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BERLIN/ Philharmonie: Händels MESSIAH in szenischer Einrichtung

16.12.2018 | Oper

Berlin/ Philharmonie: Georg Friedrich Händels „MESSIAH“ in szenischer Einrichtung, 15. 12. 2018
 

War vor einem Jahr die szenische Aufführung von Berlioz’ „L’enfance du Christ“ die Adventsüberraschung des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin (DSO), so ist es diesmal, ebenfalls solcherart belebt, Händels „Messiah“.


Robin Ticciati. Foto: Monica Menez

Denn Chefdirigent Robin Ticciati begreift die Berliner Philharmonie nach eigenen Worten als eine „Kathedrale der Möglichkeiten“ und nutzt sie diesmal authentisch: erstmals musizieren die Streicher auf Darmsaiten und mit Barockbögen. Das funktioniert, wie sofort zu hören ist.


Florian Boesch. Foto: Lukas Beck

Auch stehen nicht nur das berühmte „Hallelujah“, das das Ende des zweiten Teils bildet, mit dem Schlussteil auf dem Programm. Das ganze glanzvolle Oratorium für Soli, Chor und Orchester wird aufgeführt. Und das in einer ebenso glanzvollen Besetzung: mit Louise Alder Sopran, Magdalena Kožená Mezzosopran, Tim Mead Countertenor, Allan Clayton Tenor, Florian Boesch Bass und dem  RIAS Kammerchor, einstudiert von Justin Doyle, aufgereiht rechts und links auf der Bühne.

Unter Ticciatis intensiver und höchst aufmerksamer Leitung wird jedoch nicht nur herrlich gesungen. Die Sängerinnen und Sänger engagieren sich auch darstellerisch mit Haut und Haar für Händels Meisterwerk von 1742. Auf diese Weise wirken die Psalmen und Auszüge aus den Briefen des Apostels Paulus, die zumeist den Text bilden, wieder ganz frisch.

Die szenische Einrichtung durch Frederic Wake-Walker – Regisseur und studierter Theologe – tut ein Übriges, um die rd. 2000 Jahre alten Ereignisse ins Heute zu überführen und uns nahe zu bringen. Die ersten beiden Teile des Werkes spielen auf einem beleuchteten Rondell in der Bühnenmitte und im Umfeld. 21 Neonröhren sind drum herum aufgereiht und tauchen das Geschehen während der ganzen Zeit in ein unverändert bleibendes weißes Licht (Lichtdesign: Ben Zamora), das allerdings etwas blendet.

Angenehmerweise zeigt Wake-Walker bei der Regie eine ruhige Hand und löst kein störendes Hin und Her aus. Alle Sängerinnen und Sänger bewegen sich eher langsam, schauen aber oft einander an, scheinen auch mal singend miteinander zu diskutieren. Überzeugend haben sie sich ihre diversen Rollen zueigen gemacht.  


Alan Clayton. Foto: Laura Harling


Tim Meade. Foto: Andy Staples

Zunächst kündigen die alten Prophezeiungen an, dass der Retter kommen werde. Warm und klar füllt der Tenor von Allan Clayton die Philharmonie. Das gleiche gilt für den lebhaften Countertenor Tim Mead, dessen Koloraturen durch den Saal funkeln. Der knackige Bass von Florian Boesch – vor wenigen Tagen mit Mahlers Liedern aus des Knaben Wunderhorn imponierend– eignet sich bestens, um Gott als Herrscher anzukündigen. Dass er auch perfekt Koloraturen singen kann, kommt hier als Plus noch hinzu.


Magdalena Kožená und Tänzer Ahmed Soura mit dem DSO unter Robin Ticciati, Copyright: Kai Bienert

Bald danach macht Magdalena Kožená – kürzlich als Phädra die Beste in „Hippolyte et Aricie“ vom Rameau – mit schönem, liebevollem Mezzo einer jungen Frau (Maria) Mut, die ein Kind erwartet – den verheißenen Messiah. Die Angesprochene bleibt jedoch stumm. Händel und sein Librettist Charles Jennens hatten wenig Interesse an einer detailreichen Schilderung des gesamten Weihnachtsgeschehens.   


