlebendigen Dirigat ihres Chefs in Mendelssohns Musik geworfen, die ebenso wie Beethovens Klavierkonzert zuletzt eine elegante Kurve nach C-Dur hinlegt.

Alles fabelhaft und überwältigend, ein gelungener Befreiungsschlag aus der Corona-Tristesse, den auch das Publikum deutlich und mit Erleichterung spürt. Der Jubel will gar kein Ende nehmen, die Bravi füllen immer wieder den großen Saal.

Auch Petrenko, sonst trotz seines Lächelns eher zurückhaltend, genießt sichtlich die außergewöhnliche Zustimmung. An diesem Ausnahmeabend ist die Wiederbelebung aus der Pandemie-Starre eindrucksvoll geglückt – bei denen auf der Bühne und bei denen im musikerfüllten Saal.  

Ursula Wiegand  

 

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