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BERLIN/ Philharmonie: ERÖFFNUNGSKONZERT MUSIKFEST BERLIN unter Barenboim mit Boulez und Strawinsky

02.09.2018 | Konzert/Liederabende


Daniel Barenboim und die Staatskapelle. Copyright: Holger Kettner

Philharmonie/ MUSIKFEST BERLIN, Eröffnungskonzert mit Boulez und Strawinsky, geleitet von Daniel Barenboim, 01.09. 2818

Die Überraschung bei der Eröffnung des Musikfests Berlin 2018 ist perfekt. Einmal ist es das Programm, das allerdings vorher bekannt war, aber als erstes Stück etwas weitgehend Unbekanntes bietet: das „Rituel in memoriam Bruno Maderna“ von Pierre Boulez, der 2016 verstarb.

Schon vor Beginn fallen die Pulte an 6 Stellen im Großen Saal der Philharmonie auf, an denen bald die Musikerinnen und Musiker der Staatskapelle Berlin mitsamt diversen Blasinstrumenten und je einer Trommel Platz nehmen. Solch einen Raumklang wollte Pierre Boulez.

Der Clou ist jedoch die detaillierte Einführung, die Dirigent Daniel Barenboim dem Publikum präsentiert. Ohne seine launig-sachkundigen Schilderungen wäre das kommende Geschehen, sein „Merci à Pierre Boulez“, kaum verständlich gewesen, verteilt sich doch das Ritual auf acht Klanggruppen mit unterschiedlichen Aufgaben für jedes dieser Mini-Ensembles, die in gerade und ungerade Zahlen gegliedert sind.

Dass die „1“ auch eine ungerade Zahl ist, hat Barenboim erst jetzt und nach eigenen Worten mit einiger Verwunderung gelernt. Auch bittet er, das Husten zu unterlassen, und siehe da – das Publikum hält sich – ebenfalls überraschenderweise – daran. Nötig ist das bei diesem Stück allemal (und wäre es auch bei allen anderen Konzerten), da es viele, ganz fein ziselierte Passagen enthält, bei denen ein störungsfreies Lauschen erforderlich ist.

Impulsgeber ist neben Barenboim die größte, frontal auf der Bühne sitzende Gruppe. Jedes Mal, wenn der dortige Gong erklingt, passiert etwas Neues. Die jeder Gruppe beigefügte Trommel hält den Rhythmus, so dass die Darbietung nicht unkontrolliert auseinanderdriftet.

Boulez selbst hat dieses Ritual als „fortwährenden Wechsel“ von „Sang und Gegengesang“ bezeichnet. Barenboim nennt es eine sehr komplexe Musik.

In 15 Abschnitten entwickelt sich das Stück, von denen der letzte der deutlich längste ist.

Vor allem war für Boulez die 7 von Bedeutung, wächst doch im Laufe des Geschehens die Zahl der beteiligten Instrumente von einem auf sieben und in der achten Gruppe auf zweimal sieben plus 2 Schlagzeuge.

Das alles hat er mit Akribie konstruiert und bis zur Endfassung 13 Jahre  gebraucht. Nur den Gruppen mit geraden Zahlen hat er gewisse Freiheiten zugestanden, die Barenboim, der in der Riesenpartitur öfter hin- und herblättert, jedoch nicht ausufern lässt.

Auffällig ist der vielfache Einsatz der Oboe rechts von meinem Platz, vermutlich eine Reverenz an den Kollegen Maderna, der drei Solokonzerte für Oboe komponierte. Links von mir sitzt eine siebenköpfige Bläsergruppe, die anderes mitunter übertönt. Ich wechsele auf einen freien Platz einige Reihen tiefer und genieße nun mehr vom Raumklang. Viele wenden sich öfter interessiert um, wenn hinter ihnen eine weitere Gruppe an der Reihe ist.

Insgesamt erinnert mich dieses Ritual an eine Totenmesse, in der der Priester Gebete murmelt, doch einige mitunter laut ihren Kummer oder Protest gegen das Schicksal äußern, wie es an einigen Stellen musikalisch aufflammt. Eine elitäre, durchgeplante Musik, deren gelungene Darbietung vom Publikum heftig applaudiert wird. Selbst Barenboim scheint über soviel Zustimmung überrascht und glücklich zu sein.

Dem zweiten Ritual, Strawinskys wohlbekanntem  „Le Sacre du Printemps”, ist die Begeisterung der Anwesenden vorab sicher. Dieses Werk, das bei der Uraufführung 1913 in Paris wilde Proteste auslöste, ist zum Schrittmacher der Moderne geworden und in Berlin relativ oft zu hören, zählte es doch zu Simon Rattles Lieblingsstücken und wurde von ihm zusammen mit den Berliner Philharmonikern öfter aufgeführt.

Selbstverständlich haben auch Barenboim und die Staatskapelle Berlin dieses zum Standartwerk gewordene heidnische Opferritual voll drauf und lassen es mit Saft und Kraft erklingen. Eine schwelgerisch-brutale Musik ist das, manchmal pöbelhaft mit vertrackten Rhythmen wild aufschäumend, dann mal kurzzeitig abschwellend. Der „Sacre“ ist alles andere als elitär und mathematisch konstruiert. Dieser noch immer exemplarische moderne Dauerbrenner wird mit heftigem, lang anhaltendem Beifall quittiert.

Der intensiv gefeierte Daniel Barenboim bedankt sich herzlich bei der 1. und 2. Geigerin und dann vor allem bei den Bläsern und den Schlagwerkern, denen das Publikum ebenfalls zujubelt. Barenboim zerpflückt den Rosenstrauß, den man ihm überrascht hat, und schenkt jeder Instrumentalistin eine Rose plus Küsschen, solange der Blumenvorrat reicht. „Me too“ denken womöglich die anderen Damen, die mangels Masse leider keine Rose bekommen haben.

Übrigens wird Barenboim dieses Programm  zu Ehren von Pierre Boulez am Dienstag in Paris aufführen. 

Ursula Wiegand

Musikfest Berlin, 31.8.– 18.9. 2018,

 

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