Louise Alder. Foto: Gerard Collett

Die Geburt ist schon vorüber, als Louise Alder erstmals mit leuchtendem Sopran von den Hirten auf dem Felde und den dort erscheinenden Engeln berichtet. Anschließend jubelt sie „Du Tochter Zion, freue Dich.“ Gefühlvoll begleiten Ticciati und die Instrumentalisten stets die Solisten/innen, die alle ihre Partien auswendig können. Auch der Dirigent singt oft voller Begeisterung die für ihn passenden Passagen mit.

Den Messiah, zunächst im weißen Mantel über der dunkelbraunen Haut, spielt der Tänzer Ahmed Soura, geboren in Burkina Faso. Als Solist und auch mit seiner eigenen Tanzcompagnie ist er weltweit unterwegs. Hier, auf dem Leuchtrondell, hält er sich anfangs, vermutlich regiebedingt, schüchtern zurück, wirkt wie einer, der seine Rolle als Erlöser noch gar nicht begriffen hat.

Doch eine Frau erkennt in ihm den in den Propheten-Psalmen verheißenen Messiah, berührt ihn vorsichtig, streichelt ihn ein bisschen und nimmt schließlich den Widerstrebenden liebevoll in die Arme. Berührend gestaltet und singt Magdalena Kožená diese Szene. Zusammen mit der Sopranistin äußert sie danach ihr Glück über den gefundenen Erlöser. Nun tanzt auch der biegsame Ahmed Soura wie ein Wirbelwind. Mit einem wunderbar vom RIAS Kammerchor gesungener Chorus schließt der erste Teil.

Zu Beginn des zweiten Teils ist das Leben des Messiah schon beendet. Die drei Solisten schleppen den nun Mantellosen ins beleuchtete Rondell. Er wurde zu Tode gequält, liegt sterbend auf dem Boden wie am Kreuz. Die Altistin ist voller Trauer, der Tenor empört sich über das, was man dem friedlichen Messiah angetan hat, und versucht vergeblich, ihn ins Leben zurückzuholen. Das sind eindrucksvoll inszenierte und gespielte Szenen.  

Der Chor versammelt sich nun rund ums Rondell, bedeckt den Leichnam mit Papierfetzen (statt Sand), ein etwas sonderbares Geschehen. Doch bald befreit sich der Tänzer aus der Bedeckung, was wohl die Auferstehung versinnbildlichen soll. Jetzt tanzt Ahmed Soura als Sieger über den Tod in einem leuchtend blauen Überwurf. Großartig strömt das Hallelujah durch die Philharmonie und wirkt nach all’ dem Gesehenen deutlich stärker als bei rein gesanglichen Darbietungen.

Erstaunen zu Beginn des dritten Teils. Plötzlich erscheinen alle in Alltagskleidung, die Herren zumeist in Jeans, die Damen so, wie es ihnen gefällt. Ticciati wirbelt im grünen T-Shirt noch freudiger als zuvor. Das sind wir, rund 2000 Jahre nach den von Händel in Musik gefassten Ereignissen. Eine stimmige Regie-Idee.

Das „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt“, singt Louise Alder, jetzt im Kostüm, mit der gleichen Hingabe wie ihre vorherigen Arien. Ungestört zuversichtlich klingt auch Magdalena Kožená, nun auf high heels. Mit „Tod, wo ist dein Stachel“ triumphieren Allan Clayton und Tim Mead. Glauben können auch die Menschen von heute, will wohl der Regisseur zeigen.

Mit ungemein kraftvollem und ausdrucksstarkem Bass beschwört Florian Boesch derweil das Jüngste Gericht, ist sich jedoch der Auferstehung, auch seiner eignen, voll gewiss. Er ist aber auch derjenige, der zuletzt einen dunkelhäutigen Flüchtling (es ist der Tänzer in normaler Kleidung) rüde hinaus drängt. Bei den sich schon als erfolgreich erlöst und gerettet Fühlenden ist für ihn  kein Platz.   

Noch eine 2. Aufführung am 16.12. um 20 Uhr in der Philharmonie


Ursula Wiegand

 

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