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Berlin/ Philharmonie: GUSTAVO DUDAMEL BEGEISTERT MIT BERNSTEIN UND SCHOSTAKOWITSCH

03.11.2018 | Konzert/Liederabende


Gustavo Dudamel. Copyright: Stephan Rabold

Berlin / Philharmonie: Gustavo Dudamel begeistert mit Bernstein und Schostakowitsch, 2.11.2018

Runde Geburtstage von Komponisten bringen oft Überraschungen, und so ist es jetzt mit dem Leonard Bernstein (1918-1990), dessen Hundertster in diesem Jahr vielfach gefeiert wird. Den meisten Musikfans ist sicherlich sein Musical „West Side Story“ bekannt, doch nun sind auch mal seine Sinfonien zu hören, und das kommt einer animierenden Entdeckung gleich.
Bernsteins „Symphonie Nr. 1 Jeremiah für Mezzosopran und Orchester“, ein profund jüdisches Stück, wurde am 28. Januar 1944 unter der Leitung des 28jährigen Komponisten in der Syrischen Moschee von Pittsburgh uraufgeführt. Aus heutiger Sicht müssen das andere Zeiten gewesen sein.

Die Berliner Philharmoniker spielen das Werk zum allerersten Mal und machen unter dem engagierten Dirigat von Gustavo Dudamel das bisher Versäumte mit Präzision und Hingabe wett. Prophecy, Profanation und Lamentation hat Bernstein die drei relativ kurzen Sätze genannt, doch wie viel Spannung und Glaubensfragen enthalten sie!

Es geht um die Klage des Propheten Jeremias über die Zerstörung Jerusalems 587 v. Chr. nach halbjähriger Belagerung durch die Babylonier unter König Nebukadnezar. Die nur 24 Minuten lange Sinfonie basiert auf den überlieferten alttestamentarischen Klageliedern dieses Propheten, die teilweise noch immer in jüdischen Zeremonien Verwendung finden.
Unisono und sehr ruhig (molto calmato) wird eingangs musiziert. Jeremias ist todtraurig, vergebens hat er das sündige Jerusalem gemahnt und zur Umkehr aufgerufen. Doch schnell funken vor allem die Kontrabässe und das Blech dissonant dazwischen. Sanftheit mischt sich immer wieder mit harten Rhythmen, die spätere West Side Story, uraufgeführt 1957 und Bernsteins größter Hit, ist schon zu ahnen.

Der 2. Satz – vivace con brio – schreit das Entsetzen förmlich heraus, Dudamel hüpft auf dem Podium, und die Philharmoniker packen mit Pauken und Trompeten voll zu. Zum Höhepunkt wird jedoch der 3. Satz mit der tatsächlichen Klage, ausdrucksstark von der Mezzosopranistin Tamara Mumford dargeboten. An der Met hat die junge zarte Sängerin schon in mehr als 140 Aufführungen mitgewirkt, ist im Programmheft zu lesen.


Tamara Mumford, Gustavo Dudamel. Copyright: Stephan Rabold

Vermutlich auf Hebräisch singt sie die uralten Verse und macht sie sich zueigen. Das Weinen Jerusalems lässt sie ebenso vernehmen wie das krasse Entsetzen über die Blutenden, die durch die zerstörte Stadt irren und rüde weggescheucht werden. Intensiv und leise richtet sie (d.h. Jeremias) an Gott die Frage „Warum willst du uns für immer vergessen, und lebenslang verlassen? endend mit dem Flehen: „Bringe uns, Herr, wieder zu Dir“.

Dudamel bleibt stehen und lässt diese berührende Bitte nachwirken. Zusammen mit dem begeisterten Publikum applaudiert er dann dieser überzeugenden Interpretin. Insgesamt – welch eine frisch wirkende Sinfonie!

Und ebenso geht es wohl – aus dem heftigen Schlussbeifall zu folgern – vielen und auch mir mit der relativ selten gespielten „Symphonie Nr. 5 d-Moll op. 47 von Dmitri Schostakowitsch, uraufgeführt am 31. November 1937 in Leningrad, jetzt wieder St. Petersburg.
Es waren die Zeiten Stalins, in der die Moderne unterdrückt wurde. Schon mit der Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ hatte Schostakowitsch Ärger bekommen, seine 4. Symphonie durfte er gar nicht aufführen. Also passte er sich bei der Fünften notgedrungen an die Parteilinie an, gab den akkurat vier Sätzen politisch korrekte Beinahmen, also „heroische Tragödie“, „Ausdruck gesunder Lebensfreude“ „Meditation“ und Erringen des Sieges“.

Sein Werk sei in seinem Charakter vom Anfang bis zum Schluss lyrisch, erklärte der Drangsalierte außerdem. Das gilt aber nur für das wunderbare, ohne Blechbläser und Schlagzeug komponierte Largo, das schon bei der Uraufführung die Menschen stark beeindruckte. Zum stillen Höhepunkt wird das superzarte Geigensolo des 1. Konzertmeisters Daniel Stabrawa. Doch in dieser „Meditation“ fasst wohl Schostakowitsch auch die Trauer über die zahllosen Opfer des Regimes – selbst in der eigenen Familie – musikalisch in Worte.

Offenbar sind aber Stalins Spitzel, die im Konzertsaal saßen, auf die raffinierten Bezeichnungen der Sätze hereingefallen, denn in diesem Meisterwerk ist nichts so, wie es zunächst erscheint. Unterschwellig läuft immer etwas anderes mit, die ganze Symphonie hat einen doppelten Boden, den Dudamel zusammen mit den Berliner Philharmonikern deutlich herausarbeitet.

Dem zartlyrischen Beginn folgt alsbald ein wahrer Hexenspuk. Vielfach ist die Ironie förmlich mit den Händen zu greifen, insbesondere beim aggressiven Triumphmarsch, der wohl eher als Todesmarsch gedacht war. Die aufwallende Apotheose am Schluss des letzten Satzes wirkt so beinahe frivol.

Vielleicht haben schon 1937 einige doch schon genauer hingehört und verstanden, was eigentlich gemeint war. In seinen (nicht ganz unumstrittenen) Memoiren hat Schostakowitsch geschrieben: „Was in der Fünften vorgeht, sollte meiner Meinung nach jedem klar sein. Der Jubel ist unter Drohungen erzwungen. […] So als schlage man uns mit einem Knüppel und verlange dazu: Jubeln sollt ihr! Jubeln sollt ihr! Und der geschlagene Mensch erhebt sich, kann sich kaum auf den Beinen halten. Geht, marschiert, murmelt vor sich hin: Jubeln sollen wir, jubeln sollen wir. Man muss schon ein kompletter Trottel sein, um das nicht zu hören.“ (zu finden in Wikipedia)
An diesem Abend in der Berliner Philharmonie ist das unter Dudamels Stabführung, der das umfänglich Werk auswendig dirigierend in Herz und Hirn hat, dem Publikum sicherlich ganz klar geworden. Schostakowitschs Fünfte in fast neuem Gewand – das wird heftig und lang anhaltend bejubelt.

Mit diesen beiden Werken und einer weiteren Kombination von Bernstein mit Mahler gehen Dudamel und die Berliner Philharmoniker nun gemeinsam auf Konzertreise und touren nach einem Zwischenstopp an der Alten Oper Frankfurt durch Südostasien.

Ursula Wiegand

 

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