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BERLIN /Philharmonie GERSHWIN und RACHMANINOV: Daniil Trifonov, Orchestra dell‘ Accademia Nazionale di Santa Cecilia Rom, Jakub Hrůša

15.05.2024 | Konzert/Liederabende

BERLIN /Philharmonie GERSHWIN und RACHMANINOV: Daniil Trifonov, Orchestra dell‘ Accademia Nazionale di Santa Cecilia Rom, Jakub Hrůša; 14.5.2024

Orchesterkultur vom Feinsten, mitreißendes Temperament und pianistische Weltklasse

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 Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia. Foto: Orchestra in Posa

Man engagiere einen technisch brillanten Klangkörper, einen tschechischen Dirigenten mit rhythmischem Biss und den besten russischen Pianisten der Jetztzeit und Sie haben die luxuriöse Melange für einen Konzertabend der Sonderklasse. Zumal mit der Cuban Overture und dem Klavierkonzert in F-Dur von George Gershwin sowie den Sinfonischen Tänzen op. 45 von Sergej Rachmaninov wahre orchestrale Showcases auf dem Programm standen.

Auf der Deutschlandtournee vom 13. bis 16. Mai machte das italienische Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia, vielen von Schallplattenaufnahmen her als exzellentes Opernorchester bekannt, der in New York lebende russische Klaviervirtuose Daniil Trifonov unter der musikalischen Leitung des Ersten Gastdirigenten des Orchesters Jakub Hrůša am 14. Mai in der Berliner Philharmonie Halt. Heute stehen noch Köln und morgen München auf dem Tourneekalender.

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Daniil Trifonov. Foto: Dario Acosta

Das Programm startete mit den Gershwinnummern überaus populär und feierte mit der sicher nicht allen bekannten „Cuban Ouvertüre“ aus dem Jahr 1932 einen beschwingten Einstand. Rumba-Gezapple am Platz ausdrücklich erlaubt. Das Stück ist aber weit mehr als ein Arrangement folkloristischer kubanischer Musik. Die sinfonische Struktur mit den rhythmisch komplexen Figuren auf melodisch sinnlicher Eigenfindung erlaubten es dem Komponisten, die „Essenz des kubanischen Tanzes“ mit impressionistischer Klangmalerei anzureichern. Das animierte Hrůša vielleicht dazu, außer zur im pulsierenden Melos triumphierenden Solotrompete und dem spektakulären Schlagwerk mit Clave, Giro, Rasseln, Bongos, Holzblock, Xylophon, Becken, Snaredrum und Basstrommel durchaus mit atmosphärischem Gewinn die Streichergruppen zu einem pastos aufrauschenden Miteinander einzuladen.

Um lebenssprühende Energie, eine unbändige Vitalität, ja vielleicht den Inbegriff amerikanischer Musik der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts überhaupt, geht es in Gershwins berühmtem Klavierkonzert in F-Dur. Vielleicht lässt sich die eine oder der andere, angeregt durch das Erfühlen dieser gut gelaunten Musik dazu verleiten, gerade in nicht einfachen Zeiten das Lebensglas eher als halbvoll und nicht als halbleer zu betrachten.

Das Klavierkonzert, über das sich u.a. Stravinsky begeistert äußerste, eint Jazziges mit „Klassischem“. Es stellt ein weiteres Mal eine Hommage an das bunte Treiben einer amerikanischen Metropole mit all ihren Typen, Gerüchen und Buntscheckigem, Rhythmen und Exzentrizitäten in den Mittelpunkt orchestraler Bravour. Klarinette, Flöte, Posaune, Trompete und Pauke dürfen neben dem Klavier mit gezielten Einwürfen die Frequenz an Stimmen zu einem vielchörigen Ganzen steigern. Man weiß oft gar nicht, wohin zuerst hören, so rösselsprunghaft und dann wieder leicht dahinwirbelnd geriert sich die Musik. Wer in den beinahe hymnischen Tutti Ähnlichkeiten zu Rachmaninovs Art, Klavierkonzerte zu schreiben, bemerkt, dürfte nicht ganz falsch liegen.

Es ist die Stunde des Daniil Trifonov. Gershwin schuf als Sohn russischer Einwanderer diesen Prototyp uramerikanischer Musik. Der in New York lebende, aus Novgorod stammende Russe Trifonov ist mit diesem Idiom mittlerweile so eins geworden, dass man aus dem Staunen nicht herauskommt. Seine stupende Musikalität, die sich auf den ganzen Körper überträgt, lässt die jazzigen Rhythmen in den Saal federn. Die abrupten Tempowechsel, die atmosphärischen Nuancen mit ihren Blues und Ragtimeanklängen bereiten dem Star sichtlich „höllische“ Freude. Als „Harry Potter“ einer jegliche Erdenschwere hinter sich lassenden Anschlagskultur steht ihm eine Riesen-Palette an spielerischen, die griffigen Rhythmen als auch das Wechselspiel mit dem Orchester kontrapunktierenden Kniffe zur Verfügung. Im finalen ‚Allegro agitato‘ führt die virtuose Pranke in kompetitiv erregtem Widerspiel zum Orchester das Publikum bis zur jubelnden Klimax in F-Dur. (Anm.: Mit der Orchestra di Santa Cecilia konzertiert Trifonov seit 2012).

Riesenjubel im Saal, dem der Pianist mit dem rasanten Präludium aus J.S. Bachs Partita Nr. 3 für Violine solo, paraphrasiert von Rachmaninov, als Zugabe großzügig dankte.

Jakub Hrůša hat sich nach der Pause für die „Sinfonischen Tänze“, op. 45, von Rachmaninov entschieden. Als gute Wahl erwies sich dieser in Huntington auf Long Island entstandene sinfonische Abschied des Komponisten aus dem Jahr 1940. Hätte man beim Gershwin-Konzert ein bisweilen zu massiv-kompaktes Zupacken der Streicher bemängeln können (Carbonara statt Popcorn), so konnte der Dirigent nun dem Orchester alle agogischen Finessen, eine differenzierte Dynamik und ein rauschhaftes Farbenspiel spätromantischer Provenienz abluchsen. Riesengroß besetzt, da waren mit den üblichen Gruppen und dreifachem Holz, Altsaxophon, Klavier, Harfe und Schlagwerkexzessen (Pauken, Tamburin, Triangel, Kleine und Große Trommel, Becken, Tamtam, Glockenspiel, Xylophon, Glocken) eine knappe Hundertschaft engagiert zugegen, machen die einzelne Sätze „Mittag, Sonnenuntergang und Mitternacht“ ihrem ursprünglichen Titel „Fantastische Tänze“ alle Ehre. Als Ballett geplant und unter Verwendung von eigenem thematischem Material durchziehen Erinnerungen und Märchenhaftes das musikalische Geflecht, aggregiert sich Höchstpersönliches und machtpolitisch „Endzeitliches“ zu einem instrumentalen Kosmos, der aktueller und ins Mark treffender nicht sein könnte. Das all sein Können ausspielende Orchester feiert eine Sternstunde an expressiver Wahrheit und klanglicher Brillanz. Hrůša erweist sich mit exakter Zeichengebung und wie gewohnt rhythmischer Akkuratesse als ein sensibler Mittler der dringlichen musikalischen Botschaft. Seit gestern ist dieses wunderbare Stück mein persönlicher Rachmaninov-Favorit.

Das Orchestra dell‘ Accademia Nazionale di Santa Cecilia Rom zeichnet sich klanglich durch einen dunklen Streicherklang und wahrlich aufsehenerregende, niemals stählern oder hart klingende Blechbläser und ein vorzügliches Holz aus. Dass die Perkussionisten zu den erklärten Publikumslieblingen gehören, war bei diesem Konzert ohnedies klar.

Als Zugabe gab es zwei Tänze aus Bedrich Smetanas „Die verkaufte Braut“ (‚Tanz der Kaufleute‘ und Furiant), ebenfalls einem Jubilar des Jahres 2024 gewidmet. Smetana wurde am 2. März 1824, also vor 200 Jahren, geboren.

Ein erstaunlicher und bereichernder Konzertabend mit vielen glücklichen Gesichtern im Publikum und auf dem Podium!

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